sueddeutsche.de: Herr Mißfelder, nach dem angekündigten Rückzug von Roland Koch aus der Politik debattiert die CDU, wer ihm als konservatives Gesicht nachfolgen könnte. Die Bild-Zeitung sieht Sie schon als neue konservative Hoffnung der CDU. Ehrt Sie das oder befürchten Sie, dass das tatsächlich stimmen könnte?
Philipp Mißfelder: Ich empfinde es nicht gerade als Fundamentalkritik an mir, wenn mir nachgesagt wird, dass ich für klare Aussagen stehe. Aber trotzdem, dazu gehört schon ein bisschen mehr.
sueddeutsche.de: Wer käme Ihnen denn in den Sinn?
Mißfelder: Stefan Mappus zum Beispiel, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, aber auch andere, die als Ministerpräsidenten in der ersten Reihe der Bundespolitik stehen.
sueddeutsche.de: Warum ist das eigentlich so ein großes Problem, wenn Koch nicht mehr dabei ist?
Mißfelder: Mit ihm bricht ein politischer Eckpfeiler der Union weg, der nicht nur gesellschaftspolitisch für klare Aussagen steht, sondern auch wirtschafts- und finanzpolitisch. Darum ist es so bedauerlich, dass er diesen Schritt vollzieht.
sueddeutsche.de: Politiker wie Koch, mit Ecken, Kanten und einer erkennbar konservativen Ausrichtung, hatten zuletzt Schwierigkeiten damit, gewählt zu werden. Kochs letztes Wahlergebnis mit minus zehn Prozentpunkte ist nicht vergessen. Ist eine konservative gefärbte CDU überhaupt noch mehrheitsfähig?
Mißfelder: Wir haben bei der Bundestagwahl eines der schlechtesten Ergebnisse unserer Parteigeschichte erzielt. In Nordrhein-Westfalen haben wir vor allem in unseren Hochburgen massiv verloren. Ich kann nicht erkennen, dass das passiert wäre, weil wir uns so außerordentlich um unsere Stammwähler bemüht hätten. Wir haben uns im Gegenteil insbesondere um die Mitte beworben. Im Moment haben wir als Volkspartei Schwierigkeiten, alle gesellschaftlichen Gruppen zu erreichen. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu.
sueddeutsche.de: Ist die Frage, ob und wie konservativ sich die Partei nach außen darstellt, eine Frage des politischen Überlebens?
Mißfelder: Nein. Es müssen sich alle drei Wurzeln in der Union, die konservative, die liberale und die soziale widerfinden. Die unterschiedlichen Generationen, die unterschiedlichen gesellschaftpolitischen Ansichten. Ich finde es etwa richtig, dass wir uns in der Familienpolitik öffnen und jungen Eltern Wahlfreiheit bei der Erziehung ihrer Kinder ermöglichen. Das habe ich immer unterstützt. Aber wir brauchen starke Flügel mit exponierten Persönlichkeiten. In der Sozialpolitik ist das auf Landesebene in Nordrhein-Westfalen Karl-Josef Laumann. Wir brauchen aber auch in der Wirtschaftspolitik ein Gesicht. Nach dem Wechsel von Karl-Theodor zu Guttenberg vom Wirtschafts- ins Verteidigungsministerium müssen wir auch in der Regierung deutlich mehr Profil zeigen.
sueddeutsche.de: Köpfe sind das eine. Mit welchen Inhalten könnte die Union ihre Stammwählerschaft reaktivieren?
Mißfelder: Etwa mit klaren Aussagen in der Integrationspolitik. Wir haben ja geradezu einen Wettbewerb darum, wer die meisten runden Tische organisiert. Stattdessen brauchen wir mehr Ecken und Kanten. Die Parteien haben sich in der Integrationspolitik stark angenähert. Unsere Stammwähler aber, vor allem diejenigen, die in den großen Städten tagtäglich mit den Integrationsproblemen konfrontiert werden, suchen hier mehr Halt. Sie verlangen von uns ganz klar, dass wir uns mehr dem Aspekt des Forderns und nicht nur dem des Förderns widmen. Dafür steht auch Roland Koch.
sueddeutsche.de: Was wäre denn eine konservative Forderung, die diesen Ansprüchen genügt?
Mißfelder: Ich finde, und das haben wir in Nordrhein-Westfalen teilweise auch etabliert, es soll kein Kind mehr eingeschult werden, wenn es nicht Deutsch sprechen kann. Aber es geht auch darum, dass wir uns offensiv mit dem islamistischen Fundamentalismus auseinandersetzen. Wenn ich mir die Islamkonferenz anschaue, frage ich mich schon: War es der richtige Weg, mit wirklich allen Gruppen zu sprechen? Der Islamrat...
sueddeutsche.de: ... dem islamistische Tendenzen vorgeworfen werden...
Mißfelder: ... ist jetzt ausgestiegen. Aber doch nicht, weil wir ihn mit den Vorwürfen konfrontiert hätten. Da sind die Ängste in unserer Wählerschaft zu Recht sehr groß.
sueddeutsche.de: In seinem Wahlkampf 2008 hat Roland Koch die Kriminalität ausländischer Jugendlicher thematisiert. Punkten konnte er damit nicht. Ist das das Dilemma der Union, dass ihr der Spagat nicht mehr gelingt zwischen progressiver Familienpolitik und restriktiver Integrationspolitik?
Mißfelder: Diese Frage ist eine zentrale Herausforderung für die Union als Volkspartei. Wir müssen sozial ausgewogen und ordnungspolitisch vernünftig sein. Wir müssen weltoffen sein und zugleich ein klares Bekenntnis zur deutschen Leitkultur ablegen. Das müssen wir glaubwürdig vertreten. Es gab Beispiele, bei denen das in die eine Richtung nicht geklappt hat. Und es gab Beispiele wie die Bundestagswahl oder die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, bei denen wir Verluste hinnehmen mussten, weil wir zu einseitig in die andere Richtung gegangen sind.
sueddeutsche.de: Glauben Sie noch an Wahlergebnisse für die Union jenseits von 40 Prozent?
Mißfelder: Ja, aber das hängt vor allem davon ab, ob wir unsere Stammwähler und die Wechselwähler mobilisieren können. In Nordrhein-Westfalen ist uns das jedenfalls nicht gelungen. Wenn wir es dann zugleich schaffen, die Anhänger des politischen Gegners zu demobilisieren, sind wir ein Stück weiter.
sueddeutsche.de: Bei der Bundestagwahl lag der Erfolg von Angela Merkel vor allem darin, die SPD-Wähler davon abzuhalten, wählen zu gehen. Hinterher haben sich alle Politiker hingestellt und erklärt, wie furchtbar es sei, dass die Wahlbeteiligung so niedrig ist. Kann das dauerhaft ernsthaft eine Strategie der Union sein?
Mißfelder: Parteien müssen strategisch denken. Aber für die Demokratie ist das natürlich auf Dauer ein schwieriger Weg. Am besten ist deswegen ein überzeugendes Programm verbunden mit profilierten Köpfen.
sueddeutsche.de: Ist Angela Merkel die Richtige dafür, den Konservatismus in der Union wieder zu integrieren? Oder wäre es besser darauf zu warten, dass sie die Bundestagswahl 2013 verliert, damit andere das Ruder übernehmen können?
Mißfelder: Angela Merkel ist die unumstrittene Nummer eins der Union. Die Partei ist auf sie zugeschnitten, wir unterstützen sie in ihrem Weg. Sie ist ein großes Pfund, auch weil ihre Popularität ungeachtet der schlechten Werte für die Regierung sehr hoch ist. Es waren Angela Merkel und Karl-Theodor zu Guttenberg, die uns bei der Bundestagswahl diesen Vorsprung überhaupt erst verschafft haben.