Süddeutsche Zeitung

Kosovo:Anklage wegen Kriegsverbrechen

Kosovo-Präsident Thaçi sagt einen Gipfel mit Serbien im Weißen Haus ab. Stattdessen muss er sich einer vorläufigen Anklage wegen Kriegsverbrechen in Den Haag stellen.

Von Tobias Zick

Für Donald Trump läuft es derzeit nicht wirklich rund, gut vier Monate vor der Wahl. Während im eigenen Land die Corona-Krise vollends außer Kontrolle gerät, verpufft jetzt auch die Hoffnung, wenigstens außenpolitisch als Dealmaker auf dem Weltmarkt der Krisen glänzen zu können. Nachdem das mit der Atommacht Nordkorea und der angehenden Atommacht Iran nicht so geklappt hat, nahm der US-Präsident zuletzt verstärkt einen kleineren, aber lange glimmenden Konflikt ins Visier: den zwischen Serbien und seiner ehemaligen Provinz Kosovo.

Eigentlich sollten an diesem Samstag die Präsidenten der beiden Länder im Weißen Haus eintreffen und sich dort diplomatisch und wirtschaftlich auf einander zubewegen, unter den schützenden Händen von Trump und von Richard Grenell, dem früheren US-Botschafter in Berlin, den der Präsident eigens zu seinem Sondergesandten für die serbisch-kosovarischen Beziehungen ernannt hat. Mit der recht spontanen Einladung zum Washingtoner Balkangipfel hatte Grenell den Unmut der Europäer provoziert. Zum einen bemühen die sich selbst um eine dauerhafte Konfliktlösung zwischen den beiden Ländern, die vielleicht einmal Mitglieder der EU werden könnten. Zum anderen vertreten sie in einigen Fragen eine gegensätzliche Linie zu den Amerikanern, auch wenn die nicht immer ganz einheitlich ist.

Nun musste Grenell Mittwochabend auf Twitter verkünden, dass der Präsident des Kosovo, Hashim Thaçi, seine Reise nach Washington leider habe abbrechen müssen, und dass man diese Entscheidung respektiere. Gleichwohl freue man sich, schickte Grenell hinterher, auf die "Diskussionen" am Samstag, die nun anstelle von Thaçi der kosovarische Premierminister Avdullah Hoti mit Serbiens Präsident Aleksandar Vučić führen werde.

Doch auch daraus wird nun nichts. "Aufgrund der neuen Entwicklungen", erklärte Hoti am Donnerstagmorgen seinerseits auf Twitter, "muss ich in mein Land zurückkehren." Gemeint war damit die vorläufige Anklage, die beim Kosovo-Sondergericht in Den Haag am Mittwoch ein Ankläger gegen Präsident Thaçi erhoben hat, ebenso gegen den Vorsitzenden von dessen Partei PDK, Kadri Veseli, und mehrere weitere Akteure des Kosovokrieges in den 1990er-Jahren. Der Krieg hatte schließlich zur Abspaltung des Kosovo von Serbien geführt; die Unabhängigkeitserklärung von 2008 erkennt die serbische Regierung bis heute nicht an, ebenso wenig wie Russland und diverse andere Staaten, darunter auch EU-Mitglieder wie Spanien.

Die Anklage wirft Thaçi und Veseli vor, für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantwortlich zu sein, darunter Mord, Folter und das Verschwindenlassen von Personen. Konkret hält die Anklageschrift den beiden Politikern fast 100 Morde vor; die Opfer waren demnach Serben, Roma und andere ethnische Gruppen, auch politische Gegner. Thaçi war seinerzeit Kommandeur der sogenannten Befreiungsarmee Kosovos (UÇK). Ein Richter des Haager Tribunals, das 2016 aufgrund eines Beschlusses des kosovarischen Parlaments eingerichtet wurde, muss die Anklage noch prüfen, bevor sie formal erhoben werden kann. Zur Begründung, warum man die Anklage jetzt öffentlich gemacht habe, verwies die Staatsanwaltschaft auf "wiederholte Bemühungen" von Thaçi und Veseli, die Arbeit des Gerichts zu untergraben. Schon seit längerem vermuten Beobachter, Thaçi habe sich den Vermittlungsbemühungen von Grenell nicht zuletzt deshalb so bereitwillig hingegeben, weil er hoffte, dass er auf diesem Wege einer Anklage wegen seiner mutmaßlichen Kriegsverbrechen entgehen könnte. Im Rahmen eines angestrebten Deals unter der Schirmherrschaft der Amerikaner hatte Thaçi sich, ebenso wie Serbiens Präsident Vučić, für den Tausch von Gebieten entlang der Grenze nach ethnischen Kriterien ausgesprochen - obwohl dies gegen die Verfassung des Kosovo verstoßen würde und von den Europäern heute als brandgefährlich abgelehnt wird.

Erst im März hatte sich Thaçi in einem innenpolitischen Machtkampf gegen den damaligen Ministerpräsidenten Albin Kurti durchgesetzt: Dieser wurde, auch auf Betreiben Thaçis, per Misstrauensvotum nach knapp zwei Monaten im Amt abgesetzt. Kurti war als Korruptionsbekämpfer angetreten und hatte sich den Gebietstausch-Plänen widersetzt.

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SZ vom 26.06.2020
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