Konkurrenz zwischen IS und al-Qaida:Wettstreit der Dschihadisten

  • Die seit vielen Monaten laufende Auseinandersetzung zwischen al-Qaida und IS könnten schnell in einen mörderischen Wettlauf ausarten.
  • Bisher waren Anschläge im Westen das Markenzeichen von al-Qaida. Doch IS beanspruchen inzwischen ganz offen, weltweit den Dschihad anzuführen.

Von Georg Mascolo und Hans Leyendecker

Abu Jarir al-Shamali ist ein Veteran von al-Qaida. Er war früher Kommandeur, saß angeblich sieben Jahre im Gefängnis und lief dann zu der Konkurrenz-Organisation Islamischer Staat (IS) über. In dem IS-Propagandablatt Dabiq, einem Hochglanzmagazin, das im Internet erscheint, machte er neulich seine alte Truppe schlecht und rechnete sogar mit Osama bin Laden ab. Der sei zwar "eine aufrichtige Seele" gewesen. Das zeigten auch die Anschläge des 11. September. Aber bin Laden sei zu weich gewesen.

Ob die Attentäter von Paris überhaupt einer der beiden Terrororganisationen zugerechnet werden können, ist nicht klar. Es gibt nur Indizien, keine Belege. Vor dem Überfall auf die Charlie-Hebdo-Redaktion sollen sie sich als Gefolgsleute von al-Qaida ausgegeben haben, ebenso wie später in einem Telefonat mit einem französischen Fernsehsender; auch soll einer der beiden Mörder von einer Qaida-Einheit im Jemen ausgebildet worden sein. Aber es war der IS, der die Henker als "heroische Dschihadisten" lobte. Und ein IS-Prediger soll beim Freitagsgebet im irakischen Mossul gesagt haben: "Wir haben mit der Operation in Frankreich begonnen, für die wir die Verantwortung übernehmen." Das Bekenntnis zum Massenmord muss nicht stimmen.

Führungspersonal der Terrorgruppen betrachtet sich mit Hass

Die beiden Dschihadistengruppen sind Rivalen. Ihr Führungspersonal betrachtet einander mit Argwohn, ja mit Hass, und sie überschütten sich gegenseitig mit Verdächtigungen und Beschimpfungen.

Der bizarre Bruderkrieg in der Dschihad-Szene macht die Sicherheitsbehörden nervös. Die seit vielen Monaten laufende Auseinandersetzung zwischen den beiden Organisationen, so befürchten sie, könnte schnell in einen mörderischen Wettlauf ausarten, in dem IS und al-Qaida mit möglichst spektakulären Anschlägen im Westen um die Vorherrschaft wetteifern könnten.

Früher waren Anschläge im Westen das Markenzeichen von al-Qaida gewesen. Der Terrorismus-Forscher Peter Neumann vom Londoner Kings College meint, dass solche Anschläge die "einzige Karte" seien, "die al-Qaida noch spielen" könne. Im Kampf der beiden Rivalen, so urteilte der Bundesnachrichtendienst (BND) vor Monaten in einer Expertise für die Bundesregierung, liege der IS eindeutig vorn.

Der IS und sein selbst ernannter Führer, Kalif Abu Bakr Baghdadi, beanspruchen inzwischen ganz offen, weltweit den Dschihad anzuführen. Frühere al-Qaida-treue Verbände wie in Algerien haben sich dem IS angeschlossen. Aber Baghdadi will, dass ihm alle die Treue schwören. Sogar al-Qaida auf der arabischen Halbinsel oder die Taliban im Afghanistan.

Im vergangenen September startete der IS in Afghanistan und Pakistan eine regelrechte Medienkampagne. Vor allem junge Kämpfer der Taliban und der Hezb-e-Islami wurden aufgefordert, sich dem IS anzuschließen. "Wir haben keine Verbindungen" zum IS, keilte die Al-Qaida-Führung im vorigen Jahr zurück. Baghdadis Truppe sei "keine Filiale von al-Qaida". Um irgendwie nachzuziehen, gründete al-Qaida dann Ableger in Indien.

Al-Qaida gilt als gestrig und müde

Tatsächlich steckt die Terrororganisation, deren Name mit dem Massenmord am 11. September 2001 und mit Osama bin Laden verbunden wird, spätestens seit dem Tod des Gründervaters im Mai 2011 in einer Krise. Dem neuen Chef Aiman al-Sawahiri fehlt es ebenso an der Unterstützung reicher Gönner wie an Rekruten aus der arabischen Welt und dem Westen. Die Organisation gilt vielen in der internationalen Szene der islamistischen Fanatiker als gestrig und müde.

Ganz anders der IS, der inzwischen Teile Syriens und des Irak regiert. Um den Unterschied aus Sicht der Dschihadisten zu verdeutlichen: Al-Qaida sieht ein Kalifat als Fernziel, der IS rief ein Kalifat aus. So werden vor allem junge Leute aus dem Westen angezogen, die ihren Traum ausleben, in einem angeblich echten islamischen Staat Gewalt über andere ausüben zu können. Eigene Glaubensvorstellungen haben dort eine Machtbasis.

Eine Ausrufung des Kalifats wurde von al-Qaida ebenso abgelehnt wie die von Baghdadi geforderte absolute Loyalität gegenüber seiner Person. Auch kritisiert al-Qaida scharf den Kampf des IS gegen nicht ausreichend folgsame Sunniten. Al-Sawahiris Todfeinde sind Nicht-Muslime, nicht die Sunniten. Er hält die Vorgehensweise des IS für kontraproduktiv.

Konkurrenz zwischen IS und al-Qaida: In ihrem eigenen Kalifat - wie hier im syrischen Raqqa - können sich die Kämpfer des Islamischen Staats bewegen. Das kann ihnen al-Qaida nicht bieten.

In ihrem eigenen Kalifat - wie hier im syrischen Raqqa - können sich die Kämpfer des Islamischen Staats bewegen. Das kann ihnen al-Qaida nicht bieten.

(Foto: AP)

Was beide Terrorgruppen weiterhin verbindet

Bei einem Streifzug um den Globus fällt auf, dass in Libanon, im Jemen, in Nordafrika, Ostafrika und Indonesien, in der Türkei und auf dem Balkan, aber auch in Afghanistan oder Pakistan innerhalb der Dschihadisten-Szene der IS ständig an Zulauf gewinnt. Sogar der legendäre afghanische Warlord Gulbuddin Hekmatjar soll, das verbreiten Nachrichtendienste, angeblich heimlich mit dem IS liebäugeln. Ob das zutrifft, ist nicht bekannt. Derzeit würde das seine Pläne gefährden, bald in Afghanistan ein offizielles politisches Amt zu bekleiden. Aber selbst diese Perspektive kann sich noch ändern.

Zur Anziehungskraft unter Dschihadisten hat die zeitgemäße Medienarbeit des IS beigetragen. Innerhalb der sozialen Netzwerke ist der IS unter den Dschihadisten eindeutig die Nummer eins. Auch zahlt der IS besser als Sawahiris Truppe.

Was beide Terrorgruppen aber weiter verbindet, ist der Hass auf den Westen und der neue Glaube, dass man auch mit einfachen Waffen wie Sturmgewehren oder Messern schreckliches Unheil anrichten kann. Terrorismus-Forscher Neumann: "Die Dschihadisten haben erkannt, dass sie mit komplizierten Plänen Jahre verschwendet haben".

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