Süddeutsche Zeitung

Korruption:Amt oder Anklage

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Israels Generalstaatsanwalt will Benjamin Netanjahu wegen Bestechlichkeit, Betrug und Vorteilsgewährung vor Gericht bringen. Warum ein Prozess gegen den Premierminister jetzt näher rückt.

Von Moritz Baumstieger

Manchmal schafft es die Politik, wissenschaftliche Gesetze auszuhebeln. Wie es nach den Wahlen vom Dienstag für Israels Regierung und deren Chef Benjamin Netanjahu weitergeht, lässt sich etwa nur unter Missachtung der Regeln der Mengenlehre beantworten. Die Mengen der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und der Regierungsgewalt sind zwar strikt getrennt, in der Frage nach der politischen Zukunft des Landes überlappen sie sich jedoch. Für Benjamin Netanjahus persönliches Schicksal wird entscheidend sein, dass sie eine Schnittmenge bilden.

Will der bisher am längsten amtierende Premier Israels an der Spitze der Exekutive bleiben, braucht er eine Mehrheit in der gesetzgebenden Versammlung, der Knesset. Die zu finden könnte aber wie nach der Wahl im April auch daran scheitern, dass Netanjahu Koalitionsverhandlungen mehr oder weniger offen mit einer juristischen Frage verknüpft. Er steht unter dem Verdacht des Betrugs, der Korruption und der Vorteilsgewährung - und will deshalb ein Immunitätsgesetz, das ihn dem Zugriff der Judikative entzieht.

Israels Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit hat in drei Fällen ermittelt und Anklage empfohlen. Im sogenannten Fall 1000 geht es um teure Geschenke, die der Premier und seine Ehefrau Sara angenommen und teils auch eingefordert haben sollen. Das Ehepaar erfreute sich an edlen Zigarren, Champagner, Juwelen - in Maßen, die nicht mehr als kleine Aufmerksamkeiten durchgehen können. Der Wert der in die Jerusalemer Residenz des Premiers gelieferten Luxusartikel beträgt mehrere Hunderttausend Euro. Im Gegenzug soll Netanjahu etwa seinen damaligen Finanzminister gebeten haben, einem Gönner in Steuerfragen entgegenzukommen.

Im sogenannten Fall 2000 versuchte Netanjahu, den Chefredakteur der Zeitung Yedioth Ahronoth zu einer positiveren Berichterstattung zu bewegen, und bot im Austausch an, den Erfolg des gratis verteilten Konkurrenten Israel HaYom durch Gesetze ein wenig zu erschweren. Dass Israel HaYom seinem Unterstützer Sheldon Adelson gehört, schien den Premier damals nicht zu stören - was sich nun rächen könnte. Adelsons Frau Miriam, die Herausgeberin der Gratiszeitung, hat ausgesagt.

Am brisantesten ist indes der sogenannte Fall 4000. Dem größten Anteilseigner von Israels Telekommunikationsgiganten Bezeq soll Netanjahu Vorteile im Gegenzug für positive Berichterstattung auf dessen Online-Portal Walla News nicht nur angeboten haben, sondern durch die Lockerung von Vorschriften auch verschafft haben. Großaktionär Shaul Elovitch soll so Hunderte Millionen Dollar eingenommen haben. Juristen gehen davon aus, dass es in den Fällen 1000 und 4000 noch in diesem Jahr zu einer Anklage kommt.

Eine Koalition mit Likud ist für Gantz vorstellbar - ein Gesetz zur Immunität Netanjahus aber nicht

Zuvor ist für den 2. Oktober eine letzte Anhörung Netanjahus angesetzt. Der bestreitet alle Vorwürfe, behauptet, eine Verschwörung politischer Gegner, der Medien und der Justiz wolle mit juristischen Mitteln erreichen, was bisher durch Wahlen misslang: ihn aus dem Amt zu entfernen. Wenn es zu einer Verurteilung käme, müsste der Premier zurücktreten. Bis dahin kann er - rein rechtlich gesehen - weiterregieren, solange er eine Mehrheit hat.

Dass er das Amt nicht freiwillig aufgeben wird, hat Netanjahu oft angekündigt; einen Rücktritt für den Fall einer Anklageerhebung hält er für unnötig. Zumindest das sah Netanjahu einmal anders - als Oppositionsführer drängte er 2009 den damaligen Premier Ehud Olmert wegen einer Anklage zum Amtsverzicht. Aus dem Schicksal seines Vorgängers, der nach 16 Monaten Haft wegen Korruption wieder auf freiem Fuß ist, scheint Netanjahu noch etwas gelernt zu haben. Wie am Mittwoch bekannt wurde, versucht der Premier für seine Anhörung den Mann als Rechtsbeistand zu gewinnen, der Olmert hinter Gitter brachte. Uri Korb war damals Staatsanwalt, kaum einer ist mit den rechtlichen Feinheiten in solchen Fällen so gut vertraut wie er.

Ebenfalls spätestens am 2. Oktober muss Präsident Reuven Rivlin einen Politiker mit der Regierungsbildung beauftragen. Wer das sein wird, ist ungewiss: Netanjahus Likud und das blau-weiße Bündnis von Benny Gantz liegen fast gleichauf, eine Regierung der nationalen Einheit ist wahrscheinlich. Mit dem Likud würde er nach einem Abgang Netanjahus koalieren, hatte Gantz lange gesagt, nach der Wahl betonte er lieber inhaltliche Schnittmengen, vor allem in Sicherheitsfragen. So will der ehemalige Armeechef sogar ein noch schärferes Vorgehen gegen die Hamas im Gazastreifen, als es bisher die Regierung Netanjahu für richtig erachtet hat. Unvorstellbar jedoch ist, dass er einem Gesetz zustimmen würde, das den Mann vor Strafverfolgung schützen soll, den zu stürzen er angetreten ist. Nur ein paar wissenschaftliche Gesetze auszuhebeln - das wird Netanjahu nun wohl nicht reichen, um an der Macht zu bleiben.

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SZ vom 19.09.2019
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