Justiz:Der ewige Streit über das Kopftuch

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Der "objektive Betrachter" könnte ein Problem sehen zwischen Kopftuch und dem Neutralitätsanspruch an den Staat, hat das Bundesverfassungsgericht mal gesagt. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Wie viel Neutralität darf der Staat verordnen? Das soll wieder mal das Bundesverfassungsgericht klären, diesmal im Fall einer Schöffin. Über Fragen, die Gerichte und Gesellschaft seit 25 Jahren beschäftigen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Als im vergangenen Jahr daran zu erinnern war, dass in Deutschland seit 25 Jahren über das Kopftuch gestritten wird, sprach die Bremer Professorin Yasemin Karakaşoğlu von den „grundlegenden Suchbewegungen“ eines traditionell christlich geprägten Gemeinwesens, das sich auf den Weg zur pluralen Migrationsgesellschaft begeben hat. Wie viel Neutralität darf der Staat verordnen, welches Maß an Toleranz muss er den Menschen zumuten – solche Fragen wurden wieder und wieder verhandelt. Nun ist ein Vierteljahrhundert vorbei, aber die Suche geht weiter, wieder einmal vor dem Bundesverfassungsgericht.

An diesem Freitag hat eine deutsche Pädagogin – unterstützt von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) – Verfassungsbeschwerde erhoben, weil das Amtsgericht Dortmund sie als kopftuchtragende Muslimin von der Schöffenliste in Nordrhein-Westfalen gestrichen hatte.

Die NRW-Justiz sagt, geht nicht, wegen des Neutralitätsgesetzes

Die Frau war für den Zeitraum von 2024 bis 2028 als Jugendschöffin gewählt worden, sie sollte also in Jugendstrafverfahren als Laienrichterin mitwirken, mit demselben Stimmrecht wie eine Berufsrichterin. „Ich arbeite seit vielen Jahren in Projekten mit Jugendlichen und Erwachsenen, um unsere Demokratie und den Rechtsstaat zu stärken“, so wird sie von der GFF zitiert – ihren Namen möchte sie nicht veröffentlicht sehen. Daher habe sie sich über die Wahl gefreut. Doch dann erklärte ihr die NRW-Justiz, sie sei unfähig zur Amtsausübung, weil Schöffinnen nach dem nordrhein-westfälischen Justizneutralitätsgesetz kein Kopftuch auf der Richterbank tragen dürften.

Kopftuchverbote in der Justiz, darauf hat kürzlich die Juristin Aqilah Sandhu von der Universität Augsburg in einem Aufsatz hingewiesen, „sind so alt, wie es Juristinnen mit Kopftuch in der Justiz gibt“. Schon 1998 hatte eine Referendarin in NRW erfolglos darauf geklagt, als Vertreterin der Staatsanwaltschaft Kopftuch tragen zu dürfen. Damals reichte noch ein schlankes Nein des Justizministers, aber 2020 stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass Referendarinnen nur per Gesetz das Tragen religiöser Symbole untersagt werden dürfe. In Bayern gab es ein solches Gesetz bereits seit 2018, Niedersachsen und NRW folgten, auch der Bund nahm 2021 weitgehend unbemerkt ein Kopftuchverbot ins Beamtenrecht auf.

Kann man eine Schöffin überhaupt mit einer Berufsrichterin vergleichen?

Das religiöse Tuch auf dem Kopf einer Richterin, so war das Bundesverfassungsgericht damals zu verstehen, verträgt sich nicht mit einem anderen symbolischen Stück Stoff, der richterlichen Robe, die staatliche Neutralität signalisieren soll. Zwar sei das Kopftuch allein sei „nicht geeignet, Zweifel an der Objektivität“ der Richterin zu begründen. Aber aus Sicht eines ominösen „objektiven Betrachters“ meinte das Gericht trotzdem, ein Problem mit der religiösen Neutralität des Staates zu erkennen. Die sichtlich gewundene Argumentation quittierte der Bonner Professor Klaus Ferdinand Gärditz damals mit dem Hinweis, zur Bevölkerung gehörte auch gläubige Musliminnen und Muslime, denen der Staat eine vertrauenswürdige Justiz schulde.

Die Flensburger Rechtsprofessorin Katharina Mangold, Autorin der Verfassungsbeschwerde, hat sich auf die Frage nach dem Kopftuch der Richterin gar nicht erst eingelassen, und zwar deshalb, weil die Schöffin aus ihrer Sicht eine andere Funktion hat. Zwar entscheidet sie wie eine Richterin über Schuld und Unschuld. Zugleich aber ist sie im Gerichtssaal Repräsentantin der Gesellschaft. Darin, so Mangold, liege der zentrale Grund, warum Laien überhaupt an der Rechtsprechung beteiligt seien – ohne Robe übrigens, als sichtbares Zeichen dieser Distanz. „Das Schöffinnenamt baut auf demokratische Vielfalt“, sagt Mangold. Das religiöse Tuch auf ihrem Kopf, bedeutet dies, ist also nicht dem Staat zurechenbar, sondern bleibt ein persönliches Statement.

Der Fall könnte dem Gericht Gelegenheit bieten, noch einmal prinzipiell über das Kopftuch im Gerichtssaal nachzudenken. Vielleicht als Ausdruck einer höchstrichterlichen „Suchbewegung“, wie man sie auch beim Lehrerinnen-Kopftuch beobachten konnte. 2003 hatte das Gericht zunächst ein unentschiedenes Urteil gefällt, auf das viele Länder mit Kopftuchverboten reagierten. 2015 steuerte das Gericht um und erlaubte Kopftuchverbote nur noch bei einer Gefährdung des Schulfriedens. Das letzte Kopftuchverbot für Schulen fiel aber erst vergangenes Jahr – in Berlin.

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