Konsequenzen aus Urteil gegen Berlusconi:Wie ein Steuerbetrüger Italiens Regierung bedroht

Silvio Berlusconi

Silvio Berlusconi in Rom - auch nach dem Urteil erschüttert der Fall die italienische Politik.

(Foto: AFP)

Schwierige Zeiten für Ministerpräsident Letta: Nach dem Berlusconi-Urteil geht es um die Zukunft seiner Koalition. Das Ämterverbot für den Cavaliere ist in der Schwebe. Neuwahlen könnten zwar den Kampf gegen die Krise lähmen und dem Image Italiens weiter schaden. Doch sie würden auch eine Chance bergen.

Von Irene Helmes und Martin Anetzberger

Silvio Berlusconi ist erstmals rechtskräftig verurteilt worden. Doch was genau bedeutet das für Italien? Das Urteil im Mediaset-Prozess stellt das Land und seine Politiker vor neue Probleme. Die zwei Schlüsselfiguren der italienischen Politik taten in ihren ersten Reaktionen, was man von ihnen erwartete. Staatspräsident Giorgio Napolitano und Regierungschef Enrico Letta von der sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) mahnten zur Besonnenheit. Um aus der Krise herauszukommen, müsse das Land Zusammenhalt finden, so Napolitano. Letta sagte, zum "Wohl des Landes" sei nun Ruhe angebracht sowie Respekt vor der Justiz und ihren Entscheidungen.

Beide Politiker haben großes Interesse daran, dass die Regierung aus PD und Berlusconis Partei PDL (Volk der Freiheit) trotz dessen Verurteilung im Amt bleibt. Napolitano ist 88 Jahre alt und hatte sich erst auf Drängen mehrerer Politiker aus verschiedenen Lagern im April zu einer weiteren Amtszeit als Staatspräsident durchgerungen. Er war es schließlich auch, der die aktuelle Koalition aus Sozialdemokraten und PDL vermittelte. Und auch Letta hofft, dass seine Regierung die Entscheidung des Obersten Kassationsgerichtshofs übersteht. Doch das ist keineswegs sicher, denn Berlusconi ist zwar kein Kabinettsmitglied, verfügt jedoch nach wie vor über maßgeblichen Einfluss und einen Sitz im Senat.

Den Sitz darf er zumindest vorläufig behalten. Denn das Berufungsgericht in Rom entschied, dass das in den Vorinstanzen verhängte Ämterverbot für Berlusconi neu verhandelt werden muss. Die Richter verschafften der Regierung so ein wenig Zeit und gaben dem ehemaligen Regierungschef theoretisch sogar die Chance, von sich aus die Konsequenzen zu ziehen.

Doch Berlusconi lässt schon wenige Stunden nach dem Urteil keinen Zweifel daran, dass er nicht daran denkt, sich zurückzuziehen. In einer im italienischen Fernsehen ausgestrahlten Videobotschaft wandte sich der Cavaliere an die Nation. "Am Ende meiner Karriere wird der 20-jährige Einsatz für dieses Land mit Beschuldigungen und einem Urteil belohnt, das jeder Grundlage entbehrt", polterte er in gewohnter Manier. Er habe "niemals ein Steuerbetrugssystem auf die Beine gestellt", sondern vielmehr "zum Reichtum des Landes beigetragen." Das Urteil beraube ihn seiner "Freiheit und politischen Rechte".

Auch seine Gegner machten keinen Hehl aus ihren Gefühlen. Vor dem Gericht in Rom versammelten sich jubelnde Menschen und tranken Champagner. Sie hielten Plakate in die Luft, auf denen stand "Justice has been done". Andere zeigten Berlusconi hinter Gitterstäben.

Gewohnt große Worte kommen vom Gründer des Movimento 5 Stelle, Beppe Grillo. Die Verurteilung, so der umstrittene Polit-Komiker, sei "wie der Fall der Berliner Mauer, die Deutschland 28 Jahre lang geteilt hat". Berlusconi wiederum - "Steuerhinterzieher, Freund der Mafiosi, korrupt" - habe die italienische Politik 21 Jahre lang gelähmt. Er sei "eine Mauer Italiens, die uns von der Demokratie getrennt hat". Durch das Urteil aber "ist diese Mauer, längst schon ein Trugbild, eine optische Täuschung, aufrechterhalten durch Spezialeffekte der Zeitungen und des Fernsehens, eingestürzt". Allerdings, vorbei sei die Krise noch lange nicht. "Eine Mauer ist eingestürzt, aber andere müssen erst noch fallen."

Aus dem linken Lager wurden umgehend Forderungen nach politischen Konsequenzen laut. So erklärte Nichi Vendola vom links-ökologischen Bündnis Sinistra Ecologica Libertà (Sel), die aktuelle Koalition dürfe unter diesen Umständen keinesfalls fortgesetzt werden. Es sei klar, "dass die italienische Krise nicht allein wirtschaftlicher, finanzieller und sozialer Natur ist, sondern auch eine gigantische Glaubwürdigkeitskrise der politischen Klasse". Es müsste deshalb für die Sozialdemokraten inakzeptabel sein, weiter mit Berlusconis Partei zu kooperieren.

Berlusconi könnte erneut antreten

Ezio Mauro, einer der bekanntesten Journalisten des Landes, beschreibt in der linksliberalen Zeitung La Repubblica die Regierungsbeteiligung als das einzige Instrument für die Rechte, sich nach dem Urteil am Leben und einig zu halten. Während Berlusconi versuchen werde, "seine persönliche Tragödie auf die Mehrheit zu übertragen" und "sie mit seiner Abartigkeit anzustecken", sei es für die Linke "die einzige Rettung", sich endlich über die Natur dieser Rechten und ihres Anführers klar zu werden. "Es ist nicht die Rechte, die nach diesem Urteil entscheiden muss, ob sie an der Regierung bleiben kann. Es ist die Linke. Denn das Urteil des Gerichts ist nicht politisch, aber das Bild, das es enthüllt, ist politisch vernichtend."

Europäische Medien nehmen den Schuldspruch Berlusconis überwiegend mit Befriedigung auf, und befassen sich ebenfalls bereits mit möglichen Konsequenzen. So heißt es in der Neuen Zürcher Zeitung: "Und wenn die Regierung Letta nun tatsächlich gestürzt wird, wie Berlusconis Leute angedroht haben? Schade wäre es nicht. Bisher hat die Regierung der großen Koalition nur bewiesen, dass sie zum Regieren nicht imstande ist." Der französische Figaro zeigt sich etwas pessimistischer. Die Zukunft der italienischen Politik werde trotz allem "nur mit demjenigen zu machen sein, den sie dort den 'Kaiman' nennen". Ein Austritt der fünf Minister Berlusconis würde eine neue Krise auslösen. "Alles hängt jetzt davon ab, welche Anweisungen der Cavaliere in den kommenden Tagen geben wird."

Dann wird sich auch herausstellen, wie sich die Abgeordneten der Regierungsparteien positionieren. Vor dem Urteil hatte es in beiden Fraktionen Stimmen gegeben, die sich für den Fall einer Verurteilung Berlusconis gegen die Fortsetzung des Bündnisses ausgesprochen hatten. Sollte die Koalition tatsächlich zerbrechen, könnte es im Herbst zu Neuwahlen und einer schwierigen Regierungsbildung kommen. Das könnte den Kampf gegen die Wirtschaftskrise lähmen und das Image Italiens weiter beschädigen. Noch dazu, da das Land in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen soll.

Überblick
Aktuelle Prozesse gegen Berlusconi
  • Unipol-Prozess: Silvio Berlusconi soll Aufzeichnungen eines vertraulichen Telefongesprächs an die Zeitung Il Giornale weitergegeben haben, um dem Linkspolitiker Piero Fassino zu schaden. Urteil in erster Instanz: ein Jahr Gefängnis.
  • Ruby-Prozess: Im Juni 2013 wird Berlusconi zu einer Gefängnisstrafe von sieben Jahren verurteilt - wegen Sex mit einer Minderjährigen und Amtsmissbrauch. Das Urteil fällt allerdings in der ersten Instanz, in Italien bleiben diese Entscheidungen oft folgenlos.
  • Ermittlungen wegen Bestechung: Der ehemalige Senator Sergio De Gregorio soll Medienberichten zufolge gestanden haben, für einen Parteiwechsel im Jahr 2004 insgesamt drei Millionen Euro von Berlusconi erhalten zu haben. De Gregorios Eintritt in Berlusconis Partei sorgte dafür, dass die damalige Regierungkoalition unter Romano Prodi auseinanderbrach.

Damit beschäftigt sich auch der Leitartikel des Corriere della Sera unter dem sinngemäßen Titel "Reißt euch zusammen, alle". Die Mehrheit der Italiener und der Europäer sowie die Märkte würden die aktuellen Entwicklungen ohnehin nur aus einem Blickwinkel betrachten: Wie viel Instabilität sie bringen könnten und welche Konsequenzen sie hätten "für unsere kollektive Anstrengung, den Kopf wieder über Wasser zu bekommen nach Jahren der schlimmsten Krise". Der einzige Weg nach vorne sei, Napolitanos Rat zu folgen: "Die Realität zu akzeptieren, einen Strich zu ziehen und neu zu beginnen." Alle anderen müssten hingegen erklären, "wem und was eine Regierungskrise nützen würde".

Solange Berlusconi nicht mit einem Ämterverbot belegt wird, wird er Vertraute um sich scharen und könnte bei Neuwahlen möglicherweise wieder antreten. Er hat bereits angekündigt, seine frühere Partei Forza Italia wiederbeleben zu wollen. Berlusconis Abschied aus der Politik zu besiegeln, könnte am Ende statt den Gerichten oder den politischen Gegnern ein letztes Mal den Wählern selbst zufallen.

Mit Material von Reuters, AFP und dpa.

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