Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, ist dabei, ein Abkommen über die Sicherheitszusammenarbeit mit Mexiko zu schließen. Damit aber würde sich Deutschland zum Komplizen von Gewalt und Unterdrückung machen. Mexikos neuer Präsident Enrique Peña Nieto versucht, sich als aufgeklärter Reformer darzustellen. Doch eine Serie von Massakern und gezielten Tötungen sowie die systematische Einkerkerung von Aktivisten hat die blutige Wiederkehr des Autoritären hinter dieser Maske entlarvt. Der Bundestag sollte einen genauen Blick auf die Lage der Menschenrechte in Mexiko werfen, bevor er diesem Abkommen zustimmt.
Schon unter Mexikos vorherigem Präsidenten Felipe Calderón, der bis 2012 regierte, zeigte sich, dass irgendetwas furchtbar schieflief mit dem angeblichen Krieg gegen die Drogen. Seine militarisierten Angriffe auf die Drogenkartelle hatten die Zahl der Menschenrechtsverletzungen im Land stark zunehmen lassen. Das Blutbad nahm historische Ausmaße an, es gab Zehntausende Tote und Hunderttausende Vertriebene. Die Lage geriet derart außer Kontrolle, dass 2011 viele Tausend Bürger Calderón beim Internationalen Strafgerichtshof ICC in Den Haag anzeigten - als Hauptverantwortlichen für die Krise der humanitären Krise im Land. Vergangenen Monat hat auch die Internationale Vereinigung für Menschenrechte in Paris den Fall nach Den Haag gebracht.
Klare Botschaft: kein zufälliger Tod
Unter Peña Nieto jedoch ist die Lage noch schlimmer geworden. Die Zahl der Morde ist auf dem historisch hohen Level geblieben, die Zahl der Entführungen und der "verschwundenen" Personen sogar gestiegen. Die größte Besorgnis aber muss die offene Politisierung der Gewalt erregen. Der "Krieg gegen die Drogen" ist ein Deckmantel für die politische Repression. Das Massaker an Studenten in der Stadt Iguala, verübt am 26. September, hat dies gezeigt. Sechs Menschen wurden getötet, mehr als ein Dutzend verletzt, 43 Studenten sind seitdem verschwunden. Später tauchte eine Leiche auf, die Gesichtshaut abgezogen, die Augen herausgedrückt. Die Botschaft war klar: Dies ist kein zufälliger Tod. Inzwischen sind Massengräber mit verscharrten Körpern gefunden worden. Die Bundesverwaltung sagt, es seien nicht die Studenten. Doch Whistleblower aus den Reihen der Polizei bezeugen, dass die Studenten verbrannt wurden - einige, als sie noch lebten.
Die meisten Opfer studierten an der örtlichen Pädagogischen Hochschule; sie ist bekannt dafür, dass sie für den sozialen Wandel eintritt und für eine progressive Erziehung. Die Hochschule sieht sich den Idealen der sozialistischen mexikanischen Revolution von 1910 bis 1917 verbunden - Peña Nieto mit seiner neoliberalen Einstellung steht im klaren Gegensatz zu diesen Idealen. Furchtbarerweise wurden die unbewaffneten Studenten erschossen, nachdem sie eine Sammlung organisiert hatten, deren Geld es bedürftigen Studenten ermöglichen sollte, nach Mexico City zu kommen und am Gedenkmarsch für jene Studenten teilzunehmen, die im Oktober 1968 von der Armee erschossen wurden.
Polizisten schießen auf Studenten
Die Schützen des Massakers von Iguala waren Mitglieder der örtlichen Polizei, die als von der organisierten Kriminalität unterwandert gilt. Das in der Stadt stationierte Militär tat nichts, um die Täter zu stoppen, obwohl das Chaos mehr als drei Stunden dauerte. Die Soldaten kamen erst, als die Angriffe der Polizei vorbei waren. Statt die Täter zu verfolgen, inhaftierten sie erst einmal die überlebenden Studenten.
Es war nicht das einzige Massaker dieser Art in Mexiko. Drei Monate zuvor erschoss die Polizei 21 Jugendliche in einem Kaufhaus in Tlatlaya, nicht weit von Iguala; sie exekutierte die Jugendlichen regelrecht. Hochrangige Vertreter des Landes und der Stadt erklärten, dass die Opfer mögliche Kidnapper gewesen und bei Schusswechseln gestorben seien. Erst die Recherchen der Nachrichtenagentur Associated Press und der Auftritt eines Augenzeugen brachten die Wahrheit zutage. Am 12. Oktober wurde ein deutscher Austauschstudent von der Polizei angeschossen und verletzt - er war mit Freunden auf dem Weg von Acapulco nach Mexico City und kam zufällig durch das Gebiet, in dem die beiden Massaker geschehen waren. Am 17. Oktober wurde im Norden des Landes ein führender Twitter-Aktivist ermordet, der die Öffentlichkeit über die Gewalt und über die Komplizenschaft zwischen Regierungsverantwortlichen und organisiertem Verbrechen informiert hatte.
Diese chaotische Situation ist nicht der Abwesenheit des Staates und seines Gewaltmonopols geschuldet. Sie ist entstanden, weil Staat und organisiertes Verbrechen Komplizen sind. So sind zum Beispiel zwei wichtige Kommunalpolitiker zurzeit im Gefängnis, die ihre Kommunen gegen die Drogenhändler verteidigt hatten: Nestora Salgado aus dem Bundesstaat Guerrero und José Manuel Mireles aus Michoacán. Bekannte Drogenbarone wie Servando "LaTuta" Gómez bleiben dagegen unerklärlicherweise auf freiem Fuß.
Außenpolitische Entscheidungen nicht von naivem Glauben leiten lassen
Seit Peña Nieto an der Macht ist, hat die Zahl der politischen Gefangenen stark zugenommen, die Kontrolle der Medien und die Repression gegen die sozialen Proteste im Land. Kein Wunder: Nieto stammt aus der alten, autoritären Partei der Institutionalisierten Revolution, PRI, die nun wieder an der Macht ist, nachdem sie Mexiko für 71 Jahre von 1929 bis 2000 regiert hatte. Bevor er Präsident wurde, war Peña Nieto Gouverneur des Bundesstaats Mexico, wo die PRI ohne Unterbrechung seit 85 Jahren herrscht. Weder er noch seine Partei haben Erfahrung mit der Demokratie.
Und mit dieser Regierung will die Bundesregierung ein Sicherheitsabkommen schließen? Mittlerweile hat eine Gruppe von Europaabgeordneten einen Brief verfasst, der das Massaker vom 26. September verurteilt und fordert, die Wirtschaftsbeziehungen der EU zu Mexiko zu überdenken, sollte sich die Lage der Menschenrechte nicht verbessern. Auch vier Bundestagsabgeordnete haben unterschrieben. Maria Böhmer, die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, musste sich in einer Fragestunde des Bundestags kritisch befragen lassen.
Staatsministerin Böhmer antwortete, das Massaker zeige, wie wichtig die Zusammenarbeit mit den mexikanischen Behörden sei, um die Kriminalität in der dortigen Polizei zu bekämpfen. Nur: Korruption und Machtmissbrauch sind kein Problem der örtlichen Behörden. Sie sind, von der höchsten bis zur niedrigsten Position, aufs engste mit dem Staatsapparat verwoben.
Außenpolitische Entscheidungen sollten sich nicht vom naiven Glauben leiten lassen, der Präsident werde den guten Willen, den er da zeigt, auch in die Tat umsetzen. Sie sollte sich an dem orientieren, was tatsächlich in Mexiko geschieht.
Der Jura-Professor John M. Ackerman, 41, geboren in Kalifornien und mittlerweile in Mexiko lebend, forscht an der Universidad Nacional Autónoma de México unter anderem über Korruption. Er ist Herausgeber der Fachzeitschrift "Mexican Law Review".