Korruption in Rumänien:"Als wäre die Schwiegermutter mit Ihrem Auto über die Klippe gestürzt"

Der Bürgermeister von Navodari ist Sternzeichen Löwe, er mag Löwen - und er hat zwei in seinem Garten. Letztens saß er monatelang im Gefängnis, nun ist er wieder im Amt. Rumäniens Antikorruptionsbehörde überführt Politiker wie ihn am laufenden Band. Doch das Volk holt sie immer wieder zurück.

Von Vlad Odobescu, Bukarest und Zagreb

Vlad Odobescu ist ein Journalist aus Bukarest. Der hier veröffentliche Artikel entstand im Juli vergangenen Jahres im Rahmen des Balkan Fellowship for Journalistic Excellence, einer Initiative der Robert Bosch Stiftung und der ERSTE Stiftung, in Kooperation mit dem Balkan Investigative Reporting Network. Die Redaktion hat Neil Arun inne.

Die Sterne stehen gut für Bürgermeister Nicolae Matei. Gerade aus dem Gefängnis entlassen, steht der Politiker auf dem Höhepunkt seiner Popularität. Nächste Woche wird er 46. Der im Sternzeichen Löwe Geborene spielt die Rolle des Löwen unter Menschen - stolz, ehrgeizig und voller Pathos. Dieses Jahr stellte den Bürgermeister auf eine harte Probe - da war die vertrackte Sache mit dem Grundstücksverkauf und dem Polizisten, der Bestechungsvorwurf und die Haftstrafe. "Tot zu sein wäre leichter gewesen", sagt Matei über seine Zeit hinter Gittern. "Die Demütigung ist schwer zu verkraften." Heute scheint jedoch die Sonne, die Stadt feiert und der Löwe hat seinen Käfig verlassen.

Matei ist wieder unter den Menschen, die ihn am meisten lieben, er bleibt stehen, um sich fotografieren zu lassen und Hände zu schütteln. Er ist wieder in Navodari, der Stadt, die er mit goldenen Figuren von Löwen, seinen Lieblingstieren, schmücken ließ. Es ist ein heißer Julitag an der rumänischen Schwarzmeerküste. Auf einem Fußballfeld, das zeitweise auch als Festwiese dient, feiert Navodari seinen jährlichen Jahrmarkt, eine Woche bevor der Bürgermeister seinen Geburtstag begeht. Die beiden Ereignisse könnten auch genauso gut zusammenfallen.

An seinem letzten Geburtstag vor einem Jahr wurde er von den Stadtbewohnern beglückwünscht und von der gesamten Belegschaft der lokalen Fernsehstation mit einem Ständchen besungen. Auf dem diesjährigen Jahrmarkt ist er die Hauptattraktion. Sein Name prangt auf einem Transparent über der Bühne. Die hier auftretenden Künstler, unter ihnen auch sein Lieblingspopstar, danken ihrem Gönner persönlich. Wenn Matei von sich selbst als "Kaiser" von Navodari spricht, wie dies aus Gerichtsunterlagen hervorgeht, so meint er dies wohl nicht im Scherz.

"Er ist wie unser Vater", meinte ein alter Mann, den das Lokalfernsehen vergangenes Jahr bei einem Protestmarsch gegen die Festnahme des Bürgermeisters filmte. "Er ist die Seele dieser Stadt." Matei gibt einen jugendlichen Patriarchen ab, mit buschigem, an den Schläfen leicht ergrautem Haar. Pflichtbewusst mischt er sich unter die Bewunderer auf dem Jahrmarkt. Seine geschwungenen Augenbrauen verleihen ihm einen immerzu wachsamen Ausdruck. Matei ist einer jener neuen Sorte von rumänischen Machthabern, die aus den Korruptionsermittlungen gegen ihre Person politisches Kapital geschlagen haben.

Verurteilt und doch gestärkt

Im ganzen Land wurden Bürgermeister vor Gericht verurteilt, nur um dann bei den Wahlen wiederaufzuerstehen. Ihre Unverwüstlichkeit zeigt ein Paradox in der Kampagne der Europäischen Union für ein verantwortungsvolleres Regieren ihrer jüngsten Mitgliedsstaaten auf. Rumänische Antikorruptionsermittler haben mit Unterstützung der EU eindrucksvolle Erfolge gefeiert: Im bekanntesten Fall forderten sie den Kopf des früheren Ministerpräsidenten Adrian Nastase.

Ihre kleineren Zielobjekte sind jedoch häufig gestärkt aus den Ermittlungen hervorgegangen. Stadträten und Bürgermeistern haben Korruptionsprozesse dabei geholfen, auf der politischen Karriereleiter hochzuklettern anstatt ins Verderben zu schlittern. Diese Politiker haben ihren Einfluss auf lokale Institutionen - und das weit verbreitete Misstrauen in die zentralen Behörden - ausgenützt, um strafrechtliche Verfolgungen zu ihrem Vorteil zu nutzen.

Dieser Artikel des Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) zeigt auf, wie eine von der EU beauftragte Kampagne gegen korrupte Regierungen ihre juristischen Ziele erreicht hat - ohne dabei jedoch in der Politik aufzuräumen. Es hat Verurteilungen gegeben, ohne den Ruf der Betroffenen zu schädigen.

Absolute Kontrolle

Auf dem Jahrmarkt in Navodari sind die Lichter angegangen und die Verkäufer bieten Gegrilltes an. Matei spaziert durch den Rauch der Feuerstellen. Sein weißer Anzug reflektiert die Blitzlichter der Kameras. Er bleibt stehen, um seine Kraft an einem der jahrmarktüblichen Boxsäcke zu messen. Als er dem Sack einen Schlag versetzt, jubelt die Menge.

Matei wurde im November 2012 festgenommen, nur Monate nachdem er seine zweite Amtszeit als Bürgermeister angetreten hatte. Damals protestierten etwa Tausend Anhänger gegen seine Festnahme. Sie trugen Plakate mit Sprüchen wie "Wir wollen unseren Bürgermeister zurück" und "Gebt uns unseren Mann, gebt uns unser Leben". Matei wurde die versuchte Bestechung eines Polizeibeamten in der nahegelegenen Stadt Constanta zur Last gelegt. Die Staatsanwaltschaft, die ihre Beweisführung auf abgehörte Gespräche stützte, führte an, der Bürgermeister habe dem Polizeibeamten zwei Grundstücke im Wert von 13.000 Euro angeboten. Als Gegenleistung habe er erwartet, aus einer Reihe von kriminalpolizeilichen Ermittlungen herausgehalten zu werden.

Matei leugnete die Anklage der Bestechung. Zu seiner Verteidigung führten seine Anwälte seine Popularität als Bürgermeister an. Die Richter waren nicht überzeugt und verurteilten ihn zu Untersuchungshaft. Er saß fünf Monate im Gefängnis. Bei seiner Freilassung im Kreise seiner Anhänger weinte der Kaiser von Navodari.

Mateis Perspektiven werden kaum unter der Haft leiden

"Es warteten dort mehr Menschen auf mich als an dem Tag, an dem ich die Wahlen gewann", erinnert er sich. Matei hat seine Amtsgeschäfte wieder aufgenommen. Der Strafprozess gegen ihn geht indes weiter. Ein Urteil wird innerhalb des nächsten Jahres erwartet. Im Falle eines Schuldspruchs könnte er zu einer Haftstrafe zwischen sechs Monaten und fünf Jahren verurteilt werden. Sein Stellvertreter würde während seiner Abwesenheit für ihn einspringen und die Anweisungen seines Chefs ausführen, so wie er es auch tat, als Matei jüngst hinter Gittern saß.

Ob er nun verurteilt wird oder nicht, Mateis langfristige Perspektiven werden wohl kaum darunter leiden. Er ist in Navodari nach wie vor äußerst beliebt und hat keine glaubwürdigen Gegner. Bei seiner Wiederwahl 2012 konnte er 70 Prozent der Stimmen für sich verbuchen. Er hat nahezu völlige Kontrolle über die Stadt. Der Gemeinderat besteht aus Vertretern von vier Parteien, die zwischen Januar und Anfang September 2013 - in diese Zeit fiel auch Mateis Inhaftierung - über 114 Beschlüsse abgestimmt haben. Alle Maßnahmen wurden einstimmig angenommen.

"Ich habe niemals betrogen"

Matei ist ein kleiner, hastig gestikulierender Mann. In seinem Büro zündet er eine Kerze an und bekreuzigt sich mehrmals, bevor er es sich auf der Couch bequem macht. Im Gespräch ist er weniger zurückhaltend als viele Politiker und weist stolz auf seine Autorität hin. "Glauben Sie nur nicht, dass ich nachsichtig bin", sagt er. "Gestern habe ich fünf Abteilungsleiter ihres Amtes enthoben." Er bringt seine Geringschätzung für das rumänische Justizsystem und die offenkundige Scheinheiligkeit der EU-Politik zum Ausdruck. "Glauben Sie, die Westländer hätten keine Fehler gemacht? Wie, glauben Sie, haben die sich entwickelt?", fragt er.

Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus 1989 begann Matei als Unternehmer mit dem Import von Waren aus der Türkei. Er baute sein Geschäftsimperium aus einem Lagerhaus für verschiedenste Waren auf, von Jeans bis hin zu Industriebauteilen. "Ich habe niemals irgendwen betrogen und niemand hat Matei betrogen", lacht er. "Und ich habe Geld verdient."

KÄSTCHEN 1

Genug Geld, so sagt er, um es mit der Gemeinde zu teilen. "Es ist wirklich dumm zu behaupten, alle Geschäftsleute seien Diebe", argumentiert er und bezieht sich damit auf die Antikorruptionskampagnen in Rumänien. Dann erläutert er seine Version der Trickle-down-Theorie und beschreibt, wie sein Vermögen die lokale Wirtschaft reich machte. "Fahre ich zwei Autos? Esse ich für zwei? Trage ich zwei Anzüge? Nein, nur einen", meint er. "Einige meiner Angestellten sind besser angezogen als ich. Sie machen auch öfter Urlaub als ich."

Navodari war ein kleines Fischerdorf, als der kommunistische Diktator Nicolae Ceausescu mit der Industrialisierung der Schwarzmeerküste begann. Wirtschaftlicher Dreh- und Angelpunkt der beinahe 40.000 Einwohner zählenden Stadt ist heute eine nahegelegene Ölraffinerie. Die Spuren von Mateis Amtszeit sind an den öffentlichen Plätzen von Navodari am sichtbarsten. Goldgefärbte Meerjungfrauen zieren eine Hauptstraße. Säulen im pseudoklassischen Stil wurden in Sichtweite von grauen kommunistischen Wohnblöcken errichtet.

Straßenkehrer fegen zwischen Kunstbäumen aus Metall und Plastik. Auf ihren T-Shirts ist Mateis Name zu lesen. Bunt beleuchtete Brunnen und Plätze beherbergen eine Vielzahl von Tierfiguren - wasserspeiende Delfine, balzende Pfaue, stämmige Elefanten. Diese Menagerie aus Metall und Stein wird von den allgegenwärtigen, in Stein gehauenen Löwen überwacht, Symbole der Macht von Matei. Sogar das Gästehaus der Stadtverwaltung verfügt über seine eigene Sammlung von Miniaturlöwen, die zwischen Heiligenbildern und Telefonbüchern stehen.

Nächstenliebe und Selbstdarstellung

Lachend gibt der Bürgermeister zu, ein Faible für den König der Tiere zu haben. Da ihm Skulpturen allein nicht genügten, erwarb er zwei echte Löwen aus einem privaten Zoo. Die Tiere sind in einem großen Käfig auf seinem Anwesen untergebracht. Ihr Gebrüll ist in der gesamten Nachbarschaft zu hören.

Mateis Popularität stützt sich auf weit mehr als seine Arbeit für die Bürger und seine schillernde Persönlichkeit. Er ist einer der wohlhabendsten Geschäftsmänner der Stadt und Sponsor der örtlichen Fußballmannschaft. Seiner Nächstenliebe haftet eine Spur Selbstdarstellung an. Im Laufe der vergangenen zwei Jahre hat er sein Budget dazu verwendet, die Stromrechnung von etwa 6000 Haushalten zu subventionieren. Das Geld wird jeden Monat in einem Preisausschreiben verlost.

Zu Weihnachten und zu Ostern erhalten Tausende bedürftige Familien ein Paket, bestehend aus einem Huhn, einigen Eiern und Sonnenblumenöl - auch das wird aus dem Budget des Bürgermeisters bezahlt. Vergangenes Jahr hat Matei die öffentlichen Zuschüsse für Gottesdienste mehr als verdoppelt. Er ist beim Kirchenvolk beliebt und wurde vom orthodoxen Klerus öffentlich gelobt. Auch die lokale Fernseh- und Radiostation, die im Besitz einer unter seinem Namen eingetragenen Firma ist, ist ihm wohlgesonnen.

Bürger haben Mitgefühl mit ihren korrupten Führern

Viele Bürger der Stadt zeigen Mitgefühl für Mateis Schwierigkeiten mit dem Gesetz. Vorwürfe des Fehlverhaltens von Bürgermeistern sind in Navodari nichts Neues. Tudorel Calapod, Mateis Vorgänger und Herausforderer bei den Wahlen 2012, wurde der Korruption überführt und hat sich seitdem aus der Politik zurückgezogen.

Constantin Balaceanu, ein pensionierter Fabrikarbeiter, glaubt, Navodari habe es noch nie so gut gehabt. "Sehen Sie sich diesen Asphalt an", sagt er und deutet auf eine frisch geteerte Straße. "Niemand sonst würde tun, was dieser Bürgermeister getan hat. Deshalb tut er uns leid." In einem neu angelegten Park am Rande der Stadt sind sich Laura und Iulia, zwei junge Mütter, die nur ihren Vornamen nennen wollten, einig, dass sie ihrem Bürgermeister vergeben würden, auch wenn ihn das Gericht schuldig spräche.

"Jeder Politiker stiehlt", meint Laura nüchtern. Iulia nickt zustimmend. "In keinem Job bekommst du genug, wenn du nicht stiehlst. So läuft das heutzutage eben." Viele Rumänen verspüren instinktiv Mitleid mit einem lokalen Bürgermeister, den die Staatsanwaltschaft im Visier hat. In Fällen von Korruption spiegelt die Unterstützung eines einzelnen Amtsträgers ein Misstrauen gegenüber Institutionen wider, das auf die Zeit des Kommunismus zurückgeht. Die Diktatur Ceausescus war brutal und im Grunde ein defektes System. Um den Staat zu umgehen, unterhielten Rumänen persönliche Kontakte zu Bürokraten. Für einen Bürger, der ärztliche Betreuung oder eine Anstellung suchte, bedeutete das Okay eines freundlich gesinnten Funktionärs mehr als jegliche offizielle Zusicherung.

Vintila Mihailescu, Professor für Anthropologie in Bukarest, meint, Rumänen würden nach wie vor ad hoc entscheiden, wer ihre Sympathie verdient, sich auf die Seite der lokalen Bürgermeister und gegen den Staat stellen. "Wenn ich den Institutionen generell nicht traue, kann ich ihnen auch nicht vertrauen, zu entscheiden, was korrekt und was korrupt ist", meint er und spricht damit aus, was viele denken. "Deshalb werde ich mein Vertrauen in jene setzen, die es meiner Meinung nach verdienen."

Proteste für die Angeklagten

Politiker in ganz Rumänien haben Korruptionsermittlungen dazu genutzt, um ihre Karrieren zu stärken oder in Gang zu setzen. Dan Diaconescu, Moderator einer sensationslüsternen Fernsehshow, wurde 2010 wegen des Versuchs, einen lokalen Beamten zu erpressen, festgenommen. Er bestritt die Anschuldigungen. Kurz nach seiner Freilassung gab er die Gründung einer neuen politischen Partei bekannt.

Während der Fall gegen ihn noch zu klären ist, hat sich Diaconescus Partei zur drittgrößten Macht im rumänischen Parlament entwickelt und bei den letzten Wahlen 14 Prozent der Stimmen erreicht. Mit ihrer populistischen Kampagne versprach die Partei jedem Bürger 20.000 Euro aus der Wiederverstaatlichung von Industriebetrieben.

"Ohne meine Festnahme hätte es die Partei nicht gegeben", sagt Diaconescu. "Die Verhaftung war nicht nur wichtig - sie hat einfach alles bedeutet." Er liebäugelt nun mit den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr. "Ich hoffe, dass die Ungerechtigkeit, die ich erfahren musste, meine Position stärken wird", sagt er und meint damit die Erpressungsvorwürfe.

"Krieg" gegen die Staatsanwaltschaft

Im Badeort und Hafen von Constanta läuft gegen Bürgermeister Radu Mazare eine Ermittlung wegen des Verkaufs eines Grundstücks direkt am Meer, das angeblich unterbewertet war und den rumänischen Staat 114 Millionen Euro gekostet hat. In militärischer Uniform und mit einem roten Barret auf dem Kopf - passend zu seinem, wie er es nennt, "Krieg" gegen die Staatsanwaltschaft - beteuert Mazare vor den Fernsehkameras seine Unschuld. Im Sommer 2012 gewann der skurrile Bürgermeister - von dem es auch Fotografien in der Aufmachung eines Nazioffiziers und eines Sultans gibt - seine vierte Amtszeit mit 62 Prozent der Stimmen.

Außerhalb des Gerichtssaals geben sich angeklagte Politiker als Männer des Volkes, als Opfer einer Hexenjagd. Ihre Unterstützer stehen geschlossen hinter ihnen. Die durch die Festnahme Mateis ausgelösten Proteste in Navodari ähnelten den Demonstrationen von 2010 in den Städten Craiova und Baia Mare zugunsten von Bürgermeistern, die mittlerweile der Korruption überführt wurden.

Selbst ein Haftaufenthalt ist kein Hindernis für eine Wiederwahl. Der Bürgermeister der Stadt Jilava, Adrian Mladin, und der Bürgermeister von Magurele, Dumitru Ruse, wurden während ihrer Haftstrafe aufgrund von Korruptionsvorwürfen wiedergewählt. Beide Männer legten ihren Amtseid in Polizeibegleitung ab, bevor sie wieder in ihre Zellen zurückgebracht wurden.

Die Stadtbewohner von Ramnicu Valcea ernannten Bürgermeister Mircia Gutau zum Ehrenbürger, nachdem er der Korruption für schuldig befunden wurde. Das vergangenes Jahr gewählte Parlament war das korrupteste in der Geschichte Rumäniens. Gegen zwanzig seiner 588 Mitglieder laufen Ermittlungen wegen Amtsvergehen, und zwei von ihnen wurden bislang verurteilt.

Lob aus Brüssel, Feinde in der politischen Elite

Während die Namensliste zwielichtiger Funktionäre ein schlechtes Licht auf die politische Szene wirft, ist sie für Ankläger ein Triumph. Die nationale Antikorruptionsbehörde, besser bekannt unter ihrem rumänischen Akronym DNA, wurde 2005 gegründet. Damals versuchte Bukarest Brüssel davon zu überzeugen, dass man es mit der Bekämpfung der chronischen Korruption ernst meinte - eine wichtige Bedingung für die Aufnahme in die EU.

Der vom Obersten Gerichtshof nur lose überwachten DNA wurden außerordentliche Befugnisse übertragen - etwa eine spezielle Abhör- und Polizeieinheit, die es ihr erlaubte, das Innenministerium zu umgehen. Die Behörde bewährte sich bald, als sie gegen den ehemaligen Ministerpräsidenten Nastase wegen Missbrauchs öffentlicher Mittel ermittelte. Sie schuf sich Feinde in der politischen Elite und erhielt Lob aus Brüssel.

2012 klagte die DNA etwa 25 Bürgermeister, acht Vizebürgermeister und vier Parlamentsmitglieder an. Ihre Arbeit führte im vergangenen Jahr zur Verurteilung von 743 Personen- doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Etwa 90 Prozent der von der Behörde verfolgten Fälle, die 2012 geklärt wurden, endeten mit Schuldsprüchen.

Selbstmordversuch vor der Festnahme

Zu den Verurteilten zählten zwei Parlamentsmitglieder, ein Minister des Kabinetts, neun Bürgermeister und drei Vizebürgermeister. Ex-Premier Nastase wurde ebenso vergangenes Jahr verurteilt. Als die Polizei ihn festnehmen wollte, schoss er sich in einem missglückten Selbstmordversuch in den Hals. Er überlebte und landete letztendlich im Gefängnis.

Die Zentrale der Behörde befindet sich in einer schmalen, verkehrsreichen Straße in Bukarest. Reporter und Kameraleute belagern den Eingang, trinken Kaffee und rauchen. Sie warten auf die Bürgermeister und Parlamentarier, die in regelmäßigen Abständen das Gebäude verlassen, manche lachend, andere schwitzend, einige in Handschellen.

Von seinem Büro im ersten Stock aus kann der stellvertretende Chefermittler Nistor Calin das graue Parlamentsgebäude sehen, den Amtssitz vieler Ziele seiner Behörde. Er vergleicht die Verfolgung von Politikern durch die DNA mit einer Großwildjagd. Er schmunzelt über die von manchen Rumänen geäußerte Klage, seine Behörde beflecke das Ansehen des Landes durch die Aufdeckung seiner Korruption.

"Es ist, also ob Ihre Schwiegermutter mit Ihrem teuren Auto über eine Klippe gestürzt wäre", scherzt er. "Sollen Sie sich darüber freuen, dass sie tot ist - oder sollen Sie dem Auto nachweinen?" Seiner Ansicht nach weinen die Kritiker der Behörde dem Auto nach. Die Ermittler der DNA sind stolz auf ihre Verurteilungsrate. Die von verurteilten Politikern inszenierten Comebacks kümmern sie nicht.

Kreuzzugartig kämpfender Ermittler

"Das reicht hinunter bis zur Erziehung und der Lebensführung der rumänischen Gesellschaft, die Korruption toleriert", meint Calin, als er zu den vielen Bürgermeistern befragt wird, deren Karrieren nach einer strafrechtlichen Verfolgung wieder in Schwung gekommen sind.

Daniel Morar, Richter des Verfassungsgerichts, der sich als kreuzzugartig kämpfender Ermittler bei der DNA einen Namen gemacht hat, glaubt, dass auch wenn die Proteste zur Unterstützung von korrupten Machthabern den Sinn für Moral eines jeden Bürger beleidigen mögen, sie für den Ankläger irrelevant seien. "Was jeder wissen sollte, ist, dass nicht die Masse für Recht und Ordnung sorgt, wie groß die Proteste auch sein mögen", sagt er. "Das ist die Aufgabe von Experten."

In Anbetracht der Vergangenheit Rumäniens liegt die wahre Überraschung wahrscheinlich eher im Überleben der DNA als in der Vitalität ihrer Ziele. Laut Rechtsexperten verdanke die Behörde ihre Existenz den einzigartigen Bedingungen der vergangenen zehn Jahre, als Rumäniens Machthaber große Anstrengungen unternahmen, um die EU-Beitrittskriterien zu erfüllen.

Politiker haben sich verrechnet

Monica Macovei, eine frühere Justizministerin, die die Entstehung der DNA überwachte, meint, echte Reformen verlangen häufig nach Politikern, die Entscheidungen treffen, die gegen ihre eigenen Interessen gerichtet sind. "Das geht nur im Vorfeld des Beitritts zur Nato oder zur EU."

Seit dem EU-Beitritt 2007 hat Rumänien weniger Anreize, die Korruption im Land zu bekämpfen. Politiker haben versucht, die DNA zu beeinflussen oder einzuschüchtern, und die Parteipresse hat die Mitarbeiter der Behörde diffamiert. In einem Bericht der Europäischen Kommission vom Januar 2013 heißt es, Antikorruptionsermittler wären "an Schikanen grenzende Medienkampagnen" ausgesetzt gewesen.

Macovei, die heute Mitglied des Europäischen Parlaments ist, glaubt, die Situation könnte schlimmer sein. Rumänische Politiker hätten als letzten Ausweg versucht, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die DNA zu schwächen. Sie seien immer noch nicht in der Lage, die Behörde direkt zu blockieren oder aufzulösen, ohne dabei die EU zu verärgern, sagt sie.

Brüssel überwacht weiterhin die geforderten Reformen in Rumänien und veröffentlicht einen jährlichen Fortschrittsbericht, der der EU bis zu einem gewissen Grad als Druckmittel auf die Regierung dient. "Wir hatten Glück, dass wir die Antikorruptionsgesetze noch vor dem EU-Beitritt erlassen haben. Ich glaube nicht, dass dies jetzt noch möglich wäre", meint Laura Stefan, ehemalige Direktorin im Justizministerium, die heute die Europäische Kommission berät. "Die Politiker dachten, dass nach der EU-Integration wieder alles seinen gewohnten Gang gehen würde", sagt sie. "Zum Glück stimmt das nicht ganz."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: