Korrespondenten über Koalitionsgespräche:"Die Welt lässt sich nicht in einem deutschen Koalitionsvertrag regeln"

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Im Dunkeln in der Kälte: Auch am Dienstagabend wartete vor dem Konrad-Adenauer-Haus wieder ein Pulk frierender Journalisten auf Neuigkeiten aus den Koalitionsgesprächen. (Foto: dpa)

Deutsche Liebe zum Klein-Klein, panische Angst vor Minderheitsregierungen: Ausländische Journalisten in Berlin haben ihren Lesern während der Koalitionsverhandlungen einiges zu erklären.

Protokolle von Hannah Beitzer, Berlin

Sie frieren mit ihren deutschen Kollegen vor den Parteizentralen und tun sich langsam schwer, ihren Lesern zu Hause zu erklären: Warum dauert das so lange mit den deutschen Koalitionsgesprächen? Wir haben europäische Journalisten-Kollegen am angeblich wirklich letzten Tag der Verhandlungen nach ihrer Meinung zur deutschen Regierungsbildung gefragt.

Derek Scally, Irland, Irish Times

Wäre ich Wolf in Deutschland, wäre ich fast geschmeichelt, dass sogar meine Zukunft - abknallen oder nicht - Thema beim Koalitionspoker in Berlin war. Als Ire und Europäer bin ich allerdings nur sehr, sehr müde. Wofür sich die deutschen Politiker alles Zeit nehmen! Als ob sie vergessen hätten, dass nicht nur die halb erfrorenen Hauptstadtjournalisten vor den Parteizentralen auf sie warteten, sondern auch 500 Millionen Europäer. Und das seit 19 Wochen. Als Auslandskorrespondent komme ich langsam an meine Grenzen zu erklären, warum es so lange dauert.

Um diese Pattsituation zu erklären, muss man die spezifisch deutsche Besessenheit vom Klein-Klein verstehen. Nach fast 20 Jahren in Berlin weiß ich zwar, dass man hier gern alles regelt. Aber die ganze Welt lässt sich nicht in einem deutschen Koalitionsvertrag regeln! Mindestens seit der Euro-Krise wissen wir, wie schnell Koalitionsvereinbarungen im Altpapier landen, wenn eine Regierung auf unerwartete Ereignisse reagieren muss. Fahren auf Sicht ist doch eigentlich Frau Merkels Spezialität!

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Warum also versucht man alles bis ins Kleinste zu vereinbaren, als ob wir hier von einer Schrebergartenkolonie reden würden? Vor allem, weil die Sprache der fertigen Koalitionsverträge ohnehin oft so luftig, so ungefähr, so Merkel ist, dass man sich fragt: Hätten wir uns die langen Verhandlungen nicht sparen können? Schlagzeilen nennen, Hauptziele bestimmen und den Rest in Fachausschüssen aushandeln - nachdem die Regierung die Arbeit aufgenommen hat?

Als Irish Times-Korrespondent ist es auch schwer zu erklären, warum nun noch 460 000 SPD-Mitglieder quasi eine Volksabstimmung über die nächste Regierung abhalten dürfen, während die anderen 61 Millionen deutschen Wähler vor der Tür warten. Wir Iren wurden in Deutschland für unsere direkte Demokratie in Sachen EU-Verträge oft verspottet oder sogar angefeindet. Nun hat man hier durch die Hintertür eine viel zweifelhaftere Volksabstimmung eingeführt.

Wenn die SPD-Basis so wenig Vertrauen in die eigene Führungsmannschaft und deren Verhandlungsgeschick hat, soll sie sich doch eine neue Spitze suchen. Oder - frei nach Brecht - die SPD-Spitze soll die eigene Basis auflösen und eine neue wählen. Wie Frau Merkel zu Recht sagt: Die Welt wartet nicht auf Deutschland. Europa hat aber leider keine Wahl. Und das seit September. Aber Leute, warten wir hier auf eine neue Bundesregierung oder auf Godot?

Die Italiener sind nicht sehr besorgt wegen der langen Koalitionsverhandlungen. Italien steckt schließlich ständig in einer Regierungskrise, wählt eine neue Regierung oder wartet auf eine neue Regierung. In Deutschland ist Stabilität das höchste Gut, diese Obsession ist für die italienische Auffassung ein bisschen zu stark. Immerhin gibt es hier eine geschäftsführende Regierung und die arbeitet im Großen und Ganzen gut.

Dazu kommt: Wir haben in Italien selbst bald Wahlen, vielleicht die schwierigsten seit Jahrzehnten. Es ist völlig unklar, welche Regierung in meinem Heimatland überhaupt zustande kommt, ob sie proeuropäisch sein wird oder gegen Europa. Das beschäftigt die Menschen dort gerade mehr als die deutschen Koalitionsgespräche.

Trotzdem machen sich viele Italiener Sorgen in Bezug auf die deutsche Regierungsbildung. Sie haben Angst, dass die neue Regierung im Schulterschluss mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Europa voranschreitet - und Italien, immerhin nach dem baldigen Brexit das drittgrößte Land der EU, außen vor bleibt. Dabei spielt sicher eine Rolle, dass sich Italien zuletzt schon in der Migrationspolitik alleingelassen gefühlt hat.

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Besonders interessant ist für uns allerdings, was gerade in der SPD passiert. In Italien gibt es sehr starke Forderungen nach direkter Demokratie. Traditionelle Parteien haben dort einen schlechten Ruf. In den 1990er Jahren gab es einen großen Korruptionsskandal um die bis dato bestimmenden Parteien. Damals entstand die Forza Italia von Silvio Berlusconi, die sich bewusst nicht "Partei" nannte. Heute speist sich der Erfolg der Fünf-Sterne-Bewegung aus demselben Misstrauen gegenüber der politischen Elite.

Während in Italien also populistische Bewegungen von der Forderung nach mehr Mitbestimmung profitieren, will in Deutschland die SPD beweisen, dass ihre interne Demokratie, basierend auf einer alten Struktur wie der einer Partei, viel besser funktioniert als die direkte Demokratie dieser neuen politischen Bewegungen. Für uns ist das kein Zeichen von Schwäche, sondern es könnte ein Vorbild sein.

Dass die Verhandlungen so lange dauern, zeigt, dass sich das politische System in Deutschland verändert hat. Die AfD hat die Mehrheitsverhältnisse durcheinandergebracht. Und ich denke, das wird auf absehbare Zeit so bleiben. Wir in Dänemark haben schon Anfang der Nullerjahre mit der rechten Dänischen Volkspartei ganz ähnliche Erfahrungen gemacht - wenngleich die wesentlich moderater ist als die AfD.

Die derzeitige bürgerliche Koalition hat zum Beispiel keine eigene Mehrheit, sie arbeitet teilweise mit der Dänischen Volkspartei zusammen. Deswegen können die Dänen auch nicht ganz nachvollziehen, warum die Deutschen so große Angst vor einer Minderheitsregierung haben. Wir haben damit schon länger Erfahrung. Aber klar, die Deutschen haben einen ganz anderen historischen Hintergrund als wir. Die deutsche Politik hat meiner Einschätzung nach aber noch nicht so richtig realisiert, wie groß die Veränderungen in ihrem Land tatsächlich sind.

Mein Eindruck ist: Viele Schwierigkeiten der deutschen Regierungsbildung haben auch damit zu tun, dass die SPD mit ihrem Chef Martin Schulz so schwach ist. Die Partei weiß überhaupt nicht, wo sie hin will und gibt kein gutes Bild ab. Die dänischen Sozialdemokraten stehen in Umfragen besser da als die deutschen, sie erhalten mehr als 30 Prozent. Sie haben sich ganz anders ausgerichtet als die deutschen, sie verfolgen in der Asylpolitik einen rigorosen Kurs, fordern zum Beispiel Aufnahmezentren in Afrika. Wie immer man das auch findet, bei den Wählern kommt es besser an als der unsichere Kurs der deutschen SPD.

Die Asylpolitik ist auch das wichtigste Thema, wenn Dänen über die deutsche Politik reden. Das war auch während der Koalitionsverhandlungen so. Und zwar sowohl bei denen, für die Kanzlerin Angela Merkel eine humanistische Heldin ist, als auch bei denen, die ihre Politik als katastrophal empfinden.

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