Normalerweise ist es eine Selbstverständlichkeit, dass der eine für den anderen einspringt. So gehört sich das in einer Freundschaft. An diesem Sonntagabend könnte sich Peter Greulich aber wahrscheinlich bessere Dinge vorstellen, als sich im Duisburger Rathaus vor die Fernsehkameras zu stellen und das Ergebnis des Abwahlverfahrens gegen Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) zu verkünden.
Weil Sauerland das selbst nicht machen kann, muss Stadtdirektor Greulich (Grüne) ran, sein Freund und Stellvertreter. Etwa 129.000 Bürger haben gegen Sauerland gestimmt, sagt Greulich. 92.000 Stimmen hätten die Sauerlands Gegner gebraucht, ein paar zehntausend mehr haben sie zusammenbekommen.
Am Mittwoch muss Sauerland, 56, nun seinen Stuhl räumen und Greulich vorübergehend die Amtsgeschäfte übernehmen, bis innerhalb von sechs Monaten ein neues Stadtoberhaupt gewählt ist. Das ist eine Überraschung, die nun auch auf dem Gesicht von Greulich abzulesen ist. Den Robert Redford der Stadtpolitik haben sie ihn genannt wegen seines Aussehens.
Heute spielt er eine recht traurige Rolle. Greulich war einer der ganz wenigen Menschen in Duisburg, die sich in den vergangenen Monaten öffentlich auf die Seite Sauerlands gestellt haben, der ihn immer verteidigte gegen die Kritik wegen dessen Verhaltens vor und nach der Katastrophe auf der Loveparade im Juli 2010 mit 21 Toten.
Unerwarteter Wahlausgang
Das hätten die wenigsten in Duisburg gedacht, dass ein solches Ergebnis zustande kommt, weil das Abwahlgesetz die Hürde sehr hoch gelegt hatte: mit der Mehrheit aller Stimmen und 25 Prozent aller Wahlberechtigten, die gegen den OB stimmen mussten. Viele Zahlen waren in den vergangenen Tagen durch die Stadt gegeistert, von 40.000 abgegebenen Briefwahlstimmen war die Rede gewesen, was den Gegnern Hoffnung machte.
Sauerland und seine Unterstützer hatten argumentiert, dass das Abwahlverfahren wenig mit der Loveparade zu tun habe, sondern vor allem dazu diene, die Stadt für die SPD zurückzuerobern und zu zeigen, dass die Wahl eines Christdemokraten hier nur ein Betriebsunfall war. Kurz nach Schließung der Wahllokale kommt der NRW-Innenminister und Duisburger SPD-Vorsitzende Ralf Jäger ins Rathaus und lässt sich fotografieren. Da ahnen viele schon, dass das auch eine Siegerpose ist.
Von Sauerland sieht man lange nichts, er ist erkältet, wie so oft in den vergangenen Monaten. Am Freitag hatte er noch mal gesagt, dass er keine Angst vor seinen Bürgern habe, und sein Programm für den Wahlsonntag bekanntgegeben: Erst schön frühstücken, dann das Spiel des MSV gucken und hoffen, dass der gegen Rostock gewinnt. Und irgendwann mal schauen, was im Rathaus so passiert. Das ist so seine Art. Passiert ist dann doch allerhand. Aus seiner Sicht. Der MSV hat gegen Rostock verloren und Sauerland sein Amt.
Dabei hatte er sich recht sicher gefühlt in den vergangenen Tagen und auch ein bisschen damit kokettiert, 2015 vielleicht erneut anzutreten. Am Sonntagabend lässt Sauerland zunächst auf sich warten. Es ist aber auch nicht so, dass im Rathaus sonderlich viele Anhänger bereitstehen, um ihren OB zu trösten. Im Rathaus jubeln die Gegner.
Um kurz nach acht kommt Sauerland die Treppe hinauf. Es sind nicht nur gute Gewinner im Saal. Ein kleiner Mann kündigt mit dem Megafon seine Kandidatur für die nächste OB-Wahl an. "Ich bitte Sie, etwas mehr Charakter an den Tag zu legen", sagt Sauerland.
Charakter, das hatten seine Kritiker auch bei ihm vermisst, den Mut, die Verantwortung zu übernehmen nach der Loveparade. Er hat so viele Gelegenheiten verpasst. Und auch seine kleine Rede nach der Niederlage am Sonntag ist wieder eine vertane Chance, so etwas wie Demut zu zeigen vor der Kritik. "Zu meiner Amtszeit gehörten viele Erfolge, aber auch die Loveparade."
Mehr ist da offenbar nicht in ihm, kein Wort von eigenen Fehlern. Am Montag und Dienstag wolle er seinen Schreibtisch räumen und Organisatorisches erledigen. "Der will noch mal wieder kommen", schreit Werner Hüsken von der Bürgerinitiative. Später spricht er ruhig von einem "großen Sieg der Bürger".
Nun gelte es, die Stadt wieder voranzubringen. Viel mehr, als über Sauerland zu diskutieren, hat die Stadtpolitik zuletzt nicht zustande gebracht. Man sieht das schon bei der Ankunft am Bahnhof. Die Stadt empfängt ihre Besucher mit einer Brache. Die sieht so traurig aus wie ihr abgewählter Oberbürgermeister am Sonntagabend im Rathaus. Er bitte alle, von Terminanfragen in den nächsten Tagen Abstand zu nehmen. "Gott schütze die Stadt Duisburg." Dann ist er weg.