Süddeutsche Zeitung

Konjunktur:Wirtschaft entgeht knapp der Rezession

Das Wachstum hat in den vergangenen drei Monaten 0,1 Prozent betragen. Regierung und Opposition streiten, ob das schon ein Erfolg oder "reale Gefahr" ist. Ökonomen sind optimistisch.

Von Cerstin Gammelin und Alexander Hagelüken, Berlin/München

Bundesregierung und Opposition streiten angesichts des kaum noch vorhandenen Wirtschaftswachstums darum, wie die Konjunktur angekurbelt werden kann. Am Donnerstag vermeldete das statistische Bundesamt, dass die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal des laufenden Jahres nur leicht gewachsen ist. Von Juli bis Oktober legte die Wirtschaftstätigkeit um 0,1 Prozent zu. Weil sie aber zuvor im zweiten Quartal um 0,2 Prozent geschrumpft war, schrammte die deutsche Volkswirtschaft erstmals seit sieben Jahren nur knapp an einer Rezession vorbei.

Finanzminister Olaf Scholz (SPD) wertete die Daten als Beweis guter Regierungsarbeit. Sie zeigten, "dass unser vorsichtiger Optimismus berechtigt gewesen ist, was die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands angeht". Er hoffe, dass sich damit die Debatte um weitere Konjunkturmaßnahmen abschwäche, sagte er in Berlin.

Die Opposition warnte dagegen vor Stillstand. "Das Wachstum nähert sich der Nulllinie", sagte FDP-Chef Christian Lindner der SZ. Das sei "eine reale Gefahr für den Wohlstand". Deutschland müsse wieder schneller wachsen, das gelinge aber nur, wenn der Solidaritätszuschlag vollständig gestrichen und mehr Bürokratie abgebaut werde sowie Unternehmen steuerlich bessergestellt würden.

Grünen-Co-Chef Robert Habeck kritisierte, das leichte Wachstum dürfte nicht darüber hinwegtäuschen, "dass wir vor einer längerfristigen Strukturkrise stehen". Angesichts des Wandels in den Handelsbeziehungen und der dramatischen Klimakrise müsse die deutsche Wirtschaft sozialökologisch umgebaut werden. "Regulatorik, Ordnungsrecht, Anreize und Förderung" müssten verlässlich signalisieren, dass klimaneutrale Produktion sich lohne. Zugleich müsse deutlich mehr und kontinuierlich in Forschung, Bildung, Netze und Breitbauausbau investiert werden.

In der Nacht zum Freitag wollten sich die Haushaltsexperten des Bundestages abschließend mit den Haushaltsplanungen für 2020 beschäftigen. Wie aus Koalitionskreisen verlautete, sollen dabei zusätzliche finanzielle Mittel für den Digitalpakt Schule sowie das Bundesbildungsministerium bereitgestellt werden.

Deutsche Ökonomen werteten die Quartalszahlen als "Hoffnungsschimmer". Timo Wollmershäuser, Konjunkturchef des Ifo-Instituts, sagte, "erst verbesserten sich die Erwartungen und jetzt verbessert sich auch die Konjunktur." Getragen werde das leichte Wachstum vom Bau und konsumnahen Dienstleistern; dass es insgesamt so schwach ausfalle, liege daran, dass die Exportindustrie in den Sog des Handelsstreits geraten sowie die Autoindustrie im Umbruch sei. Uneins sind sich die Wirtschaftsforscher allerdings, was die Bundesregierung tun sollte, um die Konjunktur zu beleben. Das Ifo-Institut rät derzeit von zusätzlichen Konjunkturpaketen ab.

Sebastian Dullien, Direktor des IMK-Instituts, forderte die Regierung indes auf zu handeln. "Anbieten würde sich die Lockerung des Zugangs zu Kurzarbeit oder Regeln zu steuerlichen Sonderabschreibungen". Mittelfristig sei ein Investitionsprogramm sinnvoll.

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Quelle:
SZ vom 15.11.2019
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