Koranschulen in Pakistan:Lernen für das Leben und den Tod

Seit den Anschlägen von London sind die Koranschulen in Pakistan wieder stärker in den Blickpunkt der internationalen Öffentlichkeit geraten: Einst Bildungsstätten für arme Muslime, haben sich die Madrassas heute zum Biotop für den "Heiligen Krieg" entwickelt.

Von Tomas Avenarius und Hans Leyendecker

Trutzig wie ein koloniales Grenzfort liegt die "Dar ul-Ulum Haqania" an der Überlandstraße zwischen Islamabad und Peschawar. Das "Haus des Wissens" ist ein majestätisches Gebäude mit Türmen und Torbögen: Immerhin ist die Madrassa von Akora Khattak die wichtigste Koranschule Pakistans.

Koranschulen in Pakistan: Die Madrassas bieten eine fast nur religiöse Erziehung, die ihre Schüler kaum auf ein Leben im 21. Jahrhundert, dafür aber auf den Kampf gegen die "Ungläubigen" vorbereitet.

Die Madrassas bieten eine fast nur religiöse Erziehung, die ihre Schüler kaum auf ein Leben im 21. Jahrhundert, dafür aber auf den Kampf gegen die "Ungläubigen" vorbereitet.

(Foto: Foto: AP)

Zu besseren Zeiten brüstete Schulleiter Sami ul-Haq sich damit, seine Schule sei "die Universität des Dschihad" und ein Treffpunkt der wichtigsten Taliban-Führer aus dem benachbarten Afghanistan.

Seitdem Pakistan sich im Anti-Terrorkampf auf die Seite der USA gestellt hat, tritt der ultraradikale Islamist ul-Haq zurückhaltender auf: "Präsident Pervez Musharraf soll hier mal einen Militanten finden. Die Schule ist keine Basis für Extremisten. Wir haben weder Kanonen noch Panzer."

Nur: Keine der etwa 30.000 Religionsschulen Pakistans lässt sich auf den ersten Blick als Hort fundamentalistischer Umtriebe erkennen, nicht einmal ul-Haqs "Dar ul-Ulum". Tatsache aber ist, dass ein Teil der Koranschulen genau das ist, was auch die Dar ul-Ulum zumindest früher war: Brutstätten des Dschihadismus, die mit ihrer radikalen Auslegung des Islam Gotteskrieger und Selbstmordattentäter heranziehen.

Von Lahore nach London

Seitdem bekannt ist, dass zwei oder drei der Londoner Attentäter vor dem Anschlag auf die U-Bahn in Pakistan gewesen waren und zumindest einer dort eine Madrassa in Lahore besucht hat, stehen die pakistanischen Religionsschulen im Blickpunkt.

BBC und CNN zeigen Studenten, die auf dem Boden hockend und mit rhythmisch vor und zurückwiegendem Oberkörper den Koran auswendig lernen: Vor sich als einziges Lehrmittel das heilige Buch des Islam. Die Madrassas bieten eine fast ausschließlich religiöse Erziehung, die die Schüler wenig tauglich macht für ein Leben im 21. Jahrhundert, aber oft genug einstimmt auf den "Heiligen Krieg".

Lernen für das Leben und den Tod

Pakistans Religionsschulen, die ursprünglich nur eine islamische Bildung für die Armen und Mittellosen anbieten sollten, haben sich in den vergangenen 25 Jahren zum Biotop für die Internationale der Dschihadis entwickelt.

Koranschulen in Pakistan: Die Schulen bilden den Nährboden für jene Dschihad-Ideologie, die auch Al-Qaida-Chef Osama bin Laden predigt.

Die Schulen bilden den Nährboden für jene Dschihad-Ideologie, die auch Al-Qaida-Chef Osama bin Laden predigt.

(Foto: Foto: dpa)

An den Schulen studieren nicht nur Pakistaner und Afghanen. Es kommen Muslime aus anderen Staaten. Zunehmend bewegen sich junge Muslime der zweiten Einwanderergeneration aus westlichen Staaten wie England, Deutschland oder den USA im Umfeld der Madrassas.

Der "US-Taliban John Walker Lindh", der im Krieg von US-Truppen gefangen genommen wurde, hatte an einer Madrassa im pakistanischen Bannu studiert.

Wer wann für Wochen nach Pakistan verschwindet, ist auch für deutsche Anti-Terror-Spezialisten interessant. Im Anti-Terror-Zentrum, das Bund und Länder errichtet haben, sind die Namen von etwa 300 deutschen Islamisten gespeichert, die zum harten Kern der Szene zählen sollen.

Mehr als zwei Drittel von ihnen sollen zeitweise in Pakistan oder Afghanistan gewesen sein. So sollen Kämpfer, die in den Irak zogen, in Pakistan das Bombenbauen gelernt haben.

Prediger diverser Religionsgruppen wie der Tabligh-i-Jamaat stellten nach Erkenntnissen der Verfassungsschützer den Kontakt zu radikalen Koranschulen her. Nach Schätzungen westlicher Geheimdienste bilden Pakistans Madrassas anderthalb Millionen junge Männer aus.

"Die Frage ist, ob sie dort in Religion geschult werden oder im Heiligen Krieg", sagt ein hochrangiger deutscher Sicherheitsexperte. Die Islamisten-Bewegung in Europa pflege jedenfalls enge Verbindungen zu religiösen Schulen in Peschawar, Karatschi oder Lahore. Dort finden sie das passende Umfeld.

Zu Zeiten des Afghanistan-Kriegs gegen die Sowjets wurden die Madrassas zum Grundelement des Heiligen Kriegs: Millionen Afghanen, die während des zehnjährigen Kriegs aus Afghanistan in die Lager in Pakistan geflohen waren, schickten ihre Söhne in Madrassas.

Am Ende der Schulzeit über die Grenze und in den Schützengraben

Mit Wissen des pakistanischen Geheimdienstes ISI und mit saudi-arabischem Spendengeld finanziert, kamen sie indoktriniert wieder heraus - als Mudschahedin im Dschihad gegen die Rote Armee. Im Bürgerkrieg nach dem Abzug der Sowjets wurden die Madrassas endgültig zur Kaderschmiede der afghanischen Frontsoldaten: Sie stellten den Großteil der Taliban-Kämpfer.

Junge Afghanen und Pakistaner fuhren am Ende der Schulzeit im Konvoi über die Grenze und landeten direkt im Schützengraben. Andere wurden mit Wissen Islamabads nach Kaschmir geschickt. Auch der von Pakistan befeuerte Kampf für die Unabhängigkeit der Muslimregion von Indien ist nach Islamisten-Lesart ein heiliger Krieg.

Der an Pakistans Madrassas gelehrte Islam folgt der Deobandi-Schule: Diese auf dem Subkontinent beheimatete Denkschule hat sich von einer Reformbewegung des 19. Jahrhunderts zu einer radikal neo-traditionellen Spielart des zeitgenössischen Islam entwickelt.

Sie ist eine wortgetreue, einseitige Auslegung des Koran, die sich mit den extrem konservativen, rückständig-archaischen Traditionen der Muslime in den ländlichen Teilen Indiens, Pakistans und Afghanistans vermischt.

Lernen für das Leben und den Tod

Ein Nährboden für jene Dschihad-Ideologie, die Al-Qaida-Chef Osama bin Laden predigt, der vom saudi-arabischen Wahabismus und einem militanten salafitischen Islam geprägt ist.

Derart fehlentwickeln konnten sich die Madrassas nur mit Billigung der pakistanischen Regierung. Einerseits verschleierte ihre Existenz das Versagen im Bildungssektor: Während reiche Pakistaner ihre Kinder nach Harvard oder Oxford schicken, bleiben den Armen in dem Land mit einer Analphabetenrate von 50 Prozent nur die Madrassas. Dort ist alles - vom Essen bis zur Unterbringung - kostenlos. Finanziert werden die Schulen mit Spenden aus den Golfstaaten.

Andererseits erfüllten die Madrassas eine politische Funktion. Nicht nur in der Afghanistan- und Kaschmirpolitik, sondern auch in der pakistanischen Innenpolitik: Dort gewinnen radikal-islamische Parteien immer mehr Gewicht.

Die Provinzen Belutschistan und die Nord-West-Grenzprovinz werden längst von Islamisten regiert. Mit denen muss Präsident Musharraf sich arrangieren: Der Bestandschutz der Madrassas ist trotz aller Reformversprechen des Staatschefs eines der Hauptanliegen der Islamisten.

Diese wissen um den Wert ihrer Kaderschmieden: Zur Durchsetzung der Scharia als Alltagsgesetz wollen die regierenden Islamisten - wie seinerzeit die afghani-schen Taliban -eine Religionspolizei einführen. Die soll die züchtige Kleidung von Frauen und das pünktliche Gebet der Männer überwachen. So droht die Nord-West-Provinz zum neuen "Talibistan" zu werden.

Das ist das Umfeld, in dem die Madrassas sich als Massenbildungseinrichtung Pakistans erweisen. Selbst bin Laden schickte seine arabischen Gefolgsleute an die Dar ul-Ulum in Akora Khattak - jene Koranschule, die sich als "Universität des Dschihad" verstand. Der Al-Qaida-Chef kann sich nach Einschätzung westlicher Nachrichtendienste bis heute auf Helfer bei den pakistanischen Sicherheitsbehörden verlassen.

Als Sympathisant etwa gilt Pakistans Ex-Geheimdienstchef Hamid Gul. Der nennt sich selbst den "Erfinder" der Taliban-Bewegung. Die beiden Mordanschläge auf Präsident Musharraf im Dezember 2003 wurden nach Einschätzung westlicher Sicherheitsexperten von Leuten aus dem innersten Zirkel Guls vorbereitet.

Die "überzähligen Söhne"

Zwar sagt ein deutscher Nachrichtendienstler: "Unsere Kontakte zu den pakistanischen Geheimdiensten sind gut. Wir arbeiten eng zusammen". Das aber ist die offizielle Version.

Die inoffizielle: Es sei ausgeschlossen, dass sich bin Laden und seine Leute, die im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet vermutet werden, dort ohne Wissen der Militärs und Geheimdienstler Islamabads bewegen könnten.

Auffällig sei, dass US-Spezialkommandos von den Pakistanis zwar unterstützt würden, dass es aber nie gelinge, an bin Laden oder seinen ägyptischen Stellvertreter Aiman al-Sawahiri heranzukommen: Die US-Aktionen werden offenbar von hochrangigen Sympathisanten der Gotteskrieger in Pakistans Geheimdiensten oder in der Armee vor dem Angriff verraten.

Und eben diese Leute unterhalten auch enge Kontakte zu den Madrassas: So sitzt Sami ul-Haq, Leiter der verrufenen "Dar ul-Ulum", nebenbei als Senator im Parlament.

Der Bremer Völkermordforscher Gunnar Heinsohn weist auf einen anderen Aspekt hin. Seine These: Seit den vierziger Jahren habe sich Pakistans Bevölkerung von 23 auf 163 Millionen versiebenfacht. Die jungen Männer, "Pakistans überzählige Söhne", dienten der Nation in grenzüberschreitenden Kriegen. Ihre Ausbildung bekommen sie in den Madrassas.

In einem Papier Heinsohns heißt es: "Die Minderheit der Emigranten bleibt aus Dankbarkeit in der ersten Generation meist ruhig. Sie stellte aber auch in der Fremde - etwa in Kanada und Großbritannien - die größten Familien. Ihre Söhne können nicht durch Auswanderung auf Ausstieg hoffen. Sie bilden das Rekrutierungspotenzial für die Milieus der Gewaltkriminalität ebenso wie für mit dem Glauben gerechtfertigte Tötungen. Mit 33 Millionen Jungen unter 15 im Jahr 2005 verfügt Pakistan noch für weitere zwei Jahrzehnte über ein Konfliktpotenzial, an dem auch die fortschrittlichste Religionspolitik nichts ändern kann."

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