Konsequenzen der BER-Panne:Lehren aus dem Berliner Flughafen-Debakel

Wowereit - Flughafendebakel

In der Verantwortung: Klaus Wowereit, Berlins Regierender Bürgermeister.

(Foto: dpa)

Als Aufsichtsräte übernehmen Politiker nicht nur politische Verantwortung - sie müssen gegebenenfalls persönlich haften. Diese Tätigkeit ist insofern eine grausam-gefährliche Aufgabe. Das Desaster mit dem Flughafen Berlin-Brandenburg zeigt, dass Politiker wie Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit damit überfordert sind - und dass sie aus Aufsichtsräten zurückgezogen werden müssen.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Es hat eigentlich schon einen Sinn, dass Spitzenpolitiker im Aufsichtsrat der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH sitzen: Diese GmbH gehört dem Bund und zwei Bundesländern, sie ist Bauherrin des Großflughafens, und dieser wird mit gewaltigen Steuermitteln finanziert.

Geldgeber ist also der Souverän, der Bürger; dieser Bürger hat auch die Politiker gewählt - unter anderem zu dem Zweck, für die kluge Verwendung der Steuergelder Sorge zu tragen. Es ist also an sich richtig und gut, wenn gewählte Politiker in dem Organ sitzen, das die Aufsicht über das Projekt hat. Es verdichtet sich dann demokratische Verantwortung.

Im Aufsichtsrat sollen die Politiker die öffentlichen Interessen vertreten. Das ist eine anspruchsvolle, ja eine grausam-gefährliche Aufgabe, die über die allgemeine politische Verantwortung weit hinausgeht. Ein Politiker im Aufsichtsrat rückt quasi in die Rolle eines Bürgen: Er haftet nun nicht nur mit seinem politischen Amt, sondern ganz persönlich dafür, dass die operative Arbeit, so gut es nur geht, kontrolliert wird.

Ein Kontrolleur, der nicht kontrolliert, ist aber kein Kontrolleur. Und ein Aufsichtsrat, der nicht beaufsichtigt, ist kein Aufsichtsrat. Ein Politiker, der im Aufsichtsrat nur sitzt, aber dort nicht mit ganzer Kraft arbeitet, versagt nicht nur politisch, sondern auch juristisch. Die Verantwortung, die also ein Politiker im Aufsichtsrat übernimmt, ist eine für ihn ungeheuer gefährliche Verantwortung - der er mit einem Rücktritt nicht entkommt und die auch mit seiner Abwahl nicht erledigt ist.

Politisch verantwortlich - auch ohne eigenes Verschulden

Politiker, die zu Zeiten der Milliardenpleiten in den Aufsichts- und Verwaltungsräten der Landesbanken saßen, wissen ein Lied davon zu singen. Sie sahen sich auf einmal im Visier der Staatsanwaltschaften. Warum? Weil sich das Rechtsbewusstsein, auch bei den Gerichten, geändert hat. In den alten Zeiten der Wirtschaftswunder-Republik konnte ein Hermann Josef Abs sagen, dass es leichter sei, ein eingeseiftes Schwein am Schwanz festzuhalten, als einen Aufsichtsrat in die Haftung zu bringen; das ist lang vorbei.

Politische Verantwortung - das ist Verantwortung auch für Fehler, die andere gemacht haben: Kanzler Brandt hat die Verantwortung dafür übernommen, dass in seiner nächsten Umgebung der Stasi-Spion Guillaume gearbeitet hat. Bundesinnenminister Seiters hat die Verantwortung für das Desaster bei der RAF-Verfolgung am Bahnhof von Bad Kleinen übernommen. Beide sind zurückgetreten - ebenso wie Länder-Justizminister und -senatoren, die so die politische Verantwortung dafür auf sich luden, dass Verbrecher aus der Haft fliehen konnten.

Haftung für Schludrigkeit, Lässigkeit, Absenz

Politische Verantwortung ist mittelbare Verantwortung auch ohne eigenes persönliches Verschulden. Die Haftung als Aufsichtsrat dagegen ist unmittelbare finanzielle Haftung für eigenes Verschulden - für Schludrigkeit, Lässigkeit, Absenz. Der bei einem Spitzenpolitiker chronische Zeitmangel kann zur schadenersatzpflichtigen Pflichtverletzung werden; er kann ihn finanziell ruinieren.

Nun hat bisher niemand den Bürgermeister Wowereit oder den Ministerpräsidenten Platzeck persönlich haftbar machen wollen. Aber schon die Tatsache, dass eine solche Haftung für das Milliardendesaster denkbar ist, zeigt, dass die Verantwortungsverdichtung von Politikern in Aufsichtsräten ein Übermaß erreicht hat.

Man muss das öffentliche Interesse vor überforderten Politikern und man muss Politiker vor sich selbst schützen: Die Belastungen in Aufsichtsräten sind so groß - und zwar auch dann, wenn die Politiker exzellente Bürokratien hinter sich haben -, dass die Zahl der Mandate, die Politiker übernehmen, drastisch limitiert werden muss.

Politiker müssen aus Aufsichtsräten, notfalls legislativ, zurückgezogen werden. Die politische Verantwortung bei öffentlichen Großprojekten besteht - das ist die Lehre von Berlin! - darin, Aufsichtsgremien mit erfahrenen Experten für Giga-Projekte und klugen Ex-Vorständen gut zu besetzen. Daran fehlt es in Berlin, hinten und vorne.

Was den Regierungen vorzuwerfen ist

Das Verschulden der Politik ist ein Organisationsverschulden: Weder Wowereit noch Platzeck noch die Staatssekretäre der Bundesregierung, die im Aufsichtsrat sitzen, sind Experten für Großprojekte; ihre Verwaltungen sind es auch nicht. Aber als Vertreter der öffentlichen Hand sind sie verantwortlich dafür, dass Experten in die Geschäftsführung und den Aufsichtsrat berufen werden.

Das ist nicht geschehen; das ist der Bundesregierung und den Landesregierungen vorzuwerfen! Demokratie hat viel mit Verantwortung zu tun. Verantwortung heißt Rechenschaft ablegen. Rechenschaft beginnt damit, dass man der Gesellschaft Antwort gibt. Ein Rücktritt als Aufsichtsratsvorsitzender ist eine ungenügende Antwort.

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