Kontrollen an Dänemarks Grenzen:Reisefreiheit in Gefahr?

Unmut und Empörung hat die dänische Regierung mit den Kontrollen an den Grenzen zu Deutschland und Schweden ausgelöst. Mit den Maßnahmen setzt sie eine Forderung der dänischen Rechtspopulisten um. Doch was bedeutet das für die Reisenden, die EU und das Schengener Abkommen? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Seit heute werden an den Grenzen Dänemarks mit Deutschland und Schweden wieder Reisende kontrolliert. Mit den Maßnahmen, die die dänischen Rechtspopulisten erzwungen haben, sollen die illegale Einwanderung und die organisierte Kriminalität bekämpft werden. Doch in der EU sind die Kontrollen extrem umstritten, denn sie scheinen gegen das Schengener Abkommen zu verstoßen.

Dänen beginnen mit neuen Grenzkontrollen

Dänische Zöllner kontrollieren am deutsch-dänischen Grenzübergang auf der A 7 (E 45) zwischen Ellund (Schleswig-Holstein) und Frøslev (Südjütland) ein Auto. Noch finden die Kontrollen nicht rund um die Uhr statt. Das soll im nächsten Jahr anders werden.

(Foto: dpa)

Macht Dänemark die Grenze dicht?

Nein. Aber an den dänischen Grenzen zu Deutschland und Schweden finden ab heute "permanente Zollkontrollen" statt. Das bedeutet nicht, dass alle Reisenden vor Schlagbäumen warten müssen, bis ihre Personalien, Kofferräume oder gar Koffer überprüft sind. An den sechs Grenzübergängen mit Deutschland werden jedoch 30 zusätzliche Zollbeamte nach Drogen, Waffen und größeren Geldmengen suchen. Die Zahl der Zöllner beträgt dort nun insgesamt 60. Diese werden allerdings nicht systematisch kontrollieren, sondern nur stichprobenartig. An den Grenzübergängen mit Schweden sind 20 zusätzliche Beamte vorgesehen. Von 2012 an sollen weitere 48 Zöllner eingesetzt werden, um Kontrollen rund um die Uhr zu ermöglichen. Darüber hinaus plant Dänemark bis 2014 an den wichtigsten Straßenübergängen und Fährhäfen neue Grenzgebäude zu errichten sowie automatisch arbeitende Scanner einzusetzen, die Autokennzeichen erfassen. Darüber hinaus soll in den Grenzgebieten verdeckt nach Drogen- und Waffenschmugglern gefahndet werden.

Gelten beim Grenzübertritt nun andere Zollbestimmungen als bisher?

Nein, die Einreisebestimmungen haben sich nicht geändert, nur die Kontrollen werden verschärft. Die Einfuhrbestimmungen innerhalb der Europäischen Union - etwa für Zigaretten, Alkoholika oder auch Bargeld - gelten wie bisher.

Welche Folgen drohen Reisenden?

Die größte Sorge der Reisenden sind Staus vor den Grenzübergängen. Doch lange Wartezeiten sind nicht zu befürchten. Maximilian Maurer vom ADAC nimmt an, dass die Grenzbeamten nur einzelne Fahrer bei einem Verdacht herauswinken.

Entscheidend sei, in welchem Umfang die Zöllner Stichproben machen, sagt Sibylle Zeuch vom Deutschen Reiseverband (DRV) in Berlin. Häufige Kontrollen könnten die Einreise natürlich verlängern. Auf jeden Fall sollten Reisende unbedingt ihren Personalausweis oder Reisepass sowie die Fahrzeugpapiere einstecken - und zwar griffbereit, rät Zeuch. Außerdem sollte rechtzeitig vor der Reise geprüft werden, ob die Dokumente noch gültig sind.

Ohne gültige Papiere könnten ihnen die dänischen Grenzbeamten im schlimmsten Fall die Einreise verweigern, warnt Maurer. Das sei aber bisher auch schon bisher trotz des Schengener Abkommens der Fall gewesen. "An den Ausweisbestimmungen ändert sich nichts" - nur an der Wahrscheinlichkeit, ohne Pass erwischt zu werden.

Warum hat Dänemark die Kontrollen eingeführt?

Die Regierung in Kopenhagen begründet die Maßnahmen mit illegaler Einwanderung und zunehmender grenzüberschreitender Kriminalität insbesondere durch Osteuropäer. Allerdings wäre es zu der Entscheidung, die Zollkontrollen zu verstärken, nicht gekommen, wenn die rechtsliberal-konservative Regierung von Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen nicht auf die Stimmen der Dänischen Volkspartei (DF) angewiesen wäre. Die Rechtspopulisten wirken seit November 2001 als Mehrheitsbeschaffer der Minderheitsregierung von Liberalen (Venstre) und Konservativer Volkspartei. Die Initiative der DF kann als symbolischer Angriff auf das Schengen-Abkommen interpretiert werden. Die Partei steht der EU kritisch gegenüber und fordert eine Einschränkung der Einwanderung und schärfere Gesetze zur inneren Sicherheit.

Wie reagiert die EU?

In der Europäischen Union haben viele Politiker kritisch, empört, sogar entsetzt reagiert. Die EU-Kommission sorgt sich, dass die Maßnahmen die Reisefreiheit innerhalb der EU gefährden könnten und fordert die strikte Einhaltung des Schengener Vertrages. Sie hat dem Land sogar mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gedroht. EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström (Schweden) kündigte an, dass die Kommission "sehr genau" verfolgen werde, wie die Pläne umgesetzt würden.

Kommissionspräsident José Manuel Barroso erklärte: "Schengen ist einer der größten Erfolge der Europäischen Union was die Freiheit und die Sicherheit anbelangt." Er forderte, der Geist von Schengen dürfe nicht angetastet werden. Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle (FDP) warnte davor, die Kontrollen könnten "zu einem Menetekel für die Freiheit in Europa werden". Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) erklärte: "Wir wollen offene Grenzen und nicht geschlossene. Wir wollen mehr Personenverkehr und mehr Wirtschaftsverkehr." Die dänische Regierung versichert allerdings, dass sie sich an den Vertrag von Schengen halten werde.

Was bedeuten das dänische Vorgehen für das Schengen-Abkommen?

Die dänische Regierung geht davon aus, dass ihre Maßnahmen "in vollem Einklang mit dem Abkommen von Schengen" stünden, wie Integrationsminister Søren Pind erklärte. Das aber ist äußerst umstritten. Tatsächlich können Schengen-Staaten Grenzkontrollen nach Artikel 23 des Schengen-Grenzkodex wieder einführen - allerdings nur "im Falle einer schwerwiegenden Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit" - und auch nur für höchsten 30 Tage oder die "vorhersehbare Dauer" der Bedrohung. Ein häufig genanntes Beispiel für eine solche Bedrohung ist die Anreise von gewaltbereiten Hooligans. So kam es während der Fußballweltmeisterschaft 2006 zu Kontrollen an den deutschen Grenzen. Die Dänen können die langfristig geplanten Grenzkontrollen nicht auf diese Weise rechtfertigen.

Allerdings wird in der EU-Kommission derzeit eine weitere "befristete Wiedereinführung der Grenzkontrollen in Ausnahmefällen" über den Rahmen des Artikels 23 hinaus diskutiert. Anlass ist die Flucht Tausender Flüchtlinge aus Nordafrika nach Italien. Im Mai hatte die italienische Regierung etlichen dieser Migranten Schengen-Visa ausgestellt, die es ihnen erlaubt hätten, nach Frankreich weiterzureisen. Frankreich hatte daraufhin jedoch die Grenze geschlossen. Die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitglieder haben deshalb beschlossen, das Schengen-Abkommen zu reformieren. In Ausnahmefällen sollen Grenzkontrollen wieder zugelassen werden, um die illegale Einwanderung und die internationale Kriminalität zu bekämpfen. Bis September soll die EU-Kommission einen entsprechenden Vorschlag ausarbeiten. Im Beschluss des EU-Gipfels im Juni heißt es allerdings, dass die Kontrollen nur örtlich und zeitlich begrenzt und in "wahrhaft kritischen Situationen" erlaubt sein sollen, "in denen ein Mitgliedstaat nicht mehr in der Lage ist, seine Verpflichtungen gemäß Schengen-Vorschriften in Bezug auf die Verhütung der illegalen Einwanderung von Angehörigen von Drittstaaten zu erfüllen".

Möglicherweise fühlen sich die Dänen bestätigt - insofern sie die Situation in ihrem Land für wahrhaft kritisch halten und den Begriff "vorübergehend" sehr großzügig interpretieren. Bislang hat die Reform des Schengen-Abkommens jedoch noch gar nicht stattgefunden - und es gibt bereits jetzt skeptische und kritische Stimmen, die befürchten, durch die Pläne werde das Schengen-Abkommen geschwächt. Außerdem herrscht in der EU die Meinung vor, dass es in Fragen der Grenzkontrollen keine nationalen Alleingänge geben sollte.

Wie lange wird Dänemark die Grenzkontrollen beibehalten?

Zwei Szenarien könnten dazu führen, dass die langfristig angelegten Pläne der dänischen Regierung zu den Grenzkontrollen sich wieder ändern:

[] Die EU übt so großen Druck auf Kopenhagen aus, dass selbst die Rechtspopulisten der Dänischen Volkspartei zurückrudern. Dass es dazu kommt, ist unwahrscheinlich, insbesondere angesichts der Bereitschaft in der EU, das Schengen-Abkommen in Bezug auf Grenzkontrollen selbst zu reformieren.

[] In Dänemark wird im November ein neues Parlament gewählt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Sozialdemokraten unter Helle Thorning-Schmidt gewinnen. Eine Regierung unter Thorning-Schmidt würde die Grenzkontrollen vermutlich wieder abschaffen. Bereits im Juni hatten die Sozialdemokraten gemeinsam mit weiteren Oppositionsparteien einen Gegenvorschlag zu den Grenzkontrollen eingebracht, der jedoch von den Regierungsparteien und der DF abgelehnt worden war.

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