Die Geister der Vergangenheit sind überall in Birmingham, die meisten tragen Anzüge in Navyblau und sehen aus, als hätte sich nicht viel geändert. Der 74-jährige Brexiteer Michael Fabricant, bis zur Wahlniederlage im Juli 32 Jahre lang Tory-Abgeordneter, steht in einem Seminarraum und erzählt, dass er die Euro-Geldscheine möge, wegen der „beautiful colours“. Liz Truss spricht in einem anderen Seminarraum in beeindruckender Ernsthaftigkeit über die Brillianz ihrer Ideen als 49-Tage-Premierministerin und darüber, dass die Tories bei den Wahlen mit ihr besser abgeschnitten hätten als mit Rishi Sunak. Grant Shapps, Ex-Verteidigungs-, Ex-Energie-, Ex-Wirtschafts-, Ex-Innen- und Ex-Verkehrsminister, stellt einen neuen Thinktank vor, wenn man ihn richtig versteht, und Jacob Rees-Mogg, langjährige Tory-Stilikone, spricht in gleich mehreren Räumen und Sälen über die Zukunft der Partei.
Am späten Montagabend, es ist schon nach zehn, sitzt der schlaksige Rees-Mogg zusammengefaltet auf einem Stuhl auf Ebene vier im fast leeren Konferenzzentrum und isst eine Banane. Er sieht erschöpft aus. Es hat sich ja doch recht viel geändert für die Tories, bei der Wahl im Juli.
Sie wollen zusammenarbeiten, einer erträgt den anderen aber nicht mal im Nebenzimmer
Der Parteitag in Birmingham ist der erste in Opposition seit 15 Jahren, und die Tories der Vergangenheit fallen auch deshalb auf, weil sie jetzt in der Mehrzahl sind. 365 konservative Abgeordnete waren es nach der Wahl 2019, ganze 121 sind seit 4. Juli noch übrig. „Die Wahlen waren ein Desaster“, sagt Alicia Kearns, eine der wenigen, die ihren Sitz behalten haben, im „Drawing Room“ des Hyatt Hotels. Die „Tory Reform Group“ hat zu einer Veranstaltung geladen, es ist eine Art Treffen der Moderaten, Kearns sieht sich als Konservative der Mitte. Der Raum ist voll, aber klein, was auch heißt, dass nicht viele Kearns’ leidenschaftliches Plädoyer für eine Mitte-rechts-Opposition hören. Und das ist ja nun die Frage für die britischen Konservativen im Herbst 2024: Was für eine Partei soll die „Conservative and Unionist Party“, einst britische Wahlsiegmaschine, in Zukunft sein?
„Review and Rebuild“ steht auf den Plakaten und Rednerpulten in Birmingham – prüfen und wiederaufbauen. Vier Kandidaten bewerben sich um den Parteivorsitz, bis Anfang November dauert der Wahlkampf. Kommende Woche reduzieren die Abgeordneten in Westminster das Feld auf zwei Bewerber, aus denen die Mitglieder dann den neuen Chef wählen dürfen. Wer sich durchsetzt, davon hängt auch die politische Richtung der Partei in den kommenden Jahren ab.
Tom Tugendhat, 51, steht für konservative Politik der Mitte, Robert Jenrick, 42, und Kemi Badenoch, 44, stehen am rechten Rand, James Cleverly, 55, unter Sunak noch Innenminister, liegt irgendwo dazwischen. Die vier betonen bei jeder Gelegenheit, mit den jeweils anderen arbeiten zu wollen, wenn sie verlören, aber es ist ja auch Wahlkampf. Rishi Sunak, der im Moment noch Parteichef ist, war nur am Sonntag in Birmingham, seine Hotelsuite, so erfuhr Politico, bekam Jenrick, nachdem sich sein Team beschwert hatte, dass sein Zimmer zu nah an Badenochs Unterkunft liege. Man könne sich durch die Wände hören, das gehe nicht.
Alex Challoner sagt, er unterstütze Tugendhat, weil er aufgrund seiner politischen Position „der Einzige“ sei, der den Tories eine echte Chance geben könne, die nächsten Wahlen wieder zu gewinnen. Challoner steht in einer ruhigen Ecke im Konferenzzentrum, er ist Vizechef der „Tory Reform Group“, eines Thinktanks, der sich in der politischen Mitte verankert sieht. In den 90ern hat er im Team des damaligen Premiers John Major gearbeitet, er ist Parteimitglied und hat sich auch mal für die Bürgermeisterwahl in London aufstellen lassen. In den vergangenen Jahren, sagt er, habe er sich wie so viele andere Mitglieder „von der Partei im Stich gelassen“ gefühlt, was alles passiert sei, auch unter Sunak, „das zerstört Vertrauen“. Auch das hört man oft in diesen Tagen in Birmingham: Das Vertrauen wieder zurückgewinnen sei die wichtigste Aufgabe für die Tories.
Es geht darum, „unseren Tonfall und unser Image komplett zu verändern“
Wie, darauf geben die vier Bewerber unterschiedliche Antworten. Robert Jenrick will vor allem Immigration begrenzen und dafür aus dem einst von den Briten mitgegründeten Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aussteigen; Tom Tugendhat, der ehemalige Soldat, betont die Wichtigkeit von Verteidigung, außerdem, sagt er, wolle er die Partei reformieren, nicht aber „selbst die Reform-Partei werden“, er spielt damit auf die Bedrohung durch Nigel Farages Reform UK von rechts außen an. Kemi Badenoch findet, der Brexit gebe dem Land die Möglichkeit, „voranzugehen, und die EU kann uns folgen“; und James Cleverly sagt, es gehe jetzt weniger um einzelne Maßnahmen, sondern vielmehr ums große Ganze, es gehe darum, „unseren Tonfall und unser Image komplett zu verändern“. Applaus bekommen sie in Birmingham alle.
Alex Challoner sagt noch etwas, das er sogar selbst erstaunlich zu finden scheint: Die Stimmung im Birmingham sei, ja, „ziemlich optimistisch“. Die vier Kandidaten reden zwar auch darüber, dass die Partei viele Fehler gemacht habe zuletzt, für die sie selbst, ungeachtet ihrer teils prominenten Rollen in der jüngsten Regierung, natürlich nichts könnten. Aber alle sagen, was Robert Jenrick so formuliert: „Labour hat die Wahl nicht gewonnen, sondern wir haben sie verloren.“ Die Tory-Wähler, das ist die Botschaft, sind schon noch da, sie müssten nur daran erinnert werden.
Nur, Birmingham 2024 ist lediglich der erste mehrerer Parteitage in Opposition. Dieses Jahr sei es bis jetzt ganz gut gelaufen, sagt Alex Challoner, das schon. Aber die wirkliche Herausforderung warte erst im nächsten Jahr. Und in den drei Jahren danach.