BND-Affäre:Verbotene Suchworte

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Die Abhöranlage des BND in Bad Aibling. (Foto: Getty Images)

Wer wusste wann über die Spionageaffäre Bescheid? Und welche Rolle spielt das Kanzleramt? Die wichtigsten Fakten zur neuen BND-Affäre.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Wer vom Ortszentrum im bayerischen Bad Aibling Richtung Nord-Westen rausfährt zur Mangfall-Kaserne, der müsste sie von der Texasstraße aus schon sehen können: neun weiße Kugeln, unter denen die Satellitenschüsseln der größten innerdeutschen Abhöranlage des Bundesnachrichtendienstes verborgen sind. Direkt dahinter liegt die Mangfall-Kaserne. Es ist der Ort, an dem die neue BND-Affäre spielt. Es geht um Fouls, Vertuschung und Desinformation. Aber der Reihe nach.

Bis 2004 war der Komplex dem amerikanischen Militärgeheimdienst NSA unterstellt. Die Satelliten-Abhöranlage war Teil des weltumspannenden Echelon-Netzwerkes der Amerikaner. Erst im Jahr 2004 hat die NSA fast die gesamte Anlage dem Bundesnachrichtendienst übergegeben. Fast die gesamte Anlage - denn unter dem Kürzel "Sigad US 987-LA" firmiert Bad Aibling seitdem weiter als Datenerfassungsstelle der NSA.

Der Deal

Technik gegen Informationen, das soll der Deal zwischen BND und NSA gewesen sein, berichteten Zeugen des BND im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Der BND hat nicht allein die komplette Abhöranlage in Bad Aibling überschrieben bekommen: Die Anlage ist nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auch noch massiv hochgerüstet worden.

Irgendwo auf dem Gelände befindet sich der Übergabepunkt, die digitale Brücke zwischen dem hochabgeschirmten Rechnernetzwerk des BND und dem der NSA.

Die Daten werden jetzt also nicht mehr von der NSA erhoben, sondern vom BND der NSA quasi frei Haus geliefert. Lieferadresse dürfte die "Blechbüchse" neben der Mangfall-Kaserne sein, wie das Suslag, das verbliebene NSA-Gebäude auf dem Gelände, gerne genannt wird. Ein Neubau ohne Fenster mit einer abhörsicheren Fassade aus Metall. Suslag steht für "Special United States Liaison Activity Germany". Schon am Namen lässt sich ablesen: Hier geht es um eine enge Kooperation, in dem Fall mit dem Bundesnachrichtendienst.

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Für die Zusammenarbeit gab es eigens das Verbindungsbüro JSA (Joint SigInt Activity), in dem sowohl BND- als auch NSA-Mitarbeiter saßen. Das Büro ist erst 2012 geschlossen worden. SigInt steht für "Signals Intelligence", also der Nachrichtengewinnung aus elektronischen Quellen wie Funkstrecken, Satelliten oder Kabel.

Die Selektoren

Um an die gewünschten Informationen zu kommen, wurde vereinbart, dass die NSA über die gemeinsame Schnittstelle in Bad Aibling dem BND Suchbegriffe zukommen lässt, sogenannte Selektoren. Das können IP-Adressen sein, Telefonnummern, E-Mail- und Web-Adressen oder MAC-Adressen von Smartphones, Tablets oder PCs, mit denen sich die Geräte in der Regel eindeutig identifizieren lassen. Diese Selektoren hat sich der BND in Bad Aibling etwa einmal in der Woche neu von einem speziellen Server der NSA heruntergeladen und auf die eigenen Rechner aufgespielt. Mit ihrer Hilfe durchforsten Analyseprogramme wie XKeyScore die Datenmengen.

Für die Art der Selektoren gibt es bestimmte Regeln. Etwa die, dass damit nicht nach Personen, Unternehmen, Behörden gesucht werden darf, die unter den Schutz des Grundgesetzes fallen. Also aus Sicht des BND vor allem deutsche Staatsbürger und deutsche Unternehmen und Behörden. Dazu gehören auch europäische Konzerne mit deutscher Beteiligung wie EADS und Eurocopter. Die NSA hat es offenbar dennoch versucht.

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Die Daten

Die Daten, die mit Hilfe der Selektoren durchforstet werden, liegen zu einem erheblichen Teil in einer BND-Datenbank mit dem Namen "VerAS", ein Kürzel für "Verkehrsanalysesystem". Die Daten stammen offenbar im Kern aus drei Quell-Typen:

  • Zum größten Teil aus der leitungsgebundenen Datenerfassung. Also aus Glasfaserkabeln in Deutschland, wie etwa jenen am Internetknoten DE-CIX in Frankfurt. Oder direkt aus dem von 2004 bis 2008 betriebenen Kooperationsprojekt "Eikonal", das die Süddeutsche Zeitung vergangenen Oktober aufdeckte. In dem Projekt hatte der BND für die NSA Leitungen der Telekom in Frankfurt angezapft.
  • Ein weiterer Teil dürfte aus der Satellitenüberwachung in Bad Aibling stammen. Allerdings wird hier vor allem die Kommunikation im Nahen Osten überwacht. Unternehmen wie Eurocopter und EADS dürften schon geographisch nicht in das Raster der Satelliten-Erfassung in Bad Aibling fallen.
  • Zum Dritten werden in VerAS Daten aus der Auslandsaufklärung gesammelt. Also etwa aus Datenabgriffen von Leitungsknoten im Nahen Osten.

Die Prüfung

Bei jedem einzelnen Selektor sei überprüft worden, ob mit ihm die Grundrechte Deutscher verletzt werden könnten, sagte einmal ein Zeuge im NSA-Ausschuss. Und zwar bevor sie zum Einsatz kamen. Allerdings scheint die NSA den BND über die Jahre mit Hundertausenden bis weit über eine Million Selektoren überschwemmt zu haben. Das können nur technische Filter prüfen und die sind oft fehlerhaft, wie sich später herausstellen sollte.

Der Ablauf

Bereits 2005, also ein Jahr nach dem Bad Aibling übergeben worden war, scheint BND-Mitarbeitern aufgefallen zu sein, dass die NSA sich mit manchen ihrer Selektoren nicht an die Abmachungen hält. Speziell weil sie es auf die Rüstungskonzerne Eurocopter und EADS abgesehen haben soll. Getan hat sich danach zunächst nichts.

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Erst ab 2008 scheint sich der BND die Selektoren genauer angesehen zu haben. Darüber soll es auch eine Meldung an das Kanzleramt gegeben haben. Wie spezifisch diese war, lässt sich bisher nicht sagen. Seitdem sollen 40 000 problematische Selektoren aufgelaufen sein. Ob sie jemals im Einsatz waren, lässt sich ebenfalls nicht sagen.

Nach den Snowden-Enthüllungen im Sommer 2013 haben im BND einige Mitarbeiter aufgehorcht und sich die Selektoren noch einmal vorgenommen. Dabei seien im laufenden Betrieb 2000 weitere problematische Selektoren gefunden worden. Wenn dem so ist, dann hat die NSA auf Kosten des BND gegen deutsches Recht verstoßen.

Unklar ist, ob der BND dies billigend in Kauf genommen hat oder aktiv dagegen vorgegangen ist, dass die NSA ihm regelwidrige Selektoren untergejubelt hat. Jedenfalls soll der BND das Kanzleramt nicht ausreichend informiert haben - was aber auch eine Schutzbehauptung des Kanzleramtes sein kann. Und schon gar nicht den NSA-Untersuchungsausschuss, deren Mitglieder bereits im Herbst einige gezielte Fragen nach den Selektoren gestellt hatten.

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Die Antworten waren derart unbefriedigend, dass der Untersuchungsausschuss Ende Februar zwei Beweisbeschlüsse gefasst hat mit der Frage, inwieweit die NSA in der Zusammenarbeit mit dem BND Aufklärung "gegen deutsche Ziele und deutsche Interessen" betrieben hat.

Die Beschlüsse haben offenbar für erhebliche Unruhe im Bundeskanzleramt und im Bundesnachrichtendienst gesorgt. Die Sache mündete jetzt darin, dass Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) vergangenen Mittwoch die Obleute des Ausschusses, das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages und die Chefs aller Bundestagsfraktionen über die Selektoren-Sache unterrichtete. Inzwischen ist sie bekannt als die neue BND-Affäre.

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