Kongo:Sie kommen mit Macheten

Kongo: Kongolesische Sicherheitskräfte setzen bei einer Demonstration in Goma Leuchtgeschosse ein. Immer häufiger endeten zuletzt Protestkundgebungen in tödlicher Gewalt. Eigentlich müssen bald Wahlen stattfinden, doch noch immer gibt es keinen Termin.

Kongolesische Sicherheitskräfte setzen bei einer Demonstration in Goma Leuchtgeschosse ein. Immer häufiger endeten zuletzt Protestkundgebungen in tödlicher Gewalt. Eigentlich müssen bald Wahlen stattfinden, doch noch immer gibt es keinen Termin.

(Foto: Mustafa Mulopwe/AFP)

In der Demokratischen Republik Kongo eskaliert die Gewalt. Die Regierung spricht von internationalem Terrorismus, doch Zweifler verdächtigen Präsident Kabila, von den Unruhen profitieren zu wollen.

Von Tobias Zick, Kampala

Als mal wieder Schüsse durch die Luft hallten, geriet die Menschenmenge in Panik, für mindestens 13 von ihnen endete sie tödlich. Acht sprangen in den Fluss und ertranken, vier wurden totgetrampelt, einer starb an einer Herzattacke. Die Entwarnung kam für sie zu spät: Es war kein Rebellenangriff - sondern nur ein betrunkener Soldat, der in die Luft geballert hatte. 13 Tote also, Opfer eines falschen Alarms vergangene Woche in Beni, Provinz Nord-Kivu, Ostkongo.

Die Nerven sind extrem angespannt in dieser Stadt und ihren umliegenden Dörfern. Alles scheint möglich zu sein, jederzeit können die Mörderbanden wieder kommen; sie sind schließlich oft gekommen in den vergangenen Jahren. Allein seit Oktober 2014 haben Bewaffnete in und um Beni mehr als 600 Menschen getötet - wer diese Bewaffneten sind und was sie treibt, darum ranken sich bis heute viele Rätsel.

Sicher ist: In der Gegend, an den westlichen Flanken des mächtigen Rwenzori-Gebirges, treiben sich immer noch ehemalige Rebellen herum, die von den östlichen Flanken des Gebirges stammen; aus dem Nachbarland Uganda. Dort hatten sie sich Anfang der 1990er-Jahre formiert, mit dem vorgeblichen Ziel, den Präsidenten zu stürzen und eine islamische Herrschaft zu errichten. Unter ihnen waren Anhänger des ehemaligen ugandischen Diktators Idi Amin ebenso wie zum Islam konvertierte frühere Protestanten. Von der ugandischen Armee geschlagen, zogen sie sich in die Wälder auf der kongolesischen Seite zurück und gründeten dort 1995 die "Vereinigten Demokratischen Kräfte" (ADF). Seither gilt die Truppe unter den zahlreichen Milizen, die den Ostkongo terrorisieren, als eine der geheimnisvollsten - und als eine der brutalsten.

Die Gewalt, unter der die Menschen in Beni seit zwei Jahrzehnten leiden, erreichte in der Nacht zum 14. August einen neuen Höhepunkt; eine Woche, nachdem Kongos Präsident Joseph Kabila die Region besucht und mit seinem ugandischen Kollegen Yoweri Museveni verkündet hatte, gemeinsam noch entschlossener gegen die ADF vorzugehen. Die Angreifer jener Nacht kamen nach Sonnenuntergang. Sie steckten Häuser in Brand, verschleppten Frauen, hackten mit Macheten auf ihre Opfer ein, schlugen manchen die Köpfe ab. Laut Behördenangaben starben bei dem Massaker 36 Menschen, Vertreter der dortigen Zivilgesellschaft zählten 51 Tote.

Bereits am Tag nach dem Blutbad stand für den Sprecher der kongolesischen Armee fest: Die Täter seien Mitglieder der ADF gewesen, und sie hätten die Zivilisten aus "Rache" getötet; aus Rache dafür, dass das Militär in der Region gegen die Miliz vorgehe. Kurz darauf meldete sich Regierungssprecher Lambert Mende zu Wort, verkündete eine dreitägige Staatstrauer und klagte, man versuche schon seit längerer Zeit vergeblich, den Rest der Welt auf diese "dschihadistische Bedrohung" aufmerksam zu machen; man habe es im Kongo inzwischen mit "internationalem Terrorismus" zu tun, und die Armee des Landes stehe "allein da, angesichts der Gleichgültigkeit der internationalen Gemeinschaft".

Die Demokratische Republik Kongo, der neueste Schauplatz des globalen islamistischen Terrorismus? An dieser Darstellung gibt es erhebliche Zweifel. Im März dieses Jahres veröffentliche die "Kongo-Forschungsgruppe" an der Universität New York einen Bericht, der auf mehrmonatiger Recherche eines fünfköpfigen Teams beruhte und zum Schluss kam: Die ADF hat sich über die Jahre fest im Ostkongo installiert, ist zur lokalen politischen und wirtschaftlichen Kraft geworden und finanziert sich etwa durch den Schmuggel von Tropenhölzern. In die seit Jahren immer wieder aufflackernde Gewalt in Beni sei die ursprünglich ugandische Rebellentruppe zwar "tief verwickelt" - aber bei Weitem nicht allein dafür verantwortlich. Es gebe "klare Belege" dafür, dass an mindestens drei Massakern der jüngsten Zeit auch Mitglieder der kongolesischen Armee beteiligt gewesen seien. In anderen Fällen hätten Kommandeure der Armee ihre Einheiten zumindest davon abgehalten, bei Massakern zu intervenieren. In jedem Fall sei es falsch, die ADF als "rachegetriebene, ausländische Islamistengruppe" darzustellen. Es gebe, wie es auch schon eine Expertengruppe der Vereinten Nationen im vergangenen Jahr festgestellt hatte, "keine glaubwürdigen Belege" für dauerhafte Verbindungen zu internationalen Terrorgruppen wie al-Shabaab, al-Qaida oder Boko Haram.

Mehrere ausländische Kritiker wurden in jüngster Zeit aus dem Land geworfen

Jason Stearns, der Leiter der New Yorker Forschungsgruppe, hat früher selber für die UN gearbeitet; er gilt als einer der profundesten Kongo-Kenner weltweit. Kurz nach der Veröffentlichung des Berichts im März musste er das Land verlassen; die kongolesischen Behörden wiesen ihn aus, weil er angeblich falsche Angaben in seinem Visumantrag gemacht hatte. Kurz zuvor hatte Regierungssprecher Lambert Mende seinen Bericht, in dem er Mitglieder der kongolesischen Armee der Verwicklung in die Massaker in Beni bezichtigte, scharf kritisiert und ihm "beleidigende Verallgemeinerungen" vorgeworfen.

Jason Stearns ist nicht der einzige ausländische Kritiker, den die kongolesische Regierung in jüngster Zeit aus dem Land geworfen hat: Im August entzogen die Behörden einer langjährigen Expertin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, Ida Sawyer, ihre Arbeitserlaubnis, kurz zuvor mussten zwei Mitarbeiter der Organisation Global Witness das Land verlassen, die gerade dabei waren, zu illegalem Holzhandel zu recherchieren.

Seit Monaten wächst die Kritik aus dem In- und Ausland an Präsident Kabila, der sich auf immer zweifelhaftere Weise an seine Macht klammert: Seine Amtszeit endet im Dezember, danach darf er laut Verfassung nicht wieder antreten, doch bis jetzt ist nicht einmal ein Wahltermin in Aussicht: Die Wahlkommission hat am Wochenende mitgeteilt, sie müsse zunächst die Wählerlisten aktualisieren, deshalb könne der Urnengang wohl erst gegen Ende 2018 stattfinden. Bei Protesten gegen Kabilas Verzögerungstaktik starben im September Dutzende Menschen. Und manche Bewohner von Beni äußern den Verdacht: Lässt die Regierung die Gewalt in ihrer Region auch deshalb eskalieren, um von ihren eigenen Machtproblemen abzulenken? Übertreibt der Präsident die Bedrohung durch internationale Dschihadisten, um sich auch gegenüber dem Ausland als unverzichtbarer Garant der Stabilität seines Landes zu empfehlen?

Die Regierung in der fernen Hauptstadt Kinshasa freilich weist alle Zweifel an ihrer offiziellen Darstellung empört zurück und beharrt darauf: Die jüngsten Massaker in Beni "unterscheiden sich in keiner Weise" von jenen in "Nigeria, Mali, Kamerun oder, jenseits des Kontinents, in Frankreich, Belgien und den USA."

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