Kosovo:Aufstieg eines Rebellen

Kosovo: Albin Kurti als Premierminister im Februar 2020. Nach nur sieben Wochen im Amt wurde er gestürzt. Jetzt hofft er auf Erfolg bei einer Neuwahl.

Albin Kurti als Premierminister im Februar 2020. Nach nur sieben Wochen im Amt wurde er gestürzt. Jetzt hofft er auf Erfolg bei einer Neuwahl.

(Foto: Armend Nimani/AFP)

Nach Monaten des Streits gibt es eine neue Regierung. Ministerpräsident Albin Kurti stellt sogar neue Gespräche mit Serbien in Aussicht, das lange als Erzfeind galt.

Von Tobias Zick

Sie haben die Geduld ihrer Wähler lange strapaziert, aber nach Monaten des Streits haben sie sich nun doch auf die Bildung einer Regierung geeinigt. Die beiden früheren Oppositionsparteien, die im Oktober als Sieger aus den Parlamentswahlen in Kosovo hervorgegangen waren, stritten seither monatelang darüber, wer welche Ministerposten bekleiden soll und wer Parlamentspräsident wird - was gerade bei jüngeren Wählern, die auf einen Bruch mit dem alten, personenfixierten Politikstil des Landes hoffen, nicht nur gut ankam. Am Montagnachmittag aber, gerade rechtzeitig vor Ablauf der verfassungsmäßigen Frist, hat eine Mehrheit des Parlaments in Pristina dem neuen Koalitionskabinett um den ehemaligen Studentenführer Albin Kurti, 44, den Regierungsauftrag erteilt. Dem angekündigten grundlegenden Politikwechsel steht nun zumindest formal nichts mehr im Wege.

Albin Kurti und seine Partei Vetëvendosje ("Selbstbestimmung"), die sich selbst als sozialdemokratisch verortet, dabei aber klar albanisch-nationalistische Töne anschlägt, und die konservative Demokratische Liga Kosovos (LDK) hatten die Wahl im Oktober mit jeweils etwa einem Viertel der Stimmen gewonnen. Das Ergebnis stellte einen Bruch mit der Politik der UÇK-Veteranen dar, die das Land seit der Unabhängigkeit 2008 regierten - und es immer tiefer in einen Sumpf aus Vetternwirtschaft und Korruption versinken ließen. In seiner ersten Ansprache, nachdem das Parlament seine Koalitionsregierung mit der LDK bestätigt hatte, verkündete Kurti: "Die alte Art, Politik zu machen, endet mit dem heutigen Tag." Die Erwartungen, die er im Wahlkampf geschürt hatte, sind gewaltig, vor allem unter den vielen jungen Wählern, die seiner Partei ihre Stimme gegeben hatten.

Wenn es ein Grundmotiv in der politischen Karriere von Albin Kurti gibt, dann lautet es: Rebellion. In den Jahren 1997 und 1998 führte er in Pristina Studentenproteste gegen die immer repressivere serbische Herrschaft an. Nachdem die Nato 1999 begonnen hatte, Ziele in Serbien zu bombardieren, nahm ihn die Armee des damaligen Restjugoslawiens fest; eineinhalb Jahre saß er in serbischer Gefangenschaft, nach dem Sturz von Slobodan Milošević kam er frei - und begehrte anschließend kaum minder ausdauernd gegen die UNVerwaltung Kosovos auf: Er warf den Vereinten Nationen vor, eine neokoloniale Herrschaft zu führen und die Korruption der kosovarischen Eliten zu decken.

Die Probleme des Landes, dessen Regierung der frühere Oppositionsführer nun übernimmt, sind gewaltig: Die Arbeitslosigkeit ist extrem hoch; ein Großteil der jungen Menschen träumt davon auszuwandern, sofern sie es nicht bereits getan haben. Die dringendste Herausforderung liegt darin, Bewegung in den alles lähmenden Konflikt mit Serbien zu bringen. Ein Verhandlungsprozess unter der Ägide der Europäischen Union liegt brach, seit die Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Ramush Haradinaj Ende 2018 Strafzölle in Höhe von 100 Prozent auf alle aus Serbien eingeführten Waren verhängte - in Reaktion auf das, wie er es nannte, "negative Verhalten" der Belgrader Regierung gegenüber seinem Land. So hatte der serbische Innenminister auf Twitter triumphierend von einem "Sieg" geschrieben, nachdem Kosovo die nötige Mehrheit für die Aufnahme in die internationale Polizeibehörde Interpol verfehlt hatte. Grundsätzlich sucht Belgrad alles zu verhindern, was dem Aufbau eines nationalen Sicherheitsapparats in der ehemaligen serbischen Provinz Kosovo dient, deren Unabhängigkeit es bis heute nicht anerkennt.

Der neue kosovarische Regierungschef richtete denn auch gleich zu Anfang seiner Antrittsrede am Montag deutliche Worte an jene, "die uns von außen zu okkupieren beabsichtigen". Kosovo sei ein unabhängiges und souveränes Land; dies sei "Voraussetzung für jeglichen Dialog".

Serbiens Präsident Aleksandar Vučić hatte bereits nach dem Wahlerfolg von Kurtis Partei Vetëvendosje im Oktober erklärt, er sei offen für neue Gespräche - unter der Bedingung, dass Kosovos neue Regierung die Strafzölle auf serbische Güter wieder abschaffe. Jene Zölle allerdings hatten sowohl Vetëvendosje als auch ihr Koalitionspartner LDK vor der Wahl ausdrücklich unterstützt. Zudem hat Kurti angekündigt, eine allgemeine Wehrpflicht einzuführen - damit Kosovo endlich eine richtige Armee bekommt. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell gibt sich trotzdem hoffnungsvoll, was eine Wiederaufnahme der Gespräche zwischen Pristina und Belgrad angeht: "Der Status quo ist nicht haltbar", sagte Borrell am Dientag.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: