Kopf-an-Kopf-Rennen in Florida:Obama und Romney auf dem Highway zur Hölle

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Florida ist Amerika im Kleinen: Im Kampf um 29 Wahlmänner-Stimmen müssen Obama und Romney nicht nur sonnenhungrige Rentner überzeugen, sondern auch um Latinos und Unternehmer werben. Momentan liegt der Republikaner vorn und so sind die Kandidaten und deren Ehefrauen nahezu täglich entlang der Interstate 4 zwischen Tampa und Orlando unterwegs.

Matthias Kolb, Tampa

US-Wahlatlas 2012
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US-Wahlatlas 2012

"Wright's Gourmet House" ist eine Institution in Tampa. Bereits sechs Mal hat der Familienbetrieb den Preis für das beste Cuban Sandwich der Region gewonnen und wegen der Torten fahren viele Kunden meilenweit. In dieser Woche jedoch dreht sich am South Dale Mabry Highway alles um eine blonde Frau, die aus einem riesigen silbernen Bus klettert: Mit zwei Enkeln und einer ebenfalls blonden Schwiegertochter schaut Ann Romney bei Wright's vorbei.

Die 63-Jährige trägt eine weiße Bluse zu türkisfarbener Hose, winkt den Passanten vor dem Eingang zu und betritt das Lokal. Dort bestellt sie einen Caesar Salad mit Huhn und setzt sich zu Wählern an einen eckigen Tisch. Eine junge Mutter, deren Mann in Afghanistan stationiert ist, spricht über diese Belastung für das Familienleben und ein College-Student klagt über schlechte Job-Aussichten. Ann Romney nickt verständnisvoll: "Solche Geschichten höre ich leider oft. Wir können es kaum erwarten, bis Mitt am 20. Januar ins Weiße Haus einzieht." Die Botschaft der fünffachen Mutter: Wählt meinen Mann, dann bringt er Amerikas Wirtschaft wieder in Schwung.

Es sind nur 100 Gäste, die Ann Romney in "Wright's Gourmet House" zuhören, doch diese Stopps seien äußerst effektiv, sagt Susan MacManus, Politik-Professorin der University of South Florida. Die Region um Tampa ist Floridas größter Medienmarkt und alle Lokalsender berichten über den Besuch. Um den Kameras ein schönes Motiv zu geben, hält der Tross von Obama auch mal fünf Minuten lang bei einer Feuerwache in Tampa, damit der Präsident den Feuerwehrmännern als Dank für deren Arbeit Donuts bringen kann.

"Florida ist ein swing state, aber entlang der Interstate 4 zwischen Tampa und Orlando entscheidet sich, ob Obama oder Romney gewinnt", erklärt MacManus. Ein Kollege habe den passenden Namen für die Schnellstraße gefunden, in deren Korridor 43 Prozent der 11,2 Millionen in Florida registrierten Wähler wohnen, scherzt die Politologin: "Es ist der Highway in den Himmel - oder in die Hölle." Es sei ein beliebtes Klischee, dass in Florida nur Rentner leben würden, meint MacManus. In Wahrheit sei die Gesellschaft sei viel vielfältiger und ändere sich ständig.

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Die Strategen konzentrieren sich auf den I-4-Korridor, weil sich der Rest des Staates festgelegt hat: Während Romney im Norden vorn liegt, ist Obama in den Regionen um Miami, Fort Lauderdale und Palm Beach äußerst beliebt. Anders sieht es etwa im Hillsborough County aus, in dem Tampa liegt: 2004 stimmten mehr als 50 Prozent für Bush, während 2008 Obama knapp gewann ( Hintergründe bei der Washington Post).

Also flog Obama zwei Tage nach einem Auftritt in Delray Beach ( mehr im Wahlblog) am Donnerstag wieder nach Tampa und wird am Montag in Orlando seine Anhänger auffordern, ihre Stimmen sofort abzugeben. Die Strategie des Präsidenten ist simpel: Zwischen dem 27. Oktober, dem Beginn des early voting, und dem 3. November braucht er einen großen Vorsprung, um sich Floridas 29 Wahlmänner-Stimmen zu sichern. Romney, der den Samstag rund um den Interstate 4 verbrachte, richtet ähnliche Appelle an die Republikaner. Beide wissen, dass derjenige diese knappe Wahl gewinnt, der seine Anhänger besser mobilisieren kann.

Bei den ausschließlich weißen Passanten vor "Wright's Gourmet House" ist die Botschaft angekommen. "Mein Mann und ich werden gleich am Wochenende abstimmen", sagt die 67-jährige Cheri, die mit ihrem iPhone darauf wartet, dass Ann Romney auf die Straße tritt. Ihre Freundin Judy habe von diesem Kurzbesuch gehört und so hätten sie ihren wöchentlichen Lunch auf der Terrasse von Wright's verzehrt. Dass sie keine Plätze im Inneren ergattern konnten, stört Cheri nicht: "Ich bewundere Ann, sie ist eine großartige Mutter." Es sei eine Inspiration für alle Frauen, wie Ann ihre Multiple-Sklerose-Erkrankung und die Brustkrebs-Diagnose gemeistert habe, sagt sie.

Mitt Romney fährt in einer sogenannten "Motorcade" (Autokolonne) in Florida von Kissimmee nach Land O'Lakes. (Foto: REUTERS)

Die 64-jährige Judy, deren Mann eine Spedition besitzt, klagt hingegen über die Obama-Regierung, die den kleinen Unternehmen zu viele Vorschriften aufbürde. Nach vier verlorenen Jahren bräuchten die USA einen Präsidenten, der etwas von Wirtschaft verstehe. Romneys Ruf als "Mister Fix It" und Retter der Olympischen Spiele - hier wirkt er. Dass dem Republikaner seine Aussage, 47 Prozent aller Amerikaner sehen sich als Opfer, nicht geschadet hat, beruhigt Cheri und Judy: Die Amerikaner wüssten, dass die Mainstream-Medien, die unter der Kontrolle der Regierung stünden, alles verzerren. Es stimme leider, dass es sich viele Mitbürger auf Kosten der Anderen gutgehen ließen, klagt Judy. Fox News sei der einzige Sender, dem sie traue, sagt Cheri und eilt zum Ausgang, um ein Foto von Ann Romney zu machen.

Dass Jorge Astorquiza ausgewählt wurde, um mit Ann Romney zu diskutieren, wundert nicht: Der 69-Jährige floh vor genau 50 Jahren aus Kuba und hat nach seinem Chemie-Studium in Florida eine Firma mit 24 Angestellten aufgebaut. "Meine Frau und ich haben uns alles mit harter Arbeit aufgebaut", sagt Astorquiza und beschwört den amerikanischen Traum. Der weißhaarige Mann ist im persönlichen Gespräch ebenso charmant wie unerbittlich mit dem "Obama-Regime": Nach dessen Amtszeit habe Amerika kein starkes Militär und keine starke Wirtschaft mehr.

"Small business, also Unternehmen wie meines, sind das Rückgrat der US-Ökonomie", erklärt er. Doch viele Firmen würden in den Ruin getrieben, wenn sie für ihre Angestellten eine Krankenversicherung abschließen müssten, wie es Obamacare vorsieht. Wie die meisten Exil-Kubaner hat Astorquiza stets die Republikaner gewählt: "Wir wissen aus eigener, leidvoller Erfahrung, wozu Umverteilung führt und dass alle leiden, wenn sich der Staat zu sehr einmischt."

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Wie in anderen swing states ist das Rennen in Florida sehr knapp, doch zuletzt hat sich das Blatt zugunsten von Romney gewendet - laut Realclearpolitics beträgt der Vorsprung 1,8 Prozent. Susan MacManus führt dies auf Romneys Performance in den TV-Debatten zurück: In keinem anderen Bundesstaat werde mehr Geld in 30 Sekunden lange und zumeist negative Wahlvideos investiert als in Florida. Romneys seriöses Auftreten habe jene Bürger überzeugt, denen es wirtschaftlich schlecht gehe: "Sonst kam Florida immer schnell aus der Krise heraus, doch mit 8,7 Prozent ist die Arbeitslosigkeit nun höher als im Landesschnitt. Das Durchschnittseinkommen ist hingegen niedriger und viele Bürger kämpfen gegen Zwangsvollstreckungen ihrer Häuser."

Selbst wohlhabende Senioren spürten die Krise auf indirekte Weise, so die Politologin: "Ihre Kinder rufen sie an, klagen über ihre Angst vor Arbeitslosigkeit und bitten um Geld." Dies helfe den Republikanern ebenso wie eine weitere Besonderheit: Während im Rest Amerikas die Hispanics zu zwei Dritteln die Demokraten wählen, sei dies in Florida wegen der Exil-Kubaner anders. Romney-Berater Rich Beeson ist siegessicher: "Florida ist ein Flugzeugträger: Wenn er einmal begonnen hat, sich zu drehen, ist er kaum aufzuhalten."

Dass Obamas Wahlkampfmanager Jim Messina ebenso optimistisch gen Süden blickt, liegt an zwei Zahlen. Im Vergleich zu 2008 seien es 250.000 mehr Afro-Amerikaner und Latinos als Wähler registriert - neben Frauen und Studenten sind diese Gruppen die Stützen der Obama-Siegesstrategie. Und während die Republikaner 52 Büros eröffnet haben, kommt Obama auf 106 Außenstellen, die sich wie ein Netz über den "Sunshine state" legen.

120 Kilometer entfernt von Tampa, im Bezirk Osceola, liegt die Stadt Kissimmee. Die Plakate entlang der Interstate 4 weisen nicht nur auf Fast-Food-Ketten hin, sondern zeigen Präsident Obama, der sich vor dem saudischen König verbeugt - für manche Republikaner der Grund für die hohen Benzinpreise. Auf anderen Plakaten ist "Forward!" zu lesen, der Slogan der Demokraten. Dass es nur mit Obama vorwärts gehen könne, glaubt auch der 20-jährige Jordan Rivera.

Seit Juli kommt der Student fünf Tage die Woche in eines der 106 Obama-Büros, das sich in Kissimme sich im zweiten Stock eines Einkaufszentrums befindet. "Die meiste Zeit verbringe ich mit Phone-Banking", erklärt Jordan und zeigt auf eine Liste. Darauf stehen Telefonnummern von Wählern, die er der Reihe nach anruft und befragt, ob sie Obama unterstützen, bereits registriert seien und wann sie ihre Stimme abgeben wollten. Die Antworten tippt Jordan in seinen Laptop, damit die Zentrale in Chicago ihre Daten laufend aktualisieren kann.

Die ausliegenden Sticker verraten, wer die wichtigste Zielgruppe in Kissimmee ist: Auf ihnen steht "Hispanics for Obama" oder noch spezieller "Yo soy ObamaRICAN - pa'que tu los sepas" ("Ich bin ein ObamaRicaner - damit du es weißt"). Seit 1980 sind Hunderttausende Puertoricaner aus ihrer karibischen Heimat und dem Großraum New York wegen der Jobs rund um die Vergnügungsparks wie Disneyworld nach Zentralflorida gezogen. In Osceola stellen Latinos und Afro-Amerikaner die Mehrheit der Wähler und so werben beide Lager um die Stimmen der 122.000 Puertoricaner. Diese unterscheiden sich in einem Punkt von Einwanderern aus Mexiko oder Guatemela: Da die Karibikinsel zu den USA gehört, sind sie sofort wahlberechtigt, wenn sie sich registrieren lassen.

Bei älteren Puertoricanern kommt Obama wegen seiner Gesundheitsreform gut an - viele Senioren sorgen sich, dass die Republikaner stark kürzen würden. Generell gelten die Nuyoricans als liberale Obama-Fans. Allerdings gibt es auch unter den Puertoricanern viele evangelikale Christen, denen die Unterstützung Obamas für die Homo-Ehe gar nicht gefällt, und zahlreiche Kleinunternehmer, die sich von einem Präsident Mitt Romney Steuersenkungen erhoffen.

Wer Juana und Mark miteinander diskutieren hört, der merkt, dass die Gespräche unter den Puertoricanern gar nicht so anders sind als bei vielen anderen Amerikanern. "Ich wähle Obama, damit Obamacare Bestand hat und Bildung bezahlbar bleibt", sagt die 28-jährige Studentin. Außerdem bereiten ihr die Aussagen der Republikaner über Frauen große Sorgen."Ich will nicht, dass mich jemand in einen Aktenordner steckt", erklärt sie augenzwinkernd.

Ihr gleichaltriger Freund ist einer der wenigen unentschlossenen Wähler: "Ich finde Obamas Bilanz in der Außen- und Sozialpolitik richtig. Aber er in vier Jahren die Wirtschaft nicht in Schwung gebracht. Da traue ich Romney mehr zu." Was letztlich den Ausschlag für seine Wahlentscheidung geben wird, weiß Mark auch nicht. Er hat sich nur vorgenommen, die beiden letzten TV-Debatten auf Youtube anzusehen. "Hoffentlich bin ich danach klüger."

Linktipp: Den Einfluss der Puertoricaner auf Floridas Politik hat das Magazin American Prospect anschaulich beschrieben. Aufschlussreich ist auch dieses Video der Washington Post.

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