Gefangenenaustausch im Nahen Osten:"Schalit ist ein freier Mann"

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Der junge Mann auf den Bildern ist blass und hat dunkle Ringe unter den Augen, aber er lächelt: Der israelische Soldat Gilad Schalit kehrt nach fünf Jahren in den Händen der Hamas in seine Heimat zurück. Israel bringt im Gegenzug Hunderte palästinensische Häftlinge zu verschiedenen Grenzübergängen - im Gaza-Streifen feiern Zehntausende, doch es kommt auch zu Ausschreitungen.

Die Fernsehbilder zeigen einen blassen, jungen Mann. Er wirkt hager, unter den Augen zeichnen sich dunkle Ringe ab. Doch er lächelt. Es sind die ersten Bilder des israelischen Soldaten Gilad Schalit, als er mehr als fünf Jahre nach seiner Entführung in den Gaza-Streifen in seine Heimat zurückkehrt. Die radikale Palästinenserorganisation Hamas hatte Schalit an diesem Dienstagmorgen freigelassen, wenige Stunden später betrat er wieder israelischen Boden. Der inzwischen 25-Jährige war von der Hamas zunächst an Ägypten übergeben worden.

Gefangenenaustausch mit Israel
:Palästinenser feiern freigelassene Häftlinge

Jubel in Gaza und in Ramallah: Die ersten palästinensischen Häftlinge sind im Gegenzug für den israelischen Soldaten Gilad Schalit freigekommen - und werden euphorisch begrüßt. Palästinenserpräsident Abbas preist die Freigelassenen als "Freiheitskämpfer". In Israel nimmt Premier Netanjahu Schalit persönlich in Empfang.

Bilder.

Er habe immer an seine Freilassung geglaubt, sagte Schalit in einem ersten Interview des ägyptischen Staatsfernsehens. Sichtlich aufgeregt erklärte er, er sei bei guter Gesundheit. Vor einer Woche habe er erfahren, dass er freigelassen werden solle. Auf die Frage, auf was er sich am meisten freue, antwortete er: "Natürlich habe ich meine Familie am meisten vermisst, aber auch meine Freunde." Er habe Menschen vermisst, mit denen er über seine Zeit in Gefangenschaft habe sprechen können. Von einem Militärstützpunkt in Ägypten aus konnte der 25-Jährige nun erstmals seit mehr als fünf Jahren mit seinen Eltern telefonieren.

Schalit äußerte außerdem die Hoffnung, dass die Vereinbarung über den Gefangenenaustausch helfen werde, Frieden zwischen Israel und den Palästinensern zu bringen. Es würde ihn mit großer Freude erfüllen, wenn auch die etwa 4000 palästinensischen Insassen in israelischen Gefängnissen freikämen und zurück zu ihren Familien könnten.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zeigte sich bei der Begrüßungszeremonie für Schalit auf dem Luftwaffenstützpunkt Tel Nov tief bewegt: "Gilad ist heute heimgekehrt zu seiner Familie und seinem Volk. Dies ist ein bewegender Moment", erklärte er. "Ich war mir bewusst, dass ich eine schwere Verantwortung trage. Dies sind Momente, in denen ein Führer allein ist und entscheiden muss." Er habe an Gilad gedacht und die fünf Jahre, die er in einem Verließ gelitten hat. "Ich wollte nicht, dass er dasselbe Schicksal erleidet wie Ron Arad." Der Flieger war vor 25 Jahren im Libanon in Gefangenschaft geraten und ist bis heute nicht zurückgekehrt.

Zugleich warnte Netanjahu die freigelassenen palästinensischen Häftlinge davor, sich an neuen Gewaltakten gegen Israelis zu beteiligen. "Wer zum Terror zurückkehrt, muss die Konsequenzen tragen", sagte der Regierungschef.

Merkel lobt Rolle Ägyptens

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich in Berlin erleichtert über Schalits Heimkehr und wünschte ihm, "dass er sich von allem, was er erleiden musste, rasch erholt und in sein Leben zurückfindet". Merkel dankte insbesondere Ägypten für die Vermittlungsarbeit: "Die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Israel und Ägypten in dieser Angelegenheit lässt hoffen, dass die jüngsten Spannungen zwischen den beiden Ländern wieder gutnachbarschaftlichen Beziehungen Platz machen."

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) wies auch auf deutsche Vermittlungsbemühungen hin. "Ich bin froh, dass Deutschland zu Gilad Schalits Freilassung beitragen konnte", erklärte Westerwelle. An den Verhandlungen zu Schalits Freilassung war auch der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) beteiligt. Der israelische Staatspräsident Schimon Peres dankte dem deutschen Vermittler Gerhard Konrad persönlich für dessen Hilfe.

Erfreut zeigte sich auch der britische Premierminister David Cameron: "Ich gratuliere Premierminister Netanjahu und allen anderen Beteiligten dafür, ihn sicher nach Hause gebracht zu haben, und hoffe, dass dieser Gefangenenaustausch den Frieden einen Schritt näher bringen wird", teilte er mit.

Die Reaktion des Zentralrats der Juden in Deutschland war zwiegespalten. Zwar würdigte man die Freilassung Schalits als "Tag der Freude". Allerdings sei mit der Freilassung von tausend palästinensischen Gefangenen, darunter verurteilter Mörder, der Preis für die Freiheit des 25-Jährigen sehr hoch, sagte Zentralrats-Präsident Dieter Graumann. Doch der Schritt sei richtig gewesen, um Schalits Gefangenschaft nach mehr als fünf Jahren zu beenden.

Überschattet werde der Tag aber von den "zynischen Kundgebungen" der Palästinenser für Terroristen, "die Blut an ihren Händen haben". Vom Geist der Versöhnung seien die Verhandlungen über die Freilassung zwischen Israel und der radikalpalästinensischen Hamas sehr weit entfernt. "Noch am Tag der Freilassung hat Hamas erklärt, dass sie immer wieder 'neue Schalits' entführen würde", sagte Graumann, der sich zu einem Besuch in Israel aufhielt.

Wenige Stunden zuvor hatte an diesem Dienstag der zu Schalits Freilassung vereinbarte Gefangenenaustausch begonnen. Vom israelischen Keziot-Gefängnis in der Negev-Wüste sowie dem Hasharon-Gefängnis im Zentrum des Landes wurden 477 freizulassende palästinensische Häftlinge in Fahrzeugen Richtung Grenzübergang Kerem Schalom zum Gaza-Streifen und Richtung Westjordanland gefahren.

Im Gaza-Streifen feierten Zehntausende die ersten freigelassenen Häftlinge. In Ramallah küsste Palästinenserpräsident Mahmud Abbas heimkehrende Männer, die zu seinem Amtssitz gebracht wurden.

In der Nähe des Übergangs Beitunia in das Westjordanland kam es allerdings während des Häftlingsaustauschs zu Zusammenstößen palästinensischer Demonstranten mit israelischen Sicherheitskräften. Die israelische Armee teilte mit, etwa 1500 Palästinenser hätten Steine geworfen und Reifen in Brand gesetzt. Die Sicherheitskräfte hätten Tränengas eingesetzt.

Die Details des Austausches sind komplex: Die Vereinbarung Israels mit der im Gaza-Streifen herrschenden Hamas sieht vor, dass insgesamt 1027 palästinensische Gefangene im Gegenzug für die Auslieferung Schalits freigelassen werden. Vertreter der ägyptischen Botschaft in Israel überprüften vor der Abfahrt der Fahrzeuge die Identität der freigelassenen Häftlinge. Mehr als tausend Polizisten sicherten nach Angaben des israelischen Rundfunks die Strecken der Konvois.

Als erste Gruppe wurden offenbar noch am Morgen 27 Frauen freigelassen. Anschließend wurde der 25-jährige Soldat nach Ägypten gebracht. Nachdem er dort von israelischen Medizinern in Empfang genommen worden war, kamen nach unbestätigten Berichten weitere Palästinenser frei. Ein Bus mit palästinensischen Häftlingen fuhr über die Grenze von Israel nach Ägypten, wie Augenzeugen berichteten.

Etwa 100 werden der Planung zufolge im Westjordanland den Behörden übergeben, weitere 30 werden nach Jordanien, Katar, Syrien sowie in die Türkei ausgeflogen. Insgesamt sollen 477 Palästinenser freikommen, einige von ihnen nach Jahrzehnten hinter Gittern. Die übrigen 550 werden erst in zwei Monaten aus der Gefangenschaft entlassen.

Erst am Montagabend hatte der Oberste Gerichtshof Israels den Weg für den Gefangenenaustausch frei gemacht; er wies Einwände gegen die Freilassung der Palästinenser ab. Die Antragsteller waren Hinterbliebene von Opfern palästinensischer Terroranschläge.

Schalit war am 25. Juni 2006 als 19-Jähriger in der Nähe des Gaza-Streifens verschleppt worden. Er geriet mit seiner Panzerbesatzung in einen Hinterhalt der Hamas und wurde gefangengenommen. Zwei seiner Kameraden wurden getötet. Es ist das erste Mal seit 26 Jahren, dass ein israelischer Soldat lebend aus der Gefangenschaft heimkehrt. Während viele Israelis die Vereinbarung befürworten, kritisieren andere, der Preis für Schalits Freilassung sei zu hoch.

© dpa/dapd/AFP/Reuters/fran - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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