Kongo:Zynische Sichtweise

Die Wahl in der Demokratischen Republik war eine plumpe Fälschung. Doch Europa und die USA akzeptieren sie - und ermutigen so alle Diktatoren Afrikas.

Von Bernd Dörries

Wieder hat es am Wochenende Kämpfe gegeben im Kongo, wieder Dutzende Tote, dabei sollte doch alles besser werden. Millionen Kongolesen dachten, sie hätten eine Wahl, das Recht auf eine bessere Zukunft. Am vorletzten Tag des Dezember machten sie sich auf den Weg, gingen bei Sonnenaufgang los, liefen stundenlang bis zur nächsten Wahlurne, in der Hoffnung, dass ihre Stimme zählen würde. Die Menschen wählten das alte Regime ab und entschieden sich für Martin Fayulu, einen Oppositionspolitiker, der den Eindruck erweckte, ihm könnte ein wirklicher Neuanfang gelingen für die Demokratische Republik Kongo. Er wollte dafür sorgen, dass der unglaubliche Reichtum an Rohstoffen auch der Bevölkerung zugutekommt und nicht nur der korrupten Elite und den Konzernen aus dem Ausland. Etwa sechzig Prozent der Wähler haben Fayulu geglaubt und ihn gewählt. Präsident wurde er dennoch nicht, weil der bisherige Machthaber Joseph Kabila keine Lust darauf hatte, dass Fayulu ihm seine Millionen wegnehmen, ihn ins Gefängnis sperren würde. Also ließ Kabila die Wahl fälschen. Es ist der am besten belegbare Betrug in der afrikanischen Geschichte, eine lächerlich plumpe Fälschung, die Europa und die USA dennoch abnickten. Scham ist ein großes Wort, aber hier wohl angebracht.

Der US-Botschafter in Kinshasa hatte nach den ersten Ergebnissen noch gedroht, diejenigen "zur Verantwortung zu ziehen, die die Demokratie unterminieren". Der französische Außenminister hatte sich gewundert, dass die offiziellen Wahlergebnisse nicht denselben Sieger sehen wie unabhängige Institutionen und ein Whistleblower. Selbst die Afrikanische Union meldete Zweifel an. Es sah so aus, als könne die Demokratie gewinnen.

Aber nur wenig später freute sich der US-Botschafter auf die gute Zusammenarbeit mit dem illegitimen Wahlsieger, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schrieb einen freundlichen Brief - die Menschen im Kongo wurden "zum ersten friedlichen Machtwechsel seit der Unabhängigkeit" beglückwünscht. "Friedlich" bedeutete in diesem Fall, dass Kandidaten von der Wahl ausgeschlossen, dass die Opposition gegängelt und mindestens 34 Menschen von Sicherheitskräften umgebracht wurden. "Friedlich" heißt also übersetzt, dass 34 Tote bei diesen Afrikanern da unten doch eine ganz gute Bilanz seien, dass es nicht besser würde, dass es nicht darauf ankomme, ob der eine jetzt auf dem Präsidentenstuhl sitzt oder der andere. Das ist die zynische Sichtweise der internationalen Gemeinschaft. Ob die Bundesregierung dazu eine Meinung hat, lässt sich schwer sagen; ein Sprecher ließ lediglich wissen, man stimme sich ab und beobachte die Lage aufmerksam.

Was man umgekehrt beobachtet: Seit Jahren wird in der deutschen Politik intensiv darüber diskutiert, wie man Afrika helfen kann. Dieser Diskurs ist interessant, aber im Wesentlichen theoretisch, er hat kaum Auswirkungen auf die praktische Politik. Sie toleriert die Farce einer Wahl, vermittelt den 80 Millionen Kongolesen letztlich: Mehr ist bei euch nicht drin. Solange ihr euch nicht die Köpfe einschlagt, beobachten wir das Ganze aufmerksam, schauen also weg. Seltsamerweise geht man mit dem Fall Venezuela ganz anders um. Dort unterstützt Europa den Parlamentspräsidenten, erkennt ihn als neuen Präsidenten an, der zwar sympathisch wirkt - aber weniger demokratische Legitimationen vorweisen kann als Martin Fayulu im Kongo. Für Afrika gelten offenbar andere Kriterien.

Natürlich ist die Lage im Kongo nicht einfach zu lösen, stößt die Diplomatie an Grenzen. Es zu versuchen, wäre aber das Mindeste, wenn man es ernst meint mit einem neuen Afrika. Der Kontinent muss sich vor allem selbst helfen, und man kann sich im Falle des Kongo fragen, warum dort nicht Millionen Menschen auf die Straße gehen, warum alles ruhig bleibt. Ein Teil der Antwort ist, dass ein traumatisiertes und erschöpftes Volk von außen ja genau diese Botschaft bekommt: Es lohnt sich nicht, unsere Unterstützung habt ihr nicht. Das gilt für den Kongo. Das gilt aber auch für Sudan und Simbabwe, wo Menschen ihr Leben riskieren und opfern für eine bessere Zukunft. Hier schweigt Europa ebenso - womöglich auch deswegen, weil es, konfrontiert mit immer mehr Autokraten und Populisten, den Wert der Demokratie allmählich aus dem Blick verliert.

Nicht sehr viele Staaten in Afrika sind wirklich demokratisch, dort aber lassen sich die Vorteile besichtigen, Armut und Korruption sinken. Seitdem die Afrikanische Union im Jahr 2000 beschloss, keine Regime mehr anzuerkennen, die durch einen Putsch an die Macht kamen, ist die Zahl der Umsturzversuche um die Hälfte gesunken. In Simbabwe wurde 2017 wieder eine Ausnahme gemacht, im Kongo kann man vom Putsch an der Urne sprechen. Beide Fälle wurden international geduldet, beide Fälle werden sich andere Diktatoren zum Vorbild nehmen.

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