Konservative in der CDU:"Eine Rechtspartei wäre eine Eintagsfliege"

Droht der Union Konkurrenz von rechts? Sogar SPD-Politiker warnen vor einer neuen konservativen Partei. Der Historiker Frank Bösch hält die Sogwirkung von Provokateuren wie Steinbach und Sarrazin jedoch für überschätzt.

Michael König

Frank Bösch, 40, ist Historiker und Parteienforscher an der Justus-Liebig-Universität Gießen. In seinem Buch Macht und Machtverlust hat er die Geschichte der CDU wissenschaftlich beleuchtet.

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Erika Steinbach (vorne) vom Bund der Vertriebenen befeuert den Richtungsstreit in der CDU: Wie konservativ ist die Union noch? Hätte eine neue Rechtspartei Chancen bei den Wählern?

(Foto: AFP)

sueddeutsche.de: Herr Bösch, sogar die SPD befürchtet die Gründung einer Partei rechts von der CDU. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, hält die Gefahr für "sehr konkret". Hat er recht?

Frank Bösch: Ich sehe im Moment keine Anzeichen für eine neue erfolgreiche Partei. Es gibt bereits genügend Parteien am rechten Rand, aber es gibt auch gute Gründe dafür, warum sie keinen Erfolg haben. Deshalb halte ich den mittelfristigen bundesweiten Erfolg einer Partei rechts neben der CDU für unwahrscheinlich.

sueddeutsche.de: Der Sozialdemokrat Oppermann beklagt, die CDU biete vielen Wertkonservativen keine politische Heimat mehr. Ähnlich hat sich auch die Vertriebenen-Chefin Erika Steinbach geäußert. Ist für Konservative kein Platz mehr in der Union?

Bösch: Die Frage ist doch, wie man "konservativ" definiert. Damit tun sich selbst die Konservativen ziemlich schwer. Meistens können sie nur vage Andeutungen machen, da "konservativ" eine relationaler Begriff ist. Aus wissenschaftlicher Perspektive kann man schon sagen, dass man nach wie vor Konservativismus in der Gesellschaft ausmachen kann - auch und gerade bei den Mitgliedern der CDU/CSU.

sueddeutsche.de: Was heißt für Sie konservativ?

Bösch: Es gibt vier grundsätzliche Punkte, die den Konservativismus in den vergangenen 200 Jahre ausmachten. Erstens ein eher skeptisches Menschenbild, das von der Fehlbarkeit und Unterschiedlichkeit der Menschen ausgeht und deshalb eine stärkere Kontrolle der Gesellschaft für nötig hält. Zweitens eine fürsorgliche bis patriarchalische Rolle des Staates. Drittens religiöse Werte, die - anders als bei Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen - nicht vom Staat getrennt werden sollen. Und der letzte Punkt: eine stärkere regionale Identität. Konservative sind nicht mit Nationalisten gleichzusetzen, aber sie haben grundsätzlich eine stärkere Wertschätzung ihrer Heimat. Deshalb kommt es oft zu Konflikten über die eigene Geschichte.

sueddeutsche.de: Unter diesen Gesichtspunkten: Ist die CDU unter Angela Merkel nach links gerückt?

Bösch: Die CDU ist unter Merkels Führung sicherlich liberaler geworden. Aber man könnte ihre Kritiker auch fragen, wann die Union ihrer Meinung nach ausgesprochen konservativ war. Als große Partei musste sie immer den Spagat zwischen den unterschiedlichen Flügeln und Interessen versuchen. Zur Zeit von Konrad Adenauer oder Helmut Kohl war die Gesellschaft insgesamt konservativer, der rechte Rand war stärker organisiert. Insofern waren Adenauer und Kohl ebenfalls ausgleichende Figuren.

sueddeutsche.de: Laut Meinungsumfragen verortet sich eine Mehrheit der Deutschen in der politischen Mitte, mit einer Tendenz nach links. Macht Merkel also alles richtig?

Bösch: Dass sich die meisten Deutschen in der Mitte sehen, ist nichts Neues, das konnte man auch Mitte der fünfziger Jahre festhalten. Anders war es Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre. Damals kam es zu einer starken Polarisierung: Die Leute haben sich stärker links oder rechts orientiert, gleiches galt für die Parteien und die Medien. Das hat stark abgenommen. Heute hat die Mehrheit ein geringeres Bedürfnis, sich am Rand zu positionieren. Auch das spricht dafür, dass eine neue konservative Partei nicht unbedingt Erfolg haben wird.

sueddeutsche.de: Vertriebenen-Lobbyistin Steinbach sieht sich als letzte echte Konservative in der CDU. Muss die Partei auf dem rechten Flügel nachrüsten?

Auf der nächsten Seite: Frank Bösch über Islamkritik als konservatives Merkmal und die Rechtspopulisten in den Nachbarländern.

"Angst vor dem Islam spielt eine Rolle"

Bösch: Das glaube ich nicht. Wenn es dort ein starkes Bedürfnis gäbe, dann würde jemand diese Lücke auch füllen. Nehmen Sie Wolfgang Schäuble in den neunziger Jahren: Er hat stark das konservative Profil in der Sicherheitspolitik verkörpert, weil es dort offenbar eine starke Nachfrage nach solchen Positionen gab. Politiker reagieren auf gesellschaftliche Strömungen und öffentliche Debatten.

sueddeutsche.de: Viele Unionswähler fühlten sich von den umstrittenen Integrationsthesen des Thilo Sarrazin angesprochen. Ist Islamkritik konservativ?

Bösch: Die Abgrenzung zum Islam spielt schon eine gewisse Rolle, was man beispielsweise daran sieht, dass der EU-Beitritt der Türkei bei der CDU immer wieder ein umstrittenes Thema ist. Der Konservatismus war bei seiner Entstehung eine Angst-Reaktion auf die Französische Revolution, und noch heute reagiert er auf Ängste vor Veränderungen. Weil sich viele Menschen vor dem Islam fürchten, denke ich, dass dieser Aspekt unterschwellig eine Rolle spielt. Er wird aber in der öffentlichen Debatte keine solche Dynamik gewinnen wie beispielsweise in Dänemark oder den Niederlanden.

sueddeutsche.de: In den Nachbarländern ist es Rechtspopulisten gelungen, sich auf hohem Niveau zu etablieren. Warum nicht auch in Deutschland?

Bösch: Bei 80 Millionen Deutschen mangelt es nicht an Personen, die in der Lage sind, gute Reden zu halten oder medienkompatibel aufzutreten. Aber das reicht nicht. Die betreffenden Parteien in den Nachbarländern sind nationalliberale Abspaltungen, das heißt, sie basieren auf einem bestehenden Parteigerüst, auf einem bestehenden Milieu. Die FPÖ in Österreich, die dänischen und niederländischen Rechtspopulisten sind keine aus dem Boden gestampften Abspaltungen von ein bis drei Politikern, sondern gewachsene Bewegungen oder Zusammenschlüsse.

sueddeutsche.de: Dann war Ronald Schill, der in Hamburg aus dem Stand 19 Prozent der Stimmen erreichte, eine Ausnahme?

Bösch: Das war ein kurzfristiger Erfolg, bedingt durch günstige Konstellationen, aber entsprechend nicht von Dauer. Da fehlte der organisatorische Unterbau, die gewachsene Parteistruktur - was schnell zu chaotischen Konstellationen führte. Ohne diese Voraussetzungen wird eine neue Rechtspartei eine Eintagsfliege bleiben, die wie die NPD bei einzelnen Landtagswahlen als Protestpartei reüssiert. Die Sogwirkung einzelner Personen wird überschätzt.

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