Kontroverse um Supervirus:Verheimlichen wäre gefährlicher

Hoch ansteckend und meist tödlich: Forscher haben ein Super-Grippe-Virus gezüchtet. Nun steht die Wissenschaft vor der Frage, was mit so gefährlichem Wissen zu tun ist. Schublade zu, alles unter Verschluss? Diese Form der Selbstzensur fordert das amerikanische Gesundheitsministerium. Doch diese reflexhafte Haltung missachtet Wesentliches.

Patrick Illinger

Zwei neue Formen der Grippe sind in den vergangenen Jahren bekannt geworden. Das waren zum einen die Aviäre Influenza, die Vogelgrippe, und zum anderen die Influenza-A (H1N1), die Schweinegrippe. In beiden Fällen war die öffentliche Aufmerksamkeit groß. Doch letztlich fehlte beiden Varianten das Potential zum Horrorvirus. Die Vogelgrippe tötet zwar etwa die Hälfte der Menschen, die sich mit ihr infizieren. Doch der Erreger springt nur selten vom Tierreich auf Menschen über. Bei der Schweinegrippe war es andersherum: Millionen Menschen infizierten sich, aber die Krankheit verlief meist milde.

US-Regierung besorgt wegen Veröffentlichung ueber Vogelgrippe-Virus

Das Vogelgrippe-Virus unter dem elektronischen Mikroskop: Die US-Regierung ist besorgt über die mögliche Veröffentlichung einer Forschungsarbeit zu dem Erreger.

(Foto: dapd)

Nun haben Forscher in einem niederländischen Labor ein Grippevirus gezüchtet, das alle bösen Eigenschaften kombiniert: hohe Übertragbarkeit und hohe Todesrate. Der experimentelle Erreger wütet derzeit zwar nur unter Labor-Frettchen, doch der Schritt zu einem katastrophalen Menschenvirus ist nicht mehr weit. Damit steht die Biologie vor einer ähnlichen Frage wie einst die Physik, als sich die Kernspaltung offenbarte, oder die Chemie, als erstmals Nitroglyzerin mit Kieselerde zu Dynamit vermengt wurde: Was tun mit potentiell gefährlichem Wissen? Schublade zu? Alles unter Verschluss? Hätte Otto Hahn sofort seinen Experimentiertisch räumen sollen, als er die ersten Spaltprodukte des Urans fand? Hätte Alfred Nobel zum Schweigen verpflichtet werden müssen, nachdem er auf der Elbe das erste Dynamit zur Explosion brachte?

Auf den ersten Blick unterscheidet sich das niederländische Virus von den Beispielen der Vergangenheit. Hier scheint es nicht um eine Nutzen-Risiko-Abwägung zu gehen. Mit Dynamit kann man Kriege führen oder eben auch Bergbau betreiben. Aber welchen Sinn soll der Bauplan eines neuartigen Krankheitserregers haben? Insofern ist der Impuls nachvollziehbar, der das amerikanische Gesundheitsministerium nun dazu veranlasst, von der Veröffentlichung der Labor-Ergebnisse aus den Niederlanden abzuraten. Nicht auszudenken, sollten Terroristen oder kriegswütige Diktatoren an dieses Wissen gelangen. Auch werden Stimmen laut, wonach die Forschung an neuen Krankheitserregern grundsätzlich verboten werden sollte.

Den Feind kennen

Doch diese reflexhafte Haltung missachtet zwei wesentliche Aspekte: den Nutzen, den virologische Experimente eben doch haben, und die historische Erfahrung, dass von Geheimnistuerei in der Wissenschaft immer mehr Gefahr ausgeht als von Offenheit und Transparenz.

Um einzusehen, warum Experimente mit Grippe-Viren gerechtfertigt sind, muss man sich vor Augen führen, dass diese Forschung genau das erhalten soll, was sie auf den ersten Blick zu gefährden scheint: die öffentliche Sicherheit. Erkenntnisse über potentiell gefährliche Viren fördern den Schutz vor dem größten aller Terroristen, der Natur selbst. Anders als im Fall der Atombombe oder des Dynamits, die niemals ohne menschliches Zutun entstanden wären, experimentiert die Natur pausenlos mit neuen Krankheitserregern. Permanent entstehen auf natürlichem Wege neue Grippe-Varianten, die ihre Fähigkeiten am Menschen als Wirt erproben. Eines Tages, das sehen viele Forscher nur als Frage der Zeit, wird auch die Natur ein Horrorvirus zusammenbasteln, wie es nun im Labor entstanden ist.

Diesen Feind zu kennen, bevor er unvermutet anklopft, schafft mehr Sicherheit als selbstverordnetes Unwissen. Es ist also wichtig, mögliche Grippevarianten zu erforschen, auch wenn es klingen mag, als seien hier Frankensteins Erben am Werk. Gut auch, dass diese Forschung von Universitäten und anderen öffentlichen Instituten betrieben wird, und nicht etwa vom Militär.

Selbstzenzur wäre sinnlos

Doch sollten nicht wenigstens die Ergebnisse verheimlicht werden? Die Forderung klingt zunächst vernünftig, schließlich sieht man sie schon vor sich, die bärtigen Taliban, wie sie in einer Lehmhütte Waziristans mit einem Science-Heft in der Hand eine Virenbombe brauen. Realistisch betrachtet, ist das jedoch Unsinn. Für diese Forschung braucht es Labore und Experten, wie sie allenfalls jene Regierungen haben, die sich auch in der Atomtechnik engagieren. Und wer sich so gut mit Viren auskennt, ist nicht auf Kioskmagazine angewiesen, um sich über Fortschritte anderer Labore zu informieren. Hierzu ist das Wissenschaftssystem zu offen und durchlässig.

Eine (Selbst-)Zensur der einschlägigen Fachmagazine wäre so sinnlos wie der Versuch, Fernsehkameras am Tahrir-Platz zu verbieten. Permanent finden überall auf der Welt Wissenschaftskonferenzen statt. Auf einem solchen Treffen hatten auch die niederländischen Virologen vor einigen Wochen von ihrem Supererreger berichtet. Eine Veröffentlichung in Journalen wie Science oder Nature wäre mithin kein sicherheitspolitisches Fiasko, wie es die Pentagon-Drohne war, die sich kürzlich nach Iran verirrte.

Unwissen über das Wissen anderer hat zudem in der Geschichte eher Missverständnisse und Argwohn genährt als die Sicherheit erhöht. Einsteins Irrtum über den Kenntnisstand Nazi-Deutschlands war es, der die USA zum Bau der Atombombe verleitete. Hätte jede Kriegspartei damals gewusst, was die anderen wissen, so wären vielleicht nie Zivilisten von einer Atombombe getötet worden.

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