Große Krisen legen offen, aus welchem Holz ein Mensch geschnitzt ist. Das kann man seit Ausbruch der Corona-Pandemie täglich neu studieren. Aber man hätte es nicht unbedingt für möglich gehalten, dass diese Krise auch derart eklatant den Unterschied zwischen einer verheerenden und einer verantwortungsvollen Politik aufzeigt. Das Schlechte begegnet einem jeden Tag beim Blick auf Donald Trump und dessen Reaktion auf Corona, auf Rassenhass und Wirtschaftskrise. Ziemlich viel Gutes lässt sich dagegen seit Monaten in Deutschland erkennen. Allen Demonstrationen zum Trotz ist das Land bislang im Vergleich zu den meisten anderen Staaten sehr glimpflich durch die Pandemie-Gefahren gekommen. Und jetzt, da die Wirtschaftsprobleme ins Zentrum rücken, hat die Koalition ein Konjunkturpaket präsentiert, das in Größe und Inhalt großes Lob verdient hat.
Der Unterschied könnte größer kaum sein: Während sich in den USA viele Menschen vor der nächsten Aggression Trumps fürchten, können in Deutschland viele ihre Hoffnungen auf eine ziemlich klug agierende Regierung setzen.
Konjunkturpaket:Darauf haben sich Union und SPD geeinigt
Kinder, Kommunen, Steuerzahler: Das Konjunkturpaket hat viele Nutznießer. Auch die Autoindustrie bekommt etwas. Wenn auch nicht das, was sie wollte. Ein Überblick mit Grafiken.
Drei Beispiele stehen dafür exemplarisch. Erstens hat sich die Berliner Koalition allen Forderungen der Autolobby widersetzt, deren Industrie mit einer Abwrackprämie für alle Autoarten zur Seite zu springen. So wichtig diese Industrie ist, sie hat nicht bekommen, was sie als fantasieloseste Lösung haben wollte. Das ist eine wichtige Botschaft. Zweitens nimmt die Regierung viel Geld für ärmere Familien und Alleinerziehende in die Hand. Sie greift damit genau jenen unter die Arme, die in der Pandemie besonders heftig mit den Umständen kämpfen mussten. Und drittens hat sie mit der befristeten Senkung der Mehrwertsteuer einen Weg gewählt, der tatsächlich allen schnell zugutekommen kann - denen, die sich größere Anschaffungen leisten können, aber auch jenen, die auf jeden Cent schauen müssen.
Natürlich, eine Gewissheit gibt es nicht, dass das alles gutgeht und der Wirtschaft hilft, schnell wieder zu wachsen. Das hängt auch an vielen Unternehmen wie den großen Handelshäusern, die der Verlockung widerstehen müssen, die Senkung der Mehrwertsteuer zur Erhöhung der Preise zu nutzen. Das gilt gerade für jene Handelsketten, die in der Krise zuletzt richtig viel verdient haben. Aber ein hoffentlich funktionierender Wettbewerb wird dem entgegenwirken. Außerdem wissen doch viele, dass ein Verpuffen der Mehrwertsteuersenkung dem ganzen Land schaden würde. Auch das könnte allzugroße Egoismen im Zaum halten.
Es ist kein halbes Jahr her, da hätte kaum jemand einen derartigen Kraftakt der Koalition noch für möglich gehalten. Zerstritten, mutlos, ohne überwölbende Botschaft und angeführt von einer Kanzlerin, die schon auf ihrer Abschiedstour ist - das war die Erzählung, die sich im Herbst um die Koalition herum festgesetzt hatte. Jetzt aber, in den ersten Junitagen 2020, erscheint das Bild von einer durch und durch erschöpften Regierung nur noch wie ein Zerrbild aus dem vergangenen Jahrhundert. Als die Spitzen von Regierung und Koalition am Mittwochabend das Konjunkturpaket präsentierten, wirkte es, als wolle das schwarz-rote Bündnis noch einmal ganz von vorne anfangen.
Mit einem Mal stimmten Tonlage und Inhalte; zum ersten Mal seit Langem konnte man das Gefühl bekommen, dass da Koalitionspartner handeln, die sich tatsächlich als Partner akzeptiert haben. Selbst die Tatsache, dass schon in einem halben Jahr der nächste Wahlkampf beginnt, belastete die Gespräche nicht, sondern wurde als wenig maßgeblich beiseitegeschoben. Mehr als zwei Jahre nach ihrer Bildung macht diese Koalition, was sie von Anfang an hätte tun können: Sie gibt ihrem Bündnis eine Idee und eine Richtung. Herausgefordert durch eine Krise, die größer kaum mehr sein könnte.
Bewegt haben sich dafür alle in diesem Bündnis. Dass Angela Merkel noch mal eine Kanzlerin mit großen Würfen für Europa und für Deutschland werden könnte, hat bis vor Kurzem wahrscheinlich nicht mal sie selbst für möglich gehalten. Im Angesicht dieser Krise hat sie alle früheren Zweifel gegenüber solch großen Versprechen über Bord geworfen. Die schwäbische Hausfrau in Merkel - sie ist endgültig Geschichte. Nicht minder groß ist die Veränderung bei Markus Söder. Als der CSU-Chef das Beschlossene rechtfertigte, lobte er die SPD und verteidigte die Demokratie, die manchmal Zeit brauche, aber stets gute Ergebnisse hervorbringe. Ein Gestus ist das, den selbst Söder lange Zeit für undenkbar gehalten hätte.
Den größten Sprung hat gleichwohl die SPD-Spitze gemacht. Nicht in der Sache, sondern im Umgang mit dem Koalitionspartner. Aus distanzierten bis ablehnenden Vorsitzenden wurden mindestens im Fall von Norbert Walter-Borjans Sozialdemokraten, die in der Krise den richtigen Kurs und den richtigen Ton fanden. Für die weitere Zukunft heißt das wenig; für die wichtige Gegenwart aber ist es ein großer, nicht mehr erwarteter Fortschritt.