Süddeutsche Zeitung

Konflikt mit den USA:Nordkorea: Die Spur des Hasses

US-Truppen legten im Koreakrieg ganze Städte in Schutt und Asche. Warum Nordkoreas Feindschaft gegen die Vereinigten Staaten so tief verwurzelt ist.

Von Christoph Neidhart

Am Ufer des Potong in Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang liegt ein altes Schiff vertäut, die USS Pueblo. Junge Soldatinnen führen die Besucher an Bord, auf das "siegreiche Kriegsmuseum". Die Pueblo, ein ehemaliger Frachter, war ein amerikanisches Spionageschiff, das Nordkorea kaperte. Sogar Diktator Kim Jong-un machte dem verrotteten Boot seine Aufwartung, 2013 wurde der rote Teppich für ihn ausgerollt. Nordkorea präsentiert die Pueblo als Zeuge seines heroischen Kampfes gegen die "US-Imperialisten".

Das Schiff kreuzte 1968 vor Nordkoreas Ostküste, um das Land und seine Armee mit Radioempfängern auszuspähen. Pjöngjang behauptet, sie habe sich in seiner Hoheitszone befunden, als nordkoreanische Schiffe sie am 23. Januar stellten. Washington erklärt dagegen, sie sei in internationalen Gewässern gewesen. Die Pueblo versuchte noch zu entkommen, war aber zu langsam. Es fielen Schüsse, ein Crew-Mitglied starb. Die übrigen 82 blieben elf lange Monate in Nordkorea gefangen, bis Pjöngjang sie nach einer Entschuldigung der USA entließ. Seit 1998 wird das Schiff in Pjöngjang als Siegestrophäe ausgestellt.

Es ist ein Symbol für den Hass der Nordkoreaner auf die USA. Dieser Hass wird meist mit dem Koreakrieg (1950 - 53) erklärt, der offiziell bis heute nicht beendet, sondern nur durch einen Waffenstillstand unterbrochen ist. Doch die Vorgeschichte reicht weiter zurück. Am Ende des Zweiten Weltkriegs war die Sowjetunion in den Krieg gegen Japan eingetreten, die Kolonialmacht in Korea. Die Rote Armee rückte im August 1945 schnell nach Süden vor. Die USA fürchteten, Stalin könnte ganz Korea unter seine Kontrolle bekommen, sie definierte deshalb die südliche Hälfte der Halbinsel als ihre Einflusssphäre, mit dem 38. Breitengrad als Grenzlinie. Noch heute ist sie die innerkoreanische Grenze.

Im Koreakrieg starben allein im Norden etwa 1,5 Millionen Menschen

Dabei war niemandem in Washington bewusst, dass die verhasste Kolonialmacht Japan diese Linie schon einmal 1896 als Grenze von Einflusssphären definiert hatte, damals mit dem Zarenreich. Nach seinem Sieg im russisch-japanischen Krieg 1905 machte Tokio dann die Halbinsel, die strategische Mitte Nordostasiens, nach der auch Russland und China gegriffen hatten, zu seinem Protektorat, 1910 zur Kolonie. Bauern aus Japan siedelten nach Korea um, sie annektierten mehr als die Hälfte des Agrarlandes. Koreanische Schulen und die Sprache wurden verboten, die Menschen mussten japanische Namen annehmen. Allerdings kollaborierten viele Angehörige der Elite mit den Japanern. Manche Kollaborateure arbeiteten später für die Amerikaner und spielten beim Aufbau von Südkorea eine tragende Rolle, allen voran Militärdiktator Park Chung-hee. Er war einst ein Offizier der japanischen Armee.

Der Zweite Weltkrieg befreite Korea von den japanischen Besatzern, aber er spaltete es auch. Gespräche, das besetzte Land zu vereinen, scheiterten. Von 1948 an reklamierte auf beiden Seiten eine Regierung die Souveränität über die ganze Halbinsel. Ein Beauftragter Josef Stalins stülpte die Gesellschaft der nördlichen Hälfte nach sowjetischem Muster um und installierte Kim Il-sung, den Großvater des heutigen Machthabers, 1949 als Chef der "Arbeiterpartei Koreas". Kim hatte sich im Widerstand gegen die Japaner einen Namen gemacht und später in der Roten Armee gedient. Nordkorea beanspruchte das Erbe dieses Widerstands von Anfang an für sich. Es betrachtet die Regierung im Süden bis heute als Marionette Washingtons. Und die Amerikaner, auch weil sie sich auf die alten Kollaborateure stützten, als Nachfolger der japanischen Kolonialherren. Das verstärkt den Abscheu gegen die USA.

Am 25. Juni 1950 marschierte Kim Il-sung nach Südkorea ein, um das ganze Land unter seine Kontrolle zu bringen. Binnen weniger Wochen kontrollierten seine Truppen fast die ganze Halbinsel. Dann aber landete US-General Douglas MacArthur, gestützt durch ein Mandat der UN, im September 1950 und fiel den Nordkoreanern in die Flanke. In wenigen Wochen überrannten seine Truppen Nordkorea. An der Seite der Amerikaner kämpften 15 weitere Länder, unter ihnen Großbritannien, Belgien, Luxemburg, Neuseeland, Thailand, Äthiopien, Kolumbien und Griechenland. Als die Soldaten im Spätherbst 1950 Chinas Grenze erreichten, eilte dessen Volksarmee den Nordkoreanern zu Hilfe. Im Januar 1951 schlugen sie die Amerikaner hinter den 38. Breitengrad zurück. Ein übler Vernichtungskrieg folgte, bei dem die Amerikaner alle Städte Nordkoreas zerstörten. Sie warfen 635 000 Tonnen Bomben über dem kleinen Land ab, mehr als im Zweiten Weltkrieg in allen Schlachten um den Pazifik. Etwa 1,5 Millionen Nordkoreaner kamen ums Leben. Die Frontlinie jedoch verschob sich kaum mehr. Im Juli 1953 unterzeichneten Nordkorea und China mit den USA als Vertreter der UN in Panmunjom den Waffenstillstand, der bis heute gilt. Südkorea machte nicht mit, sein damaliger Autokrat Syngman Rhee wollte die Wiedervereinigung mit Gewalt erkämpfen. Aus der Sicht des Nordens hat Südkorea sich damit als Verhandlungspartner disqualifiziert.

Die Pueblo-Affäre 1968 brachte Nordkorea und die USA dann erneut an den Rand eines bewaffneten Konflikts. Zur gleichen Zeit kämpften die USA in Vietnam gegen die Tet-Offensive des Vietcong, eine der größten Schlachten des Kriegs. Über Vietnam warfen die USA vier mal mehr Bomben ab als über Nordkorea. Dennoch haben sich Vietnamesen und Amerikaner später versöhnt. Pjöngjang dagegen pflegt seinen Groll weiter. Vielleicht, weil es, anders als Hanoi, den Krieg nicht gewonnen hat.

Korea ist eine von den japanischen Kolonialherren und vom Krieg geschundene Nation; der herrschende Nationalismus, im Süden wie im Norden, kultiviert das Bewusstsein als Opfer der Geschichte. Dabei hat das Regime im Norden den unversöhnlichen Autoritarismus der Japaner übernommen - und deren Personenkult, nach dessen Vorbild die Verehrung der Kim-Dynastie geformt ist. Wie das Vorkriegs-Japan ist das Regime Nordkoreas zu stolz für Kompromisse. Die eigenen Gräuel dagegen verharmlost Nordkorea, oder es feiert sie sogar, etwa den "Axt-Zwischenfall" 1976. Damals schlugen nordkoreanische Soldaten an der "Brücke ohne Wiederkehr" an der Grenze zwei US-Offiziere tot, die eine Pappel fällen wollten. Das verhalf Nordkorea zum nächsten Heldenmythos des Widerstands gegen Amerika. Und löste die nächste Krise aus. Sie sind bisher alle nach ähnlichen Mustern abgelaufen. Nordkorea provoziert oder fühlt sich provoziert und schlägt zurück. Beim Axt-Zwischenfall soll die Pappel, die die Amerikaner fällen wollten, von Kim Il-sung gepflanzt worden sein. Man hackt verbal immer schärfer aufeinander ein, bis beide Seiten erkennen, dass sie sich verrannt haben.

Bereits 1994 kam es zur ersten Krise wegen des Atomprogramms

Diktaturen brauchen Feindbilder, vor allem Regime, die nicht in der Lage sind, die Grundbedürfnisse ihres Volkes zu befriedigen. In den Jahren nach dem Koreakrieg stand der Norden wirtschaftlich besser da als der Süden; doch spätestens mit dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums, das den Verbündeten im Osten stützte, litten die Nordkoreaner unter Mangel und Hunger. Pjöngjang war plötzlich allein; seither pflegt seine Propaganda das Feindbild Amerika erst recht. Unklar ist, wie sehr die Menschen abseits von Staats- und Parteiführung Amerika hassen. Die ständige Propaganda dürfte aber kaum spurlos an ihnen vorübergehen.

1994 entdeckte Washington, dass Pjöngjang dabei ist, Atomwaffen zu entwickeln. Diese "erste Nuklearkrise" führte fast zum Krieg, der damalige US-Präsident Bill Clinton erwog einen Präventivschlag gegen die Atomanlagen in Yongbyon. Dann lief die Krise nach dem bekannten Muster ab. Im "Genfer Rahmenabkommen" vom Herbst 1994 verzichtete Pjöngjang auf Atomwaffen, die USA versprachen dafür zwei Leichtwasserreaktoren. Tauwetter setzte ein, US-Außenministerin Madeleine Albright besuchte Pjöngjang, selbst über eine Visite Clintons wurde nachgedacht. Allerdings hielten sich weder Washington noch Pjöngjang genau an das Abkommen, die USA lieferten nie die Reaktoren, Pjöngjang stoppte sein Atomprogramm nur teilweise. Clintons Nachfolger George W. Bush ließ das Abkommen platzen. Sein Vize Dick Cheney forderte einen gewaltsamen Regimewechsel in Pjöngjang.

Robert Carlin, langjähriger CIA-Experte für Nordkorea, hält Bushs Platzenlassen des Genfer Abkommens für einen der größten Fehler der US-Außenpolitik. Es habe ein ständiges Forum für Gespräche geboten und vor allem Vertrauen geschaffen. Seither werde der Ton zwischen beiden Ländern immer schriller. Das vermochten auch die Sechs-Parteien-Gespräche, der von China initiierte Versuch, Nordkorea mit Hilfe seiner Nachbarn zu denuklearisieren, nicht mehr zu ändern. Der gegenwärtige verbale Schlagabtausch ist nur der jüngste Höhepunkt dieser ewigen Krise.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3625783
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.08.2017/bemo
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.