Kongresswahlen in den USA:Obama droht Niederlage von historischem Ausmaß

Die US-Demokraten fürchten ein Desaster: Mit aller Kraft versucht Präsident Obama seine Anhänger zu mobilisieren. Trotzdem könnten bei den Kongresswahlen die Republikaner im Abgeordnetenhaus so viele Sitze erobern, wie sie dort seit 80 Jahren nicht mehr gehabt haben.

Reymer Klüver, Washington

Am Ende versuchte der Präsident, den Einsatz noch einmal zu erhöhen. Nicht nur um die kommenden zwei Jahre gehe es bei den Kongresswahlen an diesem Dienstag, sagte Barack Obama am Wochenende bei Wahlkundgebungen vor Tausenden in Chicago und Philadelphia, wie immer bei solchen Gelegenheiten in Hemdsärmeln oder zumindest krawattenlos. Vielmehr werde diese Wahl "die Richtung für die nächsten zehn, zwanzig Jahre vorgeben".

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Die Republikaner vor dem Triumph. Was in den USA zur Wahl steht.

(Foto: Infografik: SZ)

Die Botschaft war ebenso drastisch, wie ihr Motiv durchsichtig und ihr Erfolg fraglich ist: Mit Parolen vom drohenden politischen Weltuntergang (jedenfalls aus Sicht der Demokraten im Land) will der Präsident Anhänger seiner Partei in die Wahllokale treiben. Denn den Demokraten droht - nur zwei Jahre nach dem Wahltriumph Obamas - an diesem Dienstag eine Niederlage geradezu historischen Ausmaßes. Entgegen den Hoffnungen, dass sich die schon seit Monaten miserablen Prognosen gegen Ende des Wahlkampfs verbessern könnten, sagen US-Wahlanalysten höhere Gewinne für die Republikaner voraus als bisher angenommen - zumindest im Repräsentantenhaus. Der renommierte Wahlforscher Stuart Rothenberg bescheinigte ihnen, dort bis zu 70 zusätzliche Sitze erobern zu können. 39 bräuchten sie für die Mehrheit in der unteren Kammer des US-Kongresses. Bisher halten sie 178 Mandate, die Demokraten 255 (zwei Sitze sind nicht besetzt). Der Meinungsforscher Scott Rasmussen kündigte gar einen "Gezeitenwechsel" an.

Seinen Prognosen zufolge haben die Republikaner landesweit neun Prozent Vorsprung vor den Demokraten, was ihnen im Repräsentantenhaus so viele Stimmen geben dürfte wie seit 80 Jahren nicht mehr. Damals, bei Beginn der großen Depression, hatten die Republikaner 270 der 435 Sitze erobert. Selbst der demokratische Meinungsforscher Peter Hart räumte ein, dass es nur noch die Frage sei, ob die Demokraten ein Hurrikan der Stärke vier oder fünf treffe - die beiden stärksten Kategorien für Wirbelstürme.

Im Schnitt hat die Partei, die den Mann im Weißen Haus stellt, bei Zwischenwahlen seit dem Zweiten Weltkrieg 20 Mandate eingebüßt. Insofern wäre ein Verlust von 70 Sitzen sensationell, der auch noch die Wahlniederlage der Demokraten von 1994 in den Schatten stellen würde, als sie, knapp zwei Jahre nach dem Amtsantritt von Präsident Bill Clinton, 54 Stimmen verloren hatten. Damals hatten die Republikaner auch die Mehrheit im Senat erobert. Das könnten sie in diesem Jahr zwar theoretisch ebenfalls schaffen. Wenn sich die Meinungsforscher aber nicht irren, werden sie die Marge knapp verfehlen. Allgemein wird erwartet, dass sie bis zu acht Senats-Sitze hinzugewinnen und auf 49 Stimmen in dem hundertköpfigen Gremium kommen könnten.

Der pro-republikanische Trend setzt sich in der Provinz fort

Unter anderem ist Obamas ehemaliger Senatssitz in Illinois für sie in greifbarer Nähe. Der gegenwärtige Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, Harry Reid, muss auch in Nevada ebenso um seine Wiederwahl bangen wie der linke Senator Russ Feingold in Wisconsin.Zeitweise umkämpfte Bundesstaaten wie Kalifornien oder West Virginia, traditionell fest in Händen der Demokraten, dürften die Demokraten indes verteidigen.

Vor Kongresswahl in USA - Obama in Ohio

Barack Obama versuchte am Ende den Einsatz bei den Kongresswahlen noch einmal zu erhöhen. Der Erfolg ist mehr als fraglich.

(Foto: dpa)

Nicht unerwartet setzt sich der pro-republikanische Trend in der Provinz fort: In 37 Bundesstaaten werden die Gouverneure (grob vergleichbar den Ministerpräsidenten der Länder) gewählt. Von ihnen wird ebenfalls eine Mehrheit an die Republikaner gehen. Auch in Dutzenden von Parlamenten in den Bundesstaaten stehen die Republikaner vor Zugewinnen, was insofern von Bedeutung ist, als in den kommenden zwei Jahren die Grenzen der Kongresswahlbezirke neu gezogen werden. Gouverneure und Parlamentsmehrheiten können das zugunsten ihrer Partei beeinflussen.

Enttäuschung über den Präsidenten

Angestachelt von der lautstarken Tea-Party-Bewegung gehen die Republikaner hochmotiviert und besser mobilisiert in die Wahl. Von den Anhängern der Demokraten hingegen verspüren viele - so haben sie es den Meinungsforschern gesagt - wenig Lust, zur Wahl zu gehen. Die Begeisterung über die Politik von Präsident Obama hält sich selbst unter seinen Anhängern in Grenzen. Allgemein hat sich in den USA seit der großen Wirtschaftskrise vor zwei Jahren (und der Wahl Obamas) eine gewaltiges Gefühl allgemeiner Verunsicherung festgesetzt. Das kann man nicht zuletzt daran ablesen, dass drei Viertel aller Amerikaner in einschlägigen Umfragen bestätigen, ihr Land bewege sich "in die falsche Richtung".

Ausgelöst haben die niedergedrückte Stimmung vor allem wirtschaftliche Faktoren: die schleppende Erholung der US-Konjunktur, die hartnäckig hohe Arbeitslosigkeit und die ungelöste Immobilienkrise. Hinzu kommt eine weitverbreitete Enttäuschung über den Präsidenten, ob gerechtfertigt oder nicht: Seine linken Parteifreunde kreiden ihm an, dass er Versprechungen aus dem Wahlkampf nur halbherzig einzulösen versucht - ein Beispiel ist die Schließung des Internierungslagers von Guantanamo. Viele Unabhängige wiederum nehmen ihm übel, dass er die weitere Verschuldung des Staates zulässt. Die Republikaner wiederum halten ihm vor, nicht, wie angekündigt, den Kompromiss mit ihnen gesucht zu haben - obwohl es die Republikaner waren, die sich jeglicher Zusammenarbeit von Anfang an entzogen.

Die Republikaner versuchen deshalb die Wahl zu einer Abstimmung über den Präsidenten zu stilisieren: "Wenn die Republikaner gewinnen, ist das eine klare Missbilligung Obamas", sagte erst am Sonntag der einflussreiche republikanische Gouverneur von Mississippi, Haley Barbour, und formulierte damit wohl die Botschaft der Republikaner für den Tag nach der Wahl. Die Demokraten wiesen das umgehend zurück. Ein Wahlkampf ist noch nicht ganz zu Ende. Da beginnt schon der nächste, der um die Präsidentschaft 2012.

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