Kongresswahlen:Die blaue Welle bleibt aus

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Lockerer Sieg: Die demokratische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez (links) vor ihrem Büro in New York auf dem Weg zu einer Umarmung. (Foto: John Angelillo /imago images/UPI Photo)

Die Demokraten behalten zwar die Mehrheit im Repräsentantenhaus, doch von einem Sieg im wichtigen Senat waren sie am Mittwoch weit entfernt.

Von Reymer Klüver, München

Eines kann man nach diesem Wahlabend in den USA getrost feststellen, jedenfalls was den Kongress angeht: Die riesigen Verschiebungen zugunsten der Demokraten, wie sie nach den Prognosen der Meinungsforscher möglich erschienen, sind ausgeblieben. Von einer blauen Welle, die das Oberhaus des Parlaments in die Hände der Demokraten spülen würde, war auf Anhieb zumindest nichts zu sehen. Am Mittwochabend hatten sie nach vorläufigem Stand 46 Sitze im Senat erlangt, 47 die Republikaner. Und dass die Demokraten das Repräsentantenhaus halten würden, das hatten vorher nicht einmal die Republikaner bezweifelt. Allerdings blieb die Partei auch da eindeutig hinter den Vorhersagen zurück.

In Iowa, im Kampf um die Mehrheit im Senat fast schon ein sogenannter Must win, also ein Bundesstaat, den die Demokraten den Republikanern hätten abjagen müssen, siegte die hochumstrittene Amtsinhaberin Joni Ernst. Sie hatte sich zuletzt in einer Fernsehdebatte blamiert, weil sie im Gegensatz zu ihrer demokratischen Herausfordererin keine Ahnung vom Preis von Sojabohnen hatte - im agrarischen Iowa ein Unding. Obwohl ein Kopf-an-Kopf-Rennen prognostiziert war, wies sie ihre Konkurrentin souverän in die Schranken.

In Maine, ein fest eingeplanter Must-win-Staat für die Demokraten, schlug sich die Republikanerin Susan Collins erstaunlich gut. Im Lauf des Tages hängte sie ihre demokratische Herausforderin Sara Gideon immer weiter ab. Collins gilt als liberale Vorzeigefrau der Republikaner im Senat; sie stimmte vor Kurzem erst als Einzige in ihrer Fraktion gegen die Ernennung der umstrittenen erzkonservativen Juristin Amy Coney Barrett zur Obersten Richterin am Supreme Court.

Mit Spannung war das Senatsrennen in South Carolina beobachtet worden, normalerweise ein sicheres Mandat für die Republikaner, zumal Amtsinhaber Lindsey Graham den Südstaat bereits seit 18 Jahren vertritt. Doch diesmal schien alles anders zu werden. Graham hatte sich vom Skeptiker zum glühenden Befürworter des Präsidenten gewandelt. Als Vorsitzender des Justizausschusses peitschte er im Oktober die Wahl Amy Coney Barretts durch den Senat. Das machte ihn zu einer besonderen Hassfigur für die Demokraten - und mobilisierte deren Anhänger. In Jaime Harrison hatte Graham zudem erstmals einen Herausforderer, der ihm in den Umfragen gefährlich nahe kam. Harrison konnte deutlich mehr Geld für Wahlwerbung sammeln. Am Ende reichte es dennoch nicht. Der Senatsveteran Graham lag bereits nach kurzer Auszählung uneinholbar vorn.

Da war es dann auch nicht weiter bemerkenswert, dass Mitch McConnell, der Führer der republikanischen Senatoren, in seinem Heimatstaat Kentucky problemlos wiedergewählt wurde - obwohl die Demokraten Unsummen in die Wahlkampagne seiner Herausfordererin gesteckt hatten: Am Ende waren es nicht weniger als 100 Millionen Dollar. Völlig vergebens. McConnell kam auf fast drei Fünftel der abgegebenen Stimmen.

Auch sonst gab es am Wahlabend in den ersten Stunden, als an der Ostküste ausgezählt wurde, zunächst keine Überraschungen. Die Republikaner nahmen den Demokraten ein Senatsmandat in Alabama ab. Aber ernsthaft hatte auch niemand erwartet, dass Senator Doug Jones seinen Sitz halten würde. Den hatte er 2017 in einer Nachwahl gegen einen republikanischen Kandidaten gewonnen, dem schwere sexuelle Übergriffe vorgeworfen worden waren. Diesen Verlust hatten die Demokraten sozusagen eingepreist, in dem konservativen Südstaat hat seit Jahren kein Demokrat mehr ein Amt auf Bundesstaatsebene gewonnen, geschweige denn einen Senatssitz. Jones' Erfolg 2017 war die absolute Ausnahme.

Gut dagegen sah es für die Demokraten weiter im Westen aus. Dort hatten sie einige populäre Kandidaten aufgestellt. New Mexico konnten sie ohne Probleme halten. Der demokratische Kongressabgeordnete Ben Ray Luján trat als Nachfolger des beliebten Senators Tom Udall an. Luján, ein Latino, gewann in dem Bundesstaat, der unter allen Bundesstaaten den höchsten Anteil an Latinos hat, mit klarem Abstand vor dem Kandidaten der Republikaner.

Tatsächlich gelang es den Demokraten, im Südwesten nicht nur New Mexico zu halten, sondern den Republikanern in Colorado und Arizona zwei Sitze abzunehmen. In Colorado kandidierte der frühere populäre Gouverneur John Hickenlooper, der lange Jahre Bürgermeister von Denver gewesen war. Er schlug Amtsinhaber Cory Gardner, der als einer der kommenden Köpfe bei den Republikanern galt. In Arizona siegte der frühere Astronaut Mark Kelly, ebenfalls ein populärer Kandidat. Er katapultierte Martha McSally aus dem Amt, die vor zwei Jahren vom Gouverneur des Bundesstaates ernannt worden war, um den Sitz zu übernehmen, den über lange Jahre der verstorbene Senator John McCain innegehabt hatte.

Bis zum Mittwochmittag Ortszeit waren außer Maine, wo dann die Republikanerin Collins vorne lag, drei Senatsrennen noch nicht endgültig ausgezählt, die die Mehrheitsverhältnisse im Senat verschieben konnten: Michigan, North Carolina und Georgia. In allen drei Bundesstaaten lagen in der Nacht die republikanischen Kandidaten vorn, alle Briefwahlzettel und vorab abgegebenen Stimmen waren aber noch nicht ausgezählt, sodass sich das Ergebnis durchaus noch verändern konnte. In jedem Fall aber waren die Rennen sehr, sehr knapp.

In Georgia kam noch eine weitere Besonderheit dazu. Dort sollten beide Senatsposten des Bundesstaats gleichzeitig vergeben werden, was sonst nie der Fall ist. Die zweite Wahl wurde aber nötig, weil der bisherige Amtsinhaber, ein Republikaner, zurückgetreten war. Es gab keine Primary, weswegen für jede Partei mehrere Kandidaten antreten konnten. Jetzt wird es zu einer Stichwahl am 3. Januar zwischen den Siegern des Durchgangs am 3. November kommen, der Republikanerin Kelly Loeffler und dem Demokraten Raphael Warnock.

Am Ausgang des Rennens um die Mehrheit im Repräsentantenhaus gab es am Mittwoch keine Zweifel, auch wenn am Morgen amerikanischer Zeit von 435 Sitzen offiziell erst 198 den Demokraten und 184 den Republikanern zugeschlagen waren. Aber anstatt dass die Demokraten auf breiter Front, wie sie wohl erwartet hatten, noch Zugewinne machen konnten, gelang es den Republikanern sogar, ihnen einige Mandate meist in eher ländlich geprägten Bezirken wieder abspenstig zu machen. Vor zwei Jahren hatten die Demokraten 40 Mandate hinzugewonnen. Wahlforscher hatten ihnen den Zugewinn von zehn, vielleicht sogar 20 weiteren Sitzen zugetraut.

Daraus ist nichts geworden. Im Gegenteil: Zu den prominentesten Opfern bei den Demokraten zählte die einstige Gesundheitsministerin von Präsident Bill Clinton, Donna Shalala, die in Miami verlor. Das dürfte vor allem an der wachsenden Beliebtheit von Präsident Trump bei den Angehörigen der einstigen Exilanten aus Kuba gelegen haben. In Minnesota verlor der demokratische Abgeordnete Collin Peterson, der seinen Wahldistrikt seit drei Jahrzehnten in Washington vertreten hatte - ein Zeichen, dass ländliche Bezirke im Gegensatz zu den Suburbs immer konservativer werden. Ebenfalls hinter ihren Erwartungen blieben die Demokraten offenbar in Texas zurück. Das gilt nicht nur für ihr Abschneiden bei der Präsidentschaftswahl, sondern auch bei der Kongresswahl, wo sie sich deutlichere Stimmenzuwächse in den Vororten erhofft hatten.

Unter besonderer Beobachtung beim Kampf ums Repräsentantenhaus standen zwei Rennen - vor allem wegen ihrer politisch umstrittenen Kandidatinnen. In New York gelang es der Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez, 31, der wohl populärsten Vertreterin der jungen Linken in der Partei, locker, ihren republikanischen Herausforderer zu schlagen, einen 60 Jahre alten katholischen Religionslehrer. Die Republikaner hatten zehn Millionen Dollar an Wahlwerbung in das symbolträchtige Rennen gesteckt. Auch drei weitere junge Frauen, die wie Ocasio-Cortez dem progressiven Flügel der Demokraten angehören und zusammen als "Squad" in der Öffentlichkeit auftreten, wurden jeweils wiedergewählt: Ayanna Pressley in Massachusetts, Ilhan Omar in Minnesota und Rashida Tlaib in Michigan.

Ebenfalls wenig Zweifel konnte es am Ausgang eines Rennens in Georgia geben, das dennoch für Aufsehen sorgte. Dort hatten die Republikaner für einen der 14 Sitze des Bundesstaats im Repräsentantenhaus die 46-jährige Marjorie Taylor Greene aufgestellt. Die Demokraten hatten in dem erzkonservativen Wahlbezirk erst gar keinen eigenen Bewerber nominiert. Interessant war die Wahl aber dennoch: Greene ist eine offene Anhängerin der rechten Verschwörungsbewegung QAnon.

Im Wahlkampf hatte sie mit Sturmgewehr posiert und den Slogan verbreitet: "Rettet Amerika. Stoppt den Sozialismus." Präsident Donald Trump hatte sie unterstützt und als einen der kommenden Stars der Republikaner gepriesen. Greene ist indes nicht die einzige Verfechterin der obskuren Verschwörungstheorie bei den Republikanern. Nach Recherchen der New York Times hatte sich mindestens ein Dutzend der republikanischen Kongresskandidaten als Anhänger des internetgestützten Kults geoutet. Allerdings traten die meisten in Wahlkreisen an, in denen Republikaner von vornherein keine Chance auf einen Sieg hatten.

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