Kopftuchstreit in der Türkei:Massenprotest für Kopftuchverbot

In Ankara haben rund 40.000 Menschen gegen die Aufhebung des Kopftuchverbots an Universitäten demonstriert. Die Regierung will an diese Grundfeste des säkularen Staates rühren - und begründet dies auch mit dem geplanten EU-Beitritt.

Rund 40.000 Menschen haben am Samstag in Ankara gegen die geplante Aufhebung des Kopftuchverbots an türkischen Universitäten protestiert. "Die Türkei ist ein weltliches Land und wird es auch bleiben", skandierten die Demonstranten auf ihrem Marsch zum Mausoleum von Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk.

Kopftuchstreit in der Türkei: Befürworter des Kopftuchverbots schwenken die türkische Fahne mit dem Konterfei des Republikgründers Atatürk vor dessen Mausoleum in Ankara

Befürworter des Kopftuchverbots schwenken die türkische Fahne mit dem Konterfei des Republikgründers Atatürk vor dessen Mausoleum in Ankara

(Foto: Foto: Reuters)

Die islamisch orientierte Regierung verteidigte dagegen ihr Vorhaben. "Wir wollen alle lächerlichen Verbote in der Türkei aufheben," erklärte Egemen Bagis, ein enger Mitarbeiter von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. "Wir wollen, dass sich jeder frei bewegen und Bildung erhalten kann, sei es im Minirock oder mit Kopftuch."

Atatürk, der Gründer des modernen türkischen Staates, hatte in der Verfassung das Prinzip des Säkularismus verankert, das insbesondere von den Streitkräften vehement verteidigt wird. Das Tragen eines Kopftuchs wird von liberalen Türken als politische Aussage für einen islamischen Staat gewertet.

Die regierende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) hat ein Gesetz im Parlament eingebracht, mit dem das Kopftuchverbot gekippt werden soll. Demnach sollen Studentinnen künftig ein Kopftuch tragen dürfen, sofern es unter dem Kinn zusammengebunden wird und nicht das Gesicht verdeckt.

Über die dafür erforderlichen Verfassungsänderungen soll im Laufe der Woche abgestimmt werden. Eine parlamentarische Mehrheit gilt als sicher, weil die AKP in dieser Frage von der nationalistischen Oppositionspartei MHP vom rechten Rand des politischen Spektrums unterstützt wird. Beide Parteien verfügen im Parlament von Ankara über 410 von 550 Mandaten.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, wie der türkische Außenminister den Kopftuchstreit mit der Frage des EU-Beitritts verknüpft.

Massenprotest für Kopftuchverbot

Die Türkei muss nach Ansicht ihres Außenministers das Kopftuch-Verbot an Universitäten aufheben, um den angestrebten EU-Beitritt nicht zu gefährden. Die Türkei müsse politische Reformen durchsetzen, um Mitglied der Europäischen Union zu werden, sagte Außenminister Ali Babacan am Samstag. Die Regierung wolle daher den Menschen mehr Freiheiten lassen, damit die Türkei zu einer "erstklassigen Demokratie" werde.

Kopftuchstreit in der Türkei: Demonstrantinnen in Ankara

Demonstrantinnen in Ankara

(Foto: Foto: Reuters)

Unterschiedliche Regelungen in EU-Staaten

Er beklagte zudem, dass die anhaltende Debatte über die geplante Lockerung des Kopftuch-Verbots dem Ansehen seines Landes schade. Die EU hat die Türkei dazu aufgefordert, mehr Meinungsfreiheit zuzulassen und Minderheiten mehr Rechte zuzugestehen. In der Kopftuch-Frage hat sie aber keine explizite Stellung bezogen.

In Frankreich wie auch an einigen niederländischen Universitäten dürfen Frauen keine Kopftücher tragen, in Großbritannien und vielen anderen EU-Staaten sind Kopftücher im Hinblick auf die Freiheiten der Bürger erlaubt.

Die Aufhebung des Kopftuchverbotes gehört zu den politischen Versprechen der seit mehr als fünf Jahren regierenden AKP. Die neue Regelung würde vor allem Frauen zugutekommen, die bislang auf ein Studium in der Türkei verzichtet haben, weil sie nicht gegen die religiöse Vorschrift verstoßen wollten, ihr Haupt zu bedecken.

"Ein Ort des Wissens und nicht des Glaubens"

Türkische Universitätsrektoren haben das Vorhaben dagegen als den Anfang vom Ende des säkularen Staats kritisiert. Sollten die Frauen künftig mit Kopftuch in Vorlesungen gehen dürfen, sei mit Unruhen und Gewalt an den Hochschulen und auf der Straße zu rechnen, sagte der Vorsitzende des türkischen Universitätsrats Mustafa Akaydin am Freitag unter donnerndem Applaus bei einer Veranstaltung vor Hochschuldozenten.

In der von Akaydin vorgelesenen Stellungnahme türkischer Rektoren hieß es zudem, die Republik werde sich unvermeidbar in einen religiösen Staat verwandeln. "Universitäten sind ein Ort des Wissens und nicht des Glaubens", sagte er. Im Publikum riefen einige Professoren: "Die Türkei ist säkular und wird säkular bleiben."

Dem Regierungsvorschlag zufolge dürfen Lehrerinnen und Mitarbeiterinnen öffentlicher Dienststellen weiterhin nur ohne Kopftuch arbeiten. Akaydin kritisiere jedoch, die Reform werde sich zwangsläufig auch auf den öffentlichen Dienst ausweiten.

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