Korruptionsfälle in Österreich:Aufräumen im Selbstbedienungsladen

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Seit Jahren löst in Österreich nahezu jede politische Affäre neue Ermittlungen aus, fast immer sind dieselben Personen verwickelt. Doch seit Sommer ist die Vorteilnahme aus Amtsgeschäften verboten, und es wird Jagd gemacht auf jene, die sich korrumpieren ließen. Derzeit steht der ehemalige Innenminister Ernst Strasser vor Gericht - wegen Bestechlichkeit.

Cathrin Kahlweit, Wien

Sie weigere sich zu glauben, dass alle Politiker bestechlich seien, hatte die Staatsanwältin zum Prozessauftakt gegen den einstigen Innenminister Ernst Strasser vergangene Woche angemerkt. Allerdings, zeigte sie sich überzeugt, sitze da vor ihr im Wiener Straflandesgericht einer, der ihre positive Annahme Lügen strafe: Strasser habe sich in seiner Zeit als EU-Parlamentarier vor zwei Jahren gegenüber - als Lobbyisten getarnten - britischen Journalisten bereit erklärt, gegen Honorar Einfluss auf Gesetzesvorlagen zu nehmen. Mehrere Dutzend europäische Abgeordnete seien damals von den Journalisten gefragt worden. Nur ein Rumäne und ein Slowene, so die Anklägerin, hätten offenbar eingewilligt. Und: Ernst Strasser.

Ob das tatsächlich so war und ob der einst einflussreiche ÖVP-Politiker wegen Bestechlichkeit verurteilt wird, dürfte sich demnächst erweisen. Aber dieser Prozess zeigt schon jetzt: Die Justiz hat sich eingeschossen auf korrupte Politiker, und die Öffentlichkeit erwartet das mittlerweile auch. Das war die längste Zeit nicht so und dürfte einer der Gründe dafür sein, warum die kleine Republik mit ihrem überschaubaren politischen Personal täglich neu darüber erschrickt, wie sehr sich das Land zu einem Selbstbedienungsladen entwickelt hat.

Allein jetzt, im Dezember, sind mindestens zwei Anklageschriften in größeren Korruptionsverfahren weitgehend fertig, einige Urteile in der Berufung, neue Prozesse angesetzt und mehr als ein Dutzend komplexe Ermittlungen am Laufen. Dementsprechend beendete der Reporter der Nachrichtensendung "Zeit im Bild 2" seinen Bericht zum Strasser-Prozess auch mit der erfreut klingenden Aussage, die durchaus als Warnung zu verstehen war: "Die Justiz kennt in Sachen Korruption kein Pardon."

In den vergangenen Jahren waren komplexe Korruptionsverfahren immer wieder versandet oder "zu Tode erhoben worden", wie es der aus dem Amt scheidende Chef der Korruptionsstaatsanwaltschaft, Walter Geyer, dem Standard sagte. Dass das möglich ist, rührt auch aus einer anachronistischen Besonderheit des österreichischen Rechtssystems: Ermittler unterliegen in sogenannten Prominentenverfahren von besonderer öffentlicher Bedeutung nicht nur der Berichtspflicht an ihre Vorgesetzten, sondern auch dem Weisungsrecht des Ministeriums. Politisch heikle Fälle können so völlig legal beschleunigt - oder abgedreht werden.

Never ending Story

Immerhin: Die erst 2011 als eigenständige Behörde eingerichtete Korruptionsstaatsanwaltschaft muss nurmehr eingeschränkt nach oben berichten - eine Konzession an die heikle Aufgabe der Spezialermittler.

Denen geht die Arbeit nicht aus: Jede Affäre - insbesondere jene, die in die Zeit der Regierung von Kanzler Wolfgang Schüssel und seinem Adlatus Jörg Haider fielen - löste wieder neue Ermittlungsverfahren aus; ein Fall greift in den anderen, immer wieder sind dieselben Personen involviert, viele Verfahren wurden eingestellt, wieder aufgenommen, von Untersuchungsausschüssen durchleuchtet. Im Kino hieße so etwas: eine never ending story mit den üblichen Verdächtigen. Jüngster Aufreger ist der Skandal um mutmaßliche Schmiergelder für den Kauf von Eurofighter-Flugzeugen durch die Republik.

Zum Glück, so die weitverbreitete Meinung, sitzen diesmal die vermeintlichen Bösen in Deutschland, denn der Luftfahrtkonzern EADS, Mitglied im Eurofighter-Konsortium, soll mit großer Geste Geld in Österreich verteilt haben - aber angenommen hätten es dann im Zweifel eben doch österreichische Politiker, Beamte und Unternehmer. Was die Schadenfreude gegenüber den scheinbar so sauberen Deutschen mit ihren Compliance-Regeln und Transparenzgesetzen schmälert. Bundespräsident Heinz Fischer, als oberster Repräsentant des Staats naturgemäß sehr vorsichtig in seiner Wortwahl, stellt trocken fest: "Der Eurofighter-Kauf ist in die Amtszeit einer Regierung gefallen, als Menschen einen Aufstiegskanal gefunden hatten, die nicht unbedingt als Musterbeispiel für Seriosität gelten können."

Inzwischen sind zwar verdächtige Geldflüsse bekannt, aber keine Empfänger aufgeflogen. Daher sind Tür und Tor für Mutmaßungen offen, wer Geld für sein Bundesland, seine Partei, seine Firma, für sich selbst wollte. Denn bei angeblich bis zu 180 Millionen Euro Schmiermitteln für einen Kaufpreis von 1,7 Milliarden Euro und Gegengeschäften im Wert von knapp vier Milliarden könnte - wenn tatsächlich alles so war, wie die Ermittler in München, Wien und Rom beweisen wollen - für viele Menschen und Firmen etwas abgefallen sein.

Der Verteidigungsminister lässt vorsichtshalber die Möglichkeit einer Rückabwicklung des Vertrags prüfen, der Wirtschaftsminister hat seine Beamten angewiesen, noch einmal jedes bereits geprüfte Gegengeschäft erneut unter die Lupe zu nehmen.

Das Irritierende daran: All das ist schon mal da gewesen. Dass bei der Entscheidung für den Jet einige Neinsager urplötzlich zu Jasagern wurden, dass die Zustimmung zu dem Deal mit Kompensationsgeschäften erkauft wurde, die gar keine waren oder nur auf dem Papier standen, dass eine Firma namens Vektor Aerospace dabei involviert war, die heute als Schaltstelle für ein System von Briefkastenfirmen gilt: Über all das wird in Österreich seit zehn Jahren debattiert. Derzeit wird ein Untersuchungsausschuss erwogen, dabei liegt der letzte zur selben Causa erst fünf Jahre zurück. Er endete weitgehend ergebnislos. Schon damals waren die meisten Fakten bekannt, die auf eine dubiose Entscheidungsfindung und dubiose Geldflüsse hinwiesen. Nur: Politisch gewollt waren weitere Erkenntnisse nicht.

Warum das diesmal anders sein soll? Die politische Landschaft beginnt sich zu ändern. Seit dem Sommer gibt es immerhin ein Gesetz, das illegale Parteienfinanzierung unter Strafe stellt und Vorteilnahme aus Amtsgeschäften verbietet. Und: Die großen Parteien SPÖ und ÖVP samt ihren Vorfeldorganisationen wie Bauern-, Arbeitnehmer- oder Wirtschaftsbünden sind nicht mehr Alleinherrscher in dem kleinen Land.

Ein neuer Mispieler

Die FPÖ, tief in die vergangenen Skandale verstrickt und daher umso mehr an einem sauberen Image interessiert, will das "Establishment" bekämpfen, die Ex-Haider-Partei BZÖ kämpft ums politische Überleben, die Grünen profilieren sich mit ihrer Aufklärungsarbeit, sogar die Kommunisten können auf lokaler Ebene neue Stärke vermelden. Und: In einer Gesellschaft, in der bis heute gern auf gemeinsamen Jagden Geschäfte angebahnt werden, ist das Jagdfieber ausgebrochen. Nicht mehr alles wird gedeckt, Angeklagte brechen erstmalig durch Geständnisse Steine aus dem Abwehrwall der politischen Omertà.

Und dann ist da ja noch ein neuer Mitspieler: Frank Stronach, einst Chef des mächtigen Autozulieferer-Konzerns Magna. Er hat vor Kurzem eine neue Partei aus der Taufe gehoben und will aufräumen. Pikant und sehr österreichisch ist allerdings, dass auch Stronachs Magna durchaus in den Eurofighter-Deal involviert war, was der alte Herr in einem offenen Brief 2003, im Untersuchungsausschuss 2007 und auch jetzt in einem bizarren Interview beleidigt bestreitet. Doch der Konzern selbst widerspricht der Aussage seines ehemaligen Chefs. Magna habe in Zusammenhang mit dem Eurofighter-Kauf Gegengeschäfte von mehr als 300 Millionen Euro abgeschlossen.

Stronach liegt derzeit in Umfragen bei zehn Prozent. Aber das neue Jahr mit weiteren Enthüllungen, Skandalen, Prozessen und Urteilen hat ja noch nicht einmal angefangen.

© SZ vom 04.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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