Korruption in Rajoys Regierungspartei:Spanische Sumpflandschaft

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Ein Demonstrant in Madrid hält eine Pappfigur von Regierungschef Rajoy als Torero verkleidet hoch. (Foto: Juan Medina/Reuter)

Der spanische Premier Rajoy äußert sich zur Stunde zu Schwarzgeldvorwürfen, die seine Volkspartei schwer belasten. Die Stimmung in Spanien ist wegen der Wirtschaftskrise ohnehin angeschlagen. Und neun von zehn Bürgern glauben, dass die politische Elite korrupt ist.

Von Thomas Urban, Madrid

Zweifellos haben die anderen Granden in der konservativen Volkspartei (PP) den spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy dazu gebracht, an diesem Donnerstag vor dem Abgeordnetenhaus in Madrid eine Erklärung zum Fall Bárcenas abzugeben. Denn die jüngsten Umfragen zeigen, dass die mit der absoluten Mehrheit der Abgeordneten regierende PP in der Gunst der Wähler abgestürzt ist: von 44,6 Prozent bei den Parlamentswahlen 2011 auf rund 25 Prozent. Den Hauptgrund sehen die Politologen in den Aussagen des seit zwei Monaten inhaftierten früheren PP-Schatzmeisters Luis Bárcenas: Dieser erklärte dem Untersuchungsrichter, er habe viele Jahre lang Schwarzgeld vor allem aus der Bauwirtschaft in bar an die Spitzenleute seiner Partei verteilt, darunter an Rajoy. Dieser hat bislang bestritten, jeweils "illegale Gelder" bekommen zu haben, aber nie dazu ausführlich Stellung nehmen wollen. Die Affäre wird angesichts der Umfragen zur Parteienpräferenz als akute Bedrohung für die Zukunft der PP angesehen.

Auch andere Umfragen zeigen ein eindeutiges Stimmungsbild: 85 bis 90 Prozent der Spanier glauben, dass ihre politische Elite korrupt ist. Überdies vertreten nahezu drei Viertel der Befragten die Ansicht, dass es dabei unter den beiden großen Parteien, neben der PP die Sozialisten (PSOE), keine Unterschiede gebe. In der Tat musste auch PSOE-Generalsekretär Alfredo Rubalcaba in den vergangenen Monaten immer wieder zu Korruptionsskandalen in den eigenen Reihen Stellung nehmen. Das renommierte Elcano-Institut in Madrid hat ermittelt, dass mehr als die Hälfte der Spanier wegen der Affären um den Ruf ihres Landes bei den Nachbarn fürchtet.

Politologen sind sich einig darin, dass die Korruption erst wegen der derzeitigen Wirtschaftskrise zum alles beherrschenden Thema in den Medien geworden ist. Als das Land noch zu Boomzeiten einen vermeintlichen Wirtschaftserfolg nach dem anderen feierte, gab es nur wenig Aufregung darüber. Erst nach dem Platzen einer gigantischen Immobilienblase 2008 machte das Netzwerk "Gürtel" Schlagzeilen: Der mittlerweile inhaftierte Unternehmer Francisco Correa hatte als Mittelsmann systematisch Kontakte zwischen Bauunternehmern und PP-Politikern hergestellt: Öffentliche Aufträge wurden zu exorbitant überzogenen Preisen abgerechnet, die Differenz zu den tatsächlichen Kosten wurde aufgeteilt. Ein des Deutschen mächtiger spanischer Ermittler kam nach dem Familiennamen des Hauptverdächtigen auf den Codenamen Gürtel.

Die Gürtel-Affäre, bei der es offenkundig Querverbindungen zu den von Bárcenas geführten Schwarzgeldlisten gibt, nahm in diesen Tagen noch eine pikante Wendung. Experten legten nämlich in einer der zahlreichen TV-Runden dazu dar, dass in Spanien ein Kilometer Autobahn im Durchschnitt doppelt so viel gekostet habe wie in der Bundesrepublik. Da die Europäische Union meist die Hälfte der Kosten für Großprojekte zur Verbesserung der spanischen Infrastruktur übernommen hat, bedeuten diese Rechnungen nichts anderes, als dass auch Milliarden an Steuergeld aus den europäischen Nachbarländern in Privatschatullen geflossen sind - auf diese Weise bekomme die deutsche Bezeichnung Gürtel einen besonderen Hintersinn, lästerte ein Madrider Kommentator im Hinblick auf die Bundesrepublik als größten Nettozahler in der EU.

Als wichtiges Datum in der Gürtel-Chronologie gilt ein großes Fest in der traditionsreichen Klosterfestung El Escorial im September 2002: die Hochzeit der Tochter des damaligen konservativen Premiers José María Aznar. Geladen waren nicht nur das Königspaar, das gesamte Kabinett und die Regierungschefs José Manuel Barroso, Silvio Berlusconi und Tony Blair, sondern auch Correa und andere Gürtel-Akteure. Die Hochzeitssause gilt auch aus anderem Grunde als Symbol für die spanische Krise: Es war damals für die prunksüchtigen Politiker - und auch die meisten Medien - eine Selbstverständlichkeit, dass der Regierungschef den Staatsapparat für eine private Feier einsetzt. Allein die Kosten für die Sicherheitsmaßnahmen sollen mehrere Millionen Euro betragen haben.

Doch haben die großen Durchstechereien und Kungeleien nicht erst mit dem Amtsantritt Aznars 1996 eingesetzt. Vielmehr war schon die Endphase der langen Regierungsjahre seines sozialistischen Vorgängers Felipe González nicht nur von einer Wirtschaftskrise mit 25 Prozent Arbeitslosigkeit, sondern auch von Korruptionsaffären überschattet. Das seit 34 Jahren ununterbrochen von Sozialisten regierte Andalusien gilt bis heute als Schauplatz besonders dreister Fälle von Bereicherung und Veruntreuung. Zuletzt wurde bekannt, dass Regional- und Lokalpolitiker der PSOE Arbeitslosengeld systematisch an Verwandte weitergeschleust haben, das Gesamtvolumen soll weit mehr als 100 Millionen Euro betragen. Vermutlich wegen dieser Affäre hat der Regionalpremier José Antonio Griñán, der auch Präsident der nationalen PSOE-Organisation ist, für Ende August seinen Rücktritt angekündigt.

Andere PSOE-Politiker sind in die "Pokémon"-Affäre verwickelt, die die Ermittler so genannt haben, weil wie bei dem japanischen Computerspiel dabei "immer neue Figuren" auftauchen. Doch nur wenige Experten finden sich noch in den Grafiken zurecht, die alle diese Netzwerke darstellen. Einfacher liegen die Dinge im Falle Iñaki Urdangarin. Der Mann der Königstochter Cristina soll als Inhaber einer Firma, die Kongresse ausrichtet, ebenfalls Millionen an Steuergeld veruntreut haben, offenbar im Glauben, als Mitglied des Königshauses sei er unantastbar. Das Verfahren findet mit großem Medienrummel in Palma de Mallorca statt.

Eine älter Korruptionsaffäre auf den Balearen machte kürzlich Schlagzeilen: Der Oberste Gerichtshof reduzierte die Strafe für den früheren konservativen Regierungschef der Balearen, Jaume Matas. Er sollte wegen Korruption für sechs Jahre hinter Gittern. Nun machten die Obersten Richter aus dem Urteil der ersten Instanz neun Monate auf Bewährung. Allerdings wurden die frühere Parlamentspräsidentin, María Antonia Munar, und der frühere Touristikminister der Balearen, Miquel Nadal, wegen Bestechlichkeit zu sechs und vier Jahren Gefängnis verurteilt. Beide gehörten der kleinen Regionalpartei Unió Mallorquina an. Und deren Mitglieder haben nach Meinung von Kommentatoren nicht ausreichend Rückhalt im Justizapparat - im Gegensatz zu den beiden großen Parteien PP und PSOE. So glaubt denn die große Mehrheit Umfragen zufolge, dass die Fälle Gürtel und Bárcenas bis auf ein paar Bauernopfer im Sande verlaufen würden.

© SZ vom 01.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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