Süddeutsche Zeitung

Kongo:Wenig Wahl, viel Kampf

Die Amtszeit von Joseph Kabila ist seit Langem abgelaufen, doch Kongos Präsident regiert weiter. An diesem Wochenende sollte ein Nachfolger bestimmt werden - eigentlich.

Von Bernd Dörries, Bumba

Emmanuel Ramazani Shadary steht auf dem kleinen Turm des Stadions von Bumba, auf dem normalerweise der Stadionsprecher die Ergebnisse des Fußballspiels ansagt. Shadary ist in die Stadt in der Mitte der Demokratischen Republik Kongo gekommen, um ein bisschen Wahlkampf zu machen, er ist der Kandidat der Regierungspartei und geht an diesem Tag noch davon aus, dass er sich am 23. Dezember zur Wahl stellen wird. Seit sieben Stunden warten nun etwa fünftausend Menschen in der Sonne auf die Rede des ehemaligen Innenministers, die dann nicht einmal fünf Minuten dauert: Wir werden das Land weiter aufbauen. Bumba hat eine große Zukunft. Vielen Dank für eurer Kommen. Abgang. So kann man das in etwa zusammenfassen.

Als seine gemäß der Verfassung letzte Amtszeit auslief, blieb Joseph Kabila einfach im Amt

Es bleibt die Frage, warum Shadary sich auf den weiten Weg gemacht hat, mit einem Flugzeug, das wegen Sicherheitsbedenken nicht in die EU fliegen darf, wenn er nicht wirklich viel zu sagen hat? Unter dem Mikrofon hängt die Stadiontafel, auf der normalerweise die Tore von Heimmannschaft und Gast angezeigt werden. Heute hängt auf beiden Seiten das Logo der Regierungspartei PPRD, so als ob das Ergebnis der Wahl schon vorher festzustehen scheint. So fest, dass man sich fragt, ob es überhaupt eine Wahl geben wird. Ein paar Tage später wird die Wahlkommission den Termin wegen organisatorischer Probleme auf den 30. Dezember verschieben.

Vier Präsidenten hat der Kongo seit seiner Unabhängigkeit 1960 gehabt, bisher ist keiner freiwillig aus dem Amt geschieden, gab es keinen friedlichen Übergang durch eine Abstimmung an den Urnen. Nun soll er das erste Mal gelingen, jubelt die Regierungspartei seit Monaten - die in den vergangenen Jahren alles getan hat, damit sich der Machtwechsel innerhalb der Familie abspielt. Präsident Joseph Kabila, seit 2001 im Amt, durfte laut der Verfassung nicht zum dritten Mal antreten und regierte deshalb einfach weiter.

Seit 2016 hätte es eigentlich Wahlen geben sollen, die Kabila immer wieder verschieben ließ, um dann im Sommer doch seinen Rückzug anzukündigen, der nur ein halber ist. Er denkt bereits darüber nach, wie Wladimir Putin eine Amtszeit auszusetzen, um dann bei der nächsten Wahl wieder anzutreten. Sein Statthalter bis dahin soll der ehemalige Innenminister Emmanuel Ramazani Shadary sein, ein auch im Kongo nicht sonderlich populärer oder bekannter Politiker, der bei seinen Auftritten unbeholfen wirkt. Wegen seiner Rolle bei der Niederschlagung der Opposition steht er auf der Sanktionsliste der EU.

Die Regierungspartei tat in den vergangenen Monaten dennoch alles, damit er gute Chancen hat: Kabila ließ die beiden bekanntesten Oppositionspolitiker nicht zur Wahl zu - bei der schon eine einfache Mehrheit reicht. Die Opposition ist natürlich zerstritten, weshalb Shadary mit einem niedrigen zweistelligen Ergebnis Präsident werden könnte.

Behilflich wird ihm womöglich auch der Einsatz elektronischer Wahlmaschinen sein, die aus Sicht der Opposition Manipulationen möglich machen. Am Donnerstag vergangener Woche brannte in Kinshasa das Depot mit 7000 Wahlmaschinen nieder, wofür die Regierung die Opposition verantwortlich machte und umgekehrt. Belgische Diplomaten berichteten, dass die schwerbewaffneten Regierungssoldaten, die das Depot bewachen sollten, kurz vor dem Feuer abgezogen worden seien. Es war ein erstes Anzeichen, dass der Wahltermin nicht zu halten ist, dass die Regierung womöglich gar keine Wahlen will.

Von all dem ist nicht viel zu spüren an diesem Nachmittag in Bumba, der Stadt am Kongo-Fluß nahe dem Äquator. "Ich werde wählen gehen, es wird aufwärts gehen mit dem Kongo und der Stadt, meine Hoffnungen sind riesig", sagt Gédéon im Stadion von Bumba, 18 Jahre ist er alt und gehört zu jenen Millionen in dem schnell wachsenden Land, die zum ersten Mal wählen dürfen, für die es wenig Vergangenheit gibt und viel Zukunft. Sie jubeln, als Emmanuel Ramazani Shadary das Stadion verlässt. Und strecken die Arme aus, als seine Leute 20-Dollar-Noten verteilen.

Politische Konzepte oder Programme sind egal an diesem Nachmittag, wichtig ist es für die Kandidaten, den Eindruck zu vermitteln, dass von den Reichtümern des Landes auch etwas beim Volk ankommt. Bumba ist eine alte belgische Handelsstation, ohne Straßenanschluss, mit einem winzigen Flughafen, auf dem einmal die Woche eine Maschine landet oder auch nicht. Man kommt letztlich nur über den Kongo-Fluss hierher, eine tagelange Reise voller Strapazen. Wer in Bumba ist, bleibt deshalb erst einmal da.

Kabila und seine Leute loben sich in diesen Tagen, dem Land nach den vielen Kriegen wieder eine gewisse Stabilität verschafft und die Wirtschaft zum Laufen gebracht zu haben: Das Bruttosozialprodukt stieg in seiner Amtszeit von 7,44 Milliarden Dollar auf 72,2 Milliarden im Jahr 2017, was fast einer Verzehnfachung entspricht. Die allerdings auf niedrigem Niveau begann und für die allermeisten der 80 Millionen Kongolesen nicht zu spüren ist: Zwei Drittel von ihnen leben von weniger als zwei Dollar am Tag. Im Ostkongo kämpfen mehr als 100 Rebellengruppen gegen die Regierung und gegeneinander um die Reichtümer in der Erde. Das Land ist der größte Produzent von Kupfer, Zinn und Kobalt auf der Welt. Die Gewinne fließen aber vor allem an eine kleine Elite, das Land ist in den vergangenen Jahren ein Familienbetrieb der Kabilas geworden. Soll es deshalb gar keine Wahlen geben? Doch, doch, sagt die Regierung, am vorletzten Tag des Jahres. Dieses Mal wirklich.

"Wählen gehen ist reine Zeitverschwendung", findet ein junger Händler am Kongo-Fluss

"Wählen gehen ist reine Zeitverschwendung", sagt Placid Ngondo, ein junger Mann von 32 Jahren, dessen Lebenslauf zeigt, wie schwer es ist, sich etwas aufzubauen, wenn man nicht die richtigen Leute kennt. Ngondo hat Verwaltungs- und Politikwissenschaft studiert und dann Jahre nach einer festen Anstellung gesucht in einem Unternehmen oder einer NGO, ohne Erfolg. Jetzt ist er Händler, wie so viele andere auch, kauft in Kisangani Kakao oder Bohnen und fährt mit den Säcken Hunderte Kilometer den Kongo-Fluss herunter, wo es für den Sack ein paar Dollar mehr gibt. "Das ist ein furchtbar hartes Leben, aber ich habe keine andere Wahl."

Gäbe es im Kongo eine freie und faire Wahl, würde wahrscheinlich ein Kandidat der Opposition gewinnen, die zerstritten ist, aber dennoch populärer als die Regierung - Präsident Kabila ist laut einer unabhängigen Umfrage unter 20 Prozent gerutscht. Viele Oppositionsparteien versprechen zwar Besserung, haben in der Vergangenheit immer wieder mit Kabila zusammengearbeitet, der ihnen hier und da einen Posten gab. Am unabhängigsten mag Martin Fayulu sein, der von mehreren Parteien unterstützt wird. "Soldat des Volkes" steht auf seinen Wahlplakaten in Bumba. "Er ist der Einzige, der für uns den Kopf hingehalten hat", sagt ein Händler mit seinem Gesicht auf dem T-Shirt.

Fayulu war Manager der Ölkonzerns Exxon und ist relativ frisch in der Politik, er war der einzige bekannte Oppositionspolitiker, der mit den Demonstranten in den Straßen marschierte, der von den Soldaten und Polizisten schwer verprügelt wurde. "Er wird uns retten", sagt der Händler in Bumba. Einer Stadt, die voller Hoffnungslosigkeit ist. Und gleichzeitig voller Hoffnung.

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Quelle:
SZ vom 22.12.2018
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