Korea:Mit der Bombe leben lernen

Südkoreas Regierung will auf das Gesprächsangebot des Nordens eingehen. Doch wie ernst ist es Diktator Kim Jong-un mit Versöhnung? Die Atomwaffen wird er nicht aufgeben. Sie sind alles, was er hat.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Korea: Instrumentiert Nordkorea die Spiele? Die Symbole von Olympia und den Paralympics, Tiger und Bär (rechts), in Seoul.

Instrumentiert Nordkorea die Spiele? Die Symbole von Olympia und den Paralympics, Tiger und Bär (rechts), in Seoul.

(Foto: Ahn Young-joon/AP)

Südkoreas Regierung hat auf das Gesprächsangebot des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un sofort reagiert. Kim hatte in seiner Neujahrsansprache gesagt, er sei bereit zu reden. Außerdem will er Athleten zu den Olympischen Spielen in Pyeongchang im Süden schicken. "Zu diesem Zweck können sich die beiden Koreas sofort treffen", sagte Kim in seiner vom Fernsehen übertragenen Rede. Er hoffe, die "Winterspiele werden zu einem Erfolg für den Süden".

Die USA warnte der Diktator, Nordkoreas Atomwaffen seien eine Tatsache, keine Drohung. Sein Land habe damit ein historisches Ziel erreicht. "Jetzt müssen wir Atomsprengköpfe und Raketen massenhaft produzieren und stationieren." Auf seinem Schreibtisch sei ein Atomknopf installiert: "Die USA können nie einen Krieg gegen mich und mein Land starten."

Donald Trumps erste Reaktion auf Kims Entgegenkommen: "Wir werden sehen."

Der südkoreanische Präsident Moon Jae-in hatte sich zuvor dafür eingesetzt, dass Nordkorea Teams nach Pyeongchang und zu den Paralympischen Spielen im März schickt. Sein Vereinigungsminister Cho Myong-gyon sagte am Dienstag, Südkoreas Regierung sei "unabhängig von Zeit, Ort und Format zu Gesprächen bereit". Er rief den Norden zu einem "hochrangig besetzten Treffen" in Panmunjom auf. Seoul strebt ein Treffen am 9. Januar mit Ministern oder Vizeministern an. Auf Regierungsebene haben die beiden Koreas seit 2015 nicht miteinander gesprochen. Kim hatte Seoul bisher in jeder seiner inzwischen sechs Neujahrsansprachen Versöhnungsangebote gemacht - und die USA bedroht; von Jahr zu Jahr wird er selbstbewusster. Er nannte mindestens drei Ziele für Raketen. Dahinter steckt, dass Kim eine Exit-Strategie braucht.

US-Präsident Donald Trump kommentierte die Entwicklung mit den Worten: "Wir werden sehen." Nach Angaben des Vereinigungsministers hat Seoul sein Gesprächsangebot mit Washington abgestimmt. Das chinesische Außenministerium begrüßte die "Anstrengung beider Koreas, ihre Beziehungen zu verbessern". Das Ziel bleibe die Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel. Auch Südkoreas Präsident Moon forderte eine "Lösung des Atomproblems".

Moon wies das Außenministerium an, sich eng mit der internationalen Gemeinschaft darüber abzustimmen, wie die Verbesserung des innerkoreanischen Verhältnisses und eine Beilegung des Atomstreits "zur gleichen Zeit" behandelt werden könnten. Dass Nordkorea auch über sein Programm zur massiven Aufrüstung mit Atomwaffen sprechen will, gilt in Südkorea allerdings als zweifelhaft. Südkorea stärkt wegen der Bedrohung durch nordkoreanische Atomraketen seine Raketenabwehr und organisiert regelmäßig gemeinsame Militärmanöver mit den USA. Nordkorea braucht die Wirtschaftshilfe des Südens. Die meisten Südkoreaner halten es deshalb für unwahrscheinlich, dass Kim Olympia stören wird. Nun zeigt sich, dass er eher versucht, die Spiele zu instrumentalisieren. Zugleich will er offenbar einen Keil zwischen Seoul und Washington treiben. Schon sein Großvater hatte als Staatschef an den unterschwelligen Antiamerikanismus der südkoreanischen Linken appelliert. In Seoul argwöhnt man, falls Gespräche zustande kommen, könnte der Norden seine Beteiligung an Olympia vom Abbau der Sanktionen abhängig machen, die gegen das Land verhängt wurden. Südkoreas Premierminister Lee Nak-yon befürchtet gar, Nordkorea wolle vom Süden als Atommacht anerkannt werden. Viele Experten halten die angeblichen Kapazitäten der Raketen allerdings für übertrieben. Trotzdem hat sich die Weltöffentlichkeit darauf geeinigt, Nordkorea als ernsthafte Bedrohung der USA wahrzunehmen. "Nordkorea versucht dem Westen vorzugaukeln, es habe bessere Waffen, als es wirklich hat", sagte Lance Gatling, ein führender amerikanischer Raketenexperte, jüngst in Tokio.

Gatling bezweifelt, dass Nordkorea in der Lage ist, eine Flugbahn zu vermessen; also aus seinen "Tests" zu lernen. Es verfüge auch nicht über die Präzisionsinstrumente, die für zielgenaue Raketenabschüsse erforderlich seien. "Bisher hat Nordkorea gezeigt, dass es den Pazifik treffen kann. Wie genau ist das?", spottete der Raumfahrt-Ingenieur. Georgij Toloraja von Russlands Akademie der Wissenschaften hält Kims Erklärung, sein Waffenprogramm sei komplett, für "sichtbar verfrüht". Indem Trump den Nordkoreaner zur Gefahr für den Weltfrieden stilisiert, macht er ihn militärisch stärker, als er ist.

Man sollte lernen, mit der Bombe zu leben, empfiehlt ein Experte

Brad Glosserman vom Center for Strategic & International Studies (CSIS), der die USA schon in informellen Verhandlungen mit Nordkorea vertreten hat, sagte jüngst in Tokio: "Niemand glaubt mehr, dass Kim seine Atomwaffen aufgeben wird. In Japan nicht, in China nicht, in Südkorea nicht. Und in Nordkorea sowieso nicht." Das Überleben des Regimes hänge von ihnen ab, und auch Kims persönliches Überleben. "Sie sind alles, was er hat." In künftigen Verhandlungen könne es deshalb darum gehen, Nordkoreas beschränkte Atomkapazität zu akzeptieren, ohne es als Atommacht anzuerkennen. Mit Pakistans Bombe habe die Welt auch zu leben gelernt.

Georgij Toloraja, der zweimal als Diplomat in Pjöngjang stationiert war, schreibt, Nordkorea verfüge nicht über eine Nukleardoktrin. Die Funktionäre in Pjöngjang hätten noch keine Vorstellung, wie und wozu Nordkorea seine Atomwaffen nutzen wolle. Sie seien sich auch nicht bewusst, welche politischen Implikationen ihre Langstreckenraketen hätten. Aus seinen Gesprächen in Pjöngjang schließt er, das kommunistische Regime glaube, es gehe Washington gar nicht um die Denuklearisierung Nordkoreas. Sie sei bloß ein erster Schritt, "ihr Regime und ihr Land zu zerstören" - wie Präsident Donald Trump gedroht hat.

Für eine diplomatische Lösung sei es nicht zu spät, glaubt der russische Experte. Beide Seiten könnten ihr Bedrohungspotenzial in Stufen abbauen. Dazu bräuchte es jedoch eine stärkere Führung der USA, die eingestehe, dass die bisherige Nordkorea-Politik gescheitert sei.

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