Konservative in Texas:"Trump ohne Twitter, das wäre noch besser"

Miami Texas

Blick auf das "Roberts County Museum" in Miami, Texas.

(Foto: Johannes Kuhn)

Roberts County, mitten im Nirgendwo von Texas, hat mit 94,6 Prozent Donald Trump gewählt. Wie sind die Menschen dort? Und was denken sie inzwischen über den US-Präsidenten?

Reportage von Johannes Kuhn und Beate Wild, Miami (Texas)

Vor einem Jahr ging in Miami der Ärger los. Nein, nicht in dem Miami in Florida, sondern im unglamourösen Miami im Norden von Texas. Regelrecht eingefallen seien die Reporter in den Tagen nach der US-Präsidentschaftswahl, erzählen die Einwohner. Medienvertreter belagerten das einzige Café, TV-Teams hielten den Kunden im Tankstellen-Markt penetrant das Mikro unter die Nase. Selbst die Bild-Zeitung kennen sie jetzt hier.

94,6 Prozent der Wähler hatten in dem 550-Seelen-Nest und dem dazugehörigen Roberts County für Donald Trump gestimmt, prozentual die meisten im ganzen Land. Die Zahl war es, an denen die vom Wahlergebnis schockierten Besucher interessiert waren, nicht die Menschen, sagen sie heute im Dorf. CNN hätte extra "Dorftrottel" vor die Kamera gezerrt, erzählt einer.

Und als das Fernsehen Schüler in einem abfahrenden Bus filmte, pressten die ihre Nasen an die Scheiben und skandierten "Do-o-o-nald Tru-u-u-m-p", "Do-o-o-nald Tru-u-u-m-p". Es sollte die Reporter provozieren. Stattdessen bekamen diese, was sie suchten: den Eindruck, dass die Landeier im Norden von Texas eine blinde Liebe zu dem Provo-Milliardär aus New York verbindet.

Roberts County gilt seitdem als ein Musterbeispiel für "Trumpland" - jene meist ländlichen Gegenden, deren Bewohner den US-Präsidenten mit großer Mehrheit gewählt haben und ihm bedingungslos die Treue halten.

Im Ort selbst wundern sie sich noch heute über den Wirbel: Hier wurde doch schon immer republikanisch gewählt, na ja, fast immer. Der letzte Demokrat, dem sie das Weiße Haus anvertrauen wollten, war Harry S. Truman. Das war 1948.

Tumbleweed und tote Waschbären und Coyoten am Straßenrand

Der Weg durch die Landschaft hier oben ist nicht sehr unterhaltsam. Die ausgestorbenen Landstraßen führen an den immer gleichen Weiden vorbei, auf denen grasende Rinder und behäbig arbeitende Ölpumpen herumstehen. Am Horizont in der Ferne blinken Windkrafträder, hin und wieder kommt einem ein Pickup-Truck oder Viehtransporter entgegen. Manchmal taumeln Tumbleweeds über die Straße, jene verwehten Grasballen, die vor allem Fans alter Western-Filme bekannt sein dürften. Sonst bewegt sich nicht viel. Am Straßenrand liegen tote Waschbären und Coyoten.

Roberts County ist etwas kleiner als das Saarland, Miami (ausgesprochen: Mei-äma) ist sein einziges Dorf. Diejenigen, die nicht im Ort wohnen, leben auf einer der Rinderfarmen in der Umgebung, die seit Generationen in Familienhand sind. Wer hier aufgewachsen ist, kennt jeden Prärie-Hügel im Umkreis.

Wie in einem Idyll fühlt sich dabei nicht jeder. "Hier gibt es mehr Rinder als Menschen", sagt Cynthia, die im Gericht arbeitet und einst aus einem Vorort von Dallas herzog. "Ich persönlich bevorzuge ja die Rinder." Sie lacht müde.

Richter Rick Tenant sitzt hinter seinem massiven Schreibtisch, altgediente Aktenschränke um ihn herum. Der 64-Jährige lebt schon sein Leben lang in Roberts County. Mit den gedehnten Silben, die den texanischen Dialekt seinen Kaugummi-Singsang geben, fasst er die Vorzüge zusammen: "Die Menschen, die hier leben, möchten auf dem Land wohnen. Ihnen gefällt, dass sie so viel Platz haben. Dass sie ihre Nachbarn kennen und in der Kirche Bekannte treffen." Hier schließe niemand sein Haus ab, zumindest tagsüber nicht.

Ein einziger Bernie-Sanders-Wähler

Rick Tenant

Richter Rick Tenant in seinem Büro.

(Foto: Johannes Kuhn)

Zu den größten Problemen der Gegend gehören die Waldbrände, an einem normalen Sommertag hat es hier mindestens 33 Grad. Es regnet so gut wie nie. Auch die alte Schule bereitet Sorgen: Niemand möchte sie kaufen, ein Abriss ist zu teuer. Einwanderung? Fast alle hier sind weiß; die Latinos, die auf den Ölfeldern arbeiten, leben woanders. "Die Menschen reden hier nicht viel über Politik", sagt Richter Rick, selbst Republikaner. Man wähle eben die Persönlichkeit, die einem passe. Und das sind in der Regel nun einmal die Konservativen.

Im Norden von Texas war das nicht immer so: Bis in die Siebziger dominierten die Demokraten, dann färbte sich der Staat tiefrot und wurde zur republikanischen Hochburg. Auf lokaler Ebene werden Progressive ab und zu noch heute zum Sheriff, Bürgermeister oder Richter gewählt. Nicht in Roberts County natürlich, wo laut Richter Rick der letzte Demokrat in den Siebzigern ein Amt innehatte. Nicht, dass die Partei hier verhasst wäre. Aber sie gilt nicht als verantwortungsbewusst und bodenständig - und nicht als anpackend.

An der Vorwahl der Demokraten 2016 nahmen ganze fünf Bürger teil (Hillary Clinton gewann 3:2 gegen Bernie Sanders). Wer die beiden Bernie Sanders-Wähler waren, darüber rätseln sie in Miami noch heute.

Im Rafter B Café an der Durchgangsstraße des Ortes sitzen ein paar Senioren beim Kaffeeklatsch - wie jeden Vormittag. Die Gruppe trifft sich täglich in wechselnder Besetzung zum Frühstück. "Wir kommen hierher, weil wir uns keine Psychotherapie leisten können", scherzt einer. Alle lachen. Die Herren plaudern über das Wetter, die Welt und einen Nachbarn, der Essensmarken vom Staat bezieht, sich aber angeblich gerade einen neuen BMW gekauft hat. Alle schütteln den Kopf - unentschlossen, ob sie neidisch oder empört sein sollen.

Wer kein Bauer oder Ölarbeiter ist, ist Hausfrau

Fremde fühlen sich in Miami schnell als alte Bekannte. Nur über Politik zu reden, das mögen die Einwohner, auch die Kaffeetrinker, nicht so gerne. Auf die Frage nach Trump winken sie ab. Sollen die in Washington doch machen, was sie wollen. Hier in Miami haben die Leute andere Sorgen.

"Die meisten arbeiten als Bauern und Ölarbeiter", sagt Joe, schätzungsweise um die 30 und der jüngste Mensch, der den Reportern in Miami begegnete. Mit seiner Hornbrille, dem Vollbart und der Kappe sieht er aus wie ein Hipster aus Brooklyn und nicht wie ein Farmer aus Nordtexas. Und wer nicht als Bauer oder Ölarbeiter arbeitet? "Der ist Hausfrau", sagt Joe und lacht.

Das Einzige was Miami fehlen würde, sei eine richtige Bar, findet er. So wie in Canadian, dem gut 40 Kilometer entfernten Nachbarort. Joe holt zum Beweis sein Handy aus der Tasche und zeigt ein Video: Ein junger Typ reitet unter großem Hallo auf seinem Pferd in eine Bar und bestellt aus dem Sattel einen Drink. Coole Bar, tolle Stimmung. Genau das bräuchten sie hier auch in Miami.

Susan Bowers, die Chefin des Rafter B Cafés, winkt ab. Die Gäste würden immer wieder fragen, warum sie denn nicht abends und nachts offen hätte, erzählt die 40-Jährige. "Zuviel Stress, die Leute trinken zu viel. Und ich muss ihnen dann sagen, wann genug ist. Das gibt nur Ärger."

Wally war sein Leben lang Farmer. Seit zwei Jahren ist er im Ruhestand. Seine drei Töchter sind alle weggezogen aus Miami. Nach Colorado, Dallas und Fort Worth. "Wer kein eigenes Geschäft hat oder in der Ölindustrie arbeitet, hat es hier schwer einen Job zu finden", erklärt er.

Lieber Cowboyfilme als Nachrichten

Die Nachrichten verfolgt er nicht sehr regelmäßig, sagt Wally. Die Leute hier im Norden von Texas seien nicht so interessiert an Politik. "Miami ist so klein, wir spielen doch sowieso keine Rolle", sagt er und zuckt mit den Schultern. Trump, findet er, macht seinen Job bislang recht gut. Nur dass der Präsident sich so eifrig über die sozialen Medien zu Wort meldet, gefällt ihm nicht: "Trump ohne Twitter, das wäre noch besser."

Trump habe einfach ein viel zu großes Mundwerk. "Und er sollte sich nicht dauernd von allen provozieren lassen." Es sei schlecht, dass der Kongress in Washington zur Zeit so wenig gebacken kriege, findet Wally. "Ich hätte es gerne, wenn die beiden Parteien besser zusammenarbeiten würden", sagt er und meint damit: "Die Demokraten sollten den Republikanern mehr entgegenkommen."

Miami Texas

Das Rafter B Café ist das einzige Lokal in Miami, Texas.

(Foto: Johannes Kuhn)

Roberts County folgt den gängigen konservativen Linien - Obamacare taugt nichts, der Staat soll sich möglichst raushalten. Einwanderung muss irgendwie begrenzt werden, die Mexikaner auf den Ölfeldern aber erhalten für ihren Fleiß vorwiegend Respekt.

Themen wie Polizeigewalt gegen Afroamerikaner oder Homosexuellen-Rechte sind zu weit weg, um mehr als Gleichgültigkeit zu wecken. Politische Eiferer sind die Menschen in Miami nicht: Es ist ein achselzuckender, aber unerschütterlicher Konservatismus, der sich eher am Lebensstil als an politischen Moden orientiert. Wenn Trump nicht zur Wahl gestanden wäre, hätte man eben Ted Cruz, Marco Rubio oder Jeb Bush gewählt.

"Wir wollen keine Veränderung"

Mittags treffen sich im Rafter B Café die Berufstätigen beim Essen. Der Deputy Sheriff sitzt als erster am großen Tisch in der Mitte. Baseball-Kappe, zerzauselter Bart, Pistole an der Hüfte. Schweigend isst er das Menü des Tages: Hackbraten, Kartoffelbrei und Erbsen. Im Fernsehen laufen Nachrichten, aber als noch ein paar Männer und Paare dazukommen, nimmt einer die Fernbedienung und schaltet auf einen Western. Es läuft "Gunsmoke" (auf Deutsch: "Rauchende Colts"), ein alter Cowboy-Film von 1970.

Auch Richter Rick sitzt am großen Mittagstisch. Als letzter kommt der Sheriff herein. "Wie war der Urlaub?", fragt er Rick scherzend, der gerade ein paar Tage im Krankenhaus verbringen musste und gequält lächelt.

"Hier sind 35 bis 40 Prozent der Menschen alt", sagt Emma Bowers, die Mutter der Café-Betreiberin Susan. "Wir wollen keine Veränderung." Die knorrige 75-Jährige mit kurzen Haaren und bunten Ohrringen leitet das "Roberts County Museum" gegenüber, ein umgebautes Bahndepot. Und sie ist Farmerin, unter ihrem Schreibtisch hört sie den Polizeifunk mit, falls mal wieder ein Tornado über das Land fegt. "Ich verstecke mich dann hinten in der Indianer-Sammlung, der einzig sichere Ort."

"Ich mag die guten alten Tage, als man die Leute noch aufgehängt hat"

Das Museum ist voller Nostalgie: eine Telefonzelle, ein nachgebautes altes Hotelzimmer, ein Zeitungsbüro samt Druckmaschine, ein Oldtimer, Apotheken-Inventar, diverse ausgestopfte Tiere. Eine Vitrine zeigt, ganz Wildwest-Klischee, diverse Schusswaffen: das Gewehr, das ein legendärer Sheriff einmal trug. Ein angesägtes Gewehr, das beim großen Bankraub 1967 benutzt wurde. Ein Gewehr von 1892. Eine Pistole zum Töten von Kälbern, die ein Elfjähriger gebastelt hat.

Dazu die Schul-Jahrbücher. Einmal im Jahr, wenn das Dorf sich zum "Kuhrufen"-Picknick trifft ("klingt anders als Schweinerufen", beschreibt die Museumsleiterin), kommen die Familien hierher und zeigen ihren Kindern, wie die alte Zeit war.

Emma erzählt, wie die Eisenbahn nach Westen hier ihre Endstation hatte und sich im Umkreis die ersten Siedler niederließen. Wie die neue Schule das Überleben des Dorfes sichert (einige Frauen im Ort überlegen, die Kinder in die Grundschule zu schicken statt sie weiter zuhause zu unterrichten).

"Ich hasse die Regierung", sagt sie irgendwann beiläufig und fügt nostalgisch an: "Ich mag die guten alten Tage, als man die Leute noch aufgehängt hat." Genauer: "Wenn ein Typ eine Frau schlecht behandelt hat, haben ihn die anderen Männer aufgemöbelt... Dieser Typ aus Nordkorea, wenn ich den in die Finger kriegen würde", sagt sie und lacht kehlig. Politikern sei nicht zu trauen, das wisse sie aus eigener Erfahrung.

Nach dem Mittagessen schließt das Café. Die Bewohner von Miami gehen zurück zur Arbeit oder nach Hause. Für den Abend ist der erste Schnee angesagt, der Dezemberwind bläst kühl von Norden herein. Auf der Straße ist kein Mensch und kein Auto zu sehen, nicht einmal Tumbleweed. Irgendwo in der Ferne tutet ein Güterzug.

Was immer in diesem Moment auf der Welt oder in Washington passiert, es ist gerade ziemlich weit weg. So wie sie es hier mögen.

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