Konjunktur:Jetzt ist die Stunde der Politik

Deutschland steckt in einem Wirtschaftsabschwung. Wenn die große Koalition jetzt nicht mutig reagiert, dann kann sich die Lage zur Krise ausweiten.

Von Alexander Hagelüken

Wenn später einmal auf das Jahr 2019 zurückgeschaut wird, könnte es heißen: Das war der Moment, als eine der längsten Boomphasen der deutschen Nachkriegszeit mit einem Knall endete. Schon bevor diese Woche die Konjunkturforscher ihre Herbstprognose vorlegen, steht fest, dass die Wirtschaft kaum noch wächst. Aus einem goldenen Jahrzehnt mit steigenden Löhnen und markant weniger Arbeitslosen wird - ja, was? Nur eine vorübergehende Flaute oder doch eine tiefe Krise? Wie schlimm es wird, steht noch nicht fest. Es hängt von internationalen Einflüssen ab. Und davon, ob sich die Bundesregierung gegen den Abschwung stemmt. Positiv gewendet: Jetzt ist die Stunde der Politik.

Diese Politik muss freilich anders aussehen, als es der amerikanische Präsident vormacht. Am Wochenende gab es mal wieder Aufregung über Gedankenspiele von Donald Trump. Sperrt er Chinas Firmen von der Wall Street aus? Spät erklärten die USA, dies werde nicht erwogen - "zum jetzigen Zeitpunkt". Es ist diese Methode Verunsicherung, mit der Trump die Weltwirtschaft auf die Knie zwingt. Seine beispiellosen Zollattacken auf China zählen ebenso dazu wie die Dauerdrohung, deutsche Autos zu verteuern. Das alles bewegt Firmen auf dem ganzen Globus, Erweiterungspläne einzustampfen. Die Weltwirtschaft entwickelt sich so schwach wie seit der Finanzkrise 2008 nicht mehr.

Das spürt die Bundesrepublik besonders, sie hängt zur Hälfte vom Geschäft im Ausland ab. Dax-Konzerne streichen Stellen. Mehr und mehr Bundesbürger fürchten um ihren Arbeitsplatz. Solche Ängste werden zunehmen, falls aus weiteren Risiken geschäftlicher Ernst wird. Falls Chinas Volkswirtschaft einbricht und Großbritannien die EU ohne Deal verlässt. In einer so unklaren Situation spielt die Stimmung eine zentrale Rolle. Wenn deutsche Konsumenten und Unternehmen das Schlimmste erwarten, halten sie ihr Portemonnaie zu - und treiben die Bundesrepublik damit auf jeden Fall in eine Wirtschaftskrise. Deshalb ist es wichtig, das Positive zu betonen. Und ja, das gibt es.

Den meisten Dienstleistern geht es ganz gut. Und diese Branchen stellen inzwischen die meisten Arbeitsplätze im Land. Die Gesamtzahl der Stellen in Deutschland dürfte heuer sogar noch steigen. Schon gestiegen sind Löhne und Renten. Diese heimische Nachfrage stabilisiert. Doch dieser Pfeiler knickt weg, sobald Konsumenten und Firmen zu skeptisch werden. Deshalb ist es entscheidend, dass die Bundesregierung die Stimmung verändert: Seht her, wir verhindern die Krise! Wäre das ein zu dickes Versprechen? Nein. Bisher zeichnet sich keine Jahrhundertrezession ab, nur ein Abschwung. Dagegen kann nationale Politik auch im Zeitalter der Globalisierung viel ausrichten. Je früher sie damit anfängt, desto besser.

Was also tun? Zum einen sollte die Regierung den Firmen erlauben, Investitionen für eine gewisse Zeit steuerlich schneller abzuschreiben. Das hilft in Zeiten der Unsicherheit. Außerdem sollte sie den Arbeitnehmern signalisieren, ihre Steuern und Abgaben in den nächsten Jahren nach und nach zu senken: Das erhält die Konsumfreude. Und dann bedarf es eines langfristigen Plans, um Deutschlands Schulen, Verkehrswege und Digitalnetze zu modernisieren - als Vorbild kann der Geldregen für die Bahn im Klimapaket dienen.

Das Hauptargument gegen eine solche Gesamtstrategie ist der ausgeglichene Haushalt, die schwarze Null. Angela Merkel hat sie zum Markenzeichen erhoben, damit die Wähler die CDU-Kanzlerin für die Inkarnation der schwäbischen Hausfrau halten. Und SPD-Finanzminister Olaf Scholz möchte das Vorurteil widerlegen, Sozis verschleuderten das Geld. Doch die schwarze Null ist obsolet, weil sich die Bundesrepublik ohnehin nicht zu einem Schuldenstaat wie Griechenland entwickeln wird. Gleichzeitig verhindert sie nötige Impulse: Investitionshilfen für verunsicherte Unternehmen. Geringere Abgaben für die deutschen Arbeitnehmer, die im internationalen Vergleich hoch belastet werden. Und eine Generalüberholung der Infrastruktur, die künftiges Wachstum ermöglicht - oder verhindert. Ein Festhalten an der schwarzen Null drückt Deutschland nun erst recht in die Krise.

Vor nicht allzulanger Zeit stand eine Bundesregierung vor einer Herausforderung, die sogar größer war als heute. Nachdem Banker die Finanzkrise 2008 herbeispekuliert hatten, kollabierte die Weltwirtschaft wie zuletzt in den 1930er-Jahren, bevor Hitler die Macht ergriff. 2008 verhinderte die Regierung das Schlimmste: Durch Kurzarbeitergeld und Autoprämie kam das Land schnell aus der Krise. Kanzlerin war damals Angela Merkel, Arbeitsminister ein gewisser Olaf Scholz. Die beiden sind jetzt gefordert, so entschieden zu handeln wie damals. Sonst wird es später einmal bei der Rückschau auf das Jahr 2019 heißen: Damals rutschte Deutschland in eine tiefe Krise, weil die Politiker nur zuschauten.

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