Jean-Claude Kibala sitzt in seinem Wohnzimmer und schaut auf den Fernseher, auf dem kein Programm zu sehen ist, sondern die Bilder der Überwachungskameras vor seinem Haus in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Es ist ein Abend Mitte Januar, das Land hat gerade gewählt, aber der Kandidat, der die meisten Stimmen erhalten hat, ist nicht zum Sieger ausgerufen worden. "Wir wurden betrogen", sagt Kibala und schaut auf den Bildschirm.
Kibala, 53, kommt gerade aus dem Osten des Landes, wo er Wahlkampf gemacht hat. In der Provinz Süd-Kivu bewarb er sich um ein Mandat im Parlament, in einer der unsichersten Regionen des Riesenreiches Kongo. Er hat ein paar Pilze mitgebracht, die dort auf den grünen Hügeln wachsen, und Fisch aus dem See. Er erzählt, wie er mit seinem Jeep und den vier Sicherheitsleuten durch die Berge gefahren ist, um Wähler zu treffen. Vor den Kurven ist die Kolonne langsamer geworden, Kibala ließ eine Drohne aufsteigen, um zu sehen, was sich hinter der Kurve befindet, ob dort Gefahr droht. So ist das Leben, wenn man sich im Kongo entschieden hat, zur Opposition zu gehören. Kibala hatte sich früh entschieden, was ihn letztlich auch nach Deutschland brachte. Wo er fast 20 Jahre lebte und eine Familie gründete.
Er machte Karriere bei der Bahn und lebte in Troisdorf - der Kongo war weit weg und trotzdem da
Als Student hatte er gegen Mobutu demonstriert, den ewigen Diktator, der ihn für fünf Tage einsperren ließ und danach zum Armeedienst zwang. Ein Stipendium der Bundeswehr brachte ihn nach Deutschland: Pionierschule, Offiziersschule und Bundeswehr-Uni. Er machte als Bauingenieur Karriere bei der Deutschen Bahn und lebte im beschaulichen Troisdorf, der Kongo war weit weg und doch immer da. "Ich hatte kein Heimweh. Aber ich habe immer die schlechten Nachrichten gehört. In den Wahlen 2006 habe ich eine Chance gesehen, etwas zu verändern", sagt er.
Er ließ ein paar T-Shirts drucken und fuhr mit dem Motorrad durch die Gegend. Den Parlamentssitz bekam er nicht, wurde aber wenig später zum stellvertretenden Gouverneur von Süd-Kivu. Es ist eine wunderschöne Region, deren Landschaft etwas weiter im Norden sogar ein wenig der Schweiz gleicht, auf den Hügeln grasen Kühe, in manchen Dörfern wird Käse produziert. Es könnte das Paradies sein, ist aber oft nur die Hölle. Bewaffnete Gruppen kämpfen um die reichen Rohstoffvorkommen, im Wahlkreis von Kibala wird vor allem Gold geschürft, das dann nach Ruanda geschmuggelt wird. "Es gibt nur das Geld, keine Moral", sagt Kibala in seinem Wohnzimmer. Er hat die Hoffnung trotzdem nie aufgegeben, so wie im Kongo fast niemand jemals die Hoffnung aufgibt, das ist das große Wunder dieses Landes.
Kibala tat, was er konnte für seine Leute in Süd-Kivu, und bald wurde man auch in Kinshasa aufmerksam auf das große Talent. Präsident Joseph Kabila holte Kibala zu sich in die Regierung. Es hat gute Tradition im Kongo, dass die herrschende Clique die Opposition einfach aufkauft, sie mit Posten und Geld überschüttet, sie in die Regierung holt, zu Mittätern macht bei der Ausplünderung des Landes.
Im Falle Kibala lagen die Dinge anders; er glaubte damals, das System von innen heraus verändern zu können. Ein verrücktes System, eine Kleptokratie, in der die Machtelite seit Jahrzehnten die Bodenschätze plündert und die Gewinne unter sich aufteilt. So, wie es zuvor die belgischen Kolonialisten gemacht hatten, für das Volk bleibt nur ein kümmerlicher Rest. Als Minister für öffentliche Aufgaben erlebte Kibala, dass es in den Ministerien keinerlei Budget gab, dass er sich jede Ausgabe vom Ministerpräsidenten genehmigen lassen musste. Dann ging er zur Zentralbank, um sich alles in bar auszahlen zu lassen, manchmal musste tagelang gezählt werden. "Ist das Geld einmal ausgezahlt, kann der Minister etwas ganz anderes damit machen", sagt Kibala. Er tat es nicht, ließ am Ende seiner Amtszeit sogar Geld übrig, was bei den Kollegen Verwirrung auslöste, ihn im Kongo aber unvergessen machte.
Nach dem Ausscheiden aus der Regierung installierte Kibala Sicherheitskameras im Haus
Kibala hatte sich nicht kaufen lassen, aber auch das System nur bedingt verändern können. An der Spitze stand Joseph Kabila, der das Präsidentenamt nach dem Tode seines Vaters geerbt hatte. Kabila konnte zu Beginn nicht einmal richtig Lingala sprechen, die am weitesten verbreitete Sprache im Kongo, geschweige denn Englisch oder Französisch; er war in Tansania aufgewachsen, soll dort Taxifahrer gewesen sein. Aber Kabila lernte schnell, wer auch immer größere Geschäfte machen wollte im Kongo, Kabila verlangte seinen Anteil. "Solange man mit Erlaubnis klaut und sein Imperium nicht antastet, gehört man zur Familie", sagt Kibala. Er wollte nicht mehr dazugehören und schied aus der Regierung aus. Kabila gefiel das nicht sonderlich gut. Mittlerweile hat Kibala die Sicherheitskameras im Haus und einen Wächter. Man weiß nie. "Wir sind ein Land, in dem das Recht nicht mehr wichtig ist", sagt Jean-Claude Kibala.
Zwei Wochen nach dem Besuch im Januar urteilte das oberste Verfassungsgericht, dass die Wahl vom 30.12.2018 ordnungsgemäß abgelaufen sei. In Wahrheit ist es die am besten dokumentierte Fälschung in der afrikanischen Geschichte. Kibala hatte dabei geholfen, den plumpen Betrug zu entlarven, er hatte eine Handy-App programmieren lassen, mit der die Beobachter der Opposition ihre Ergebnisse nach Kinshasa schicken konnten. Dies funktionierte dann aber nur leidlich, weil die Regierung das Internet abschalten ließ. Dennoch gibt es genug Beweise, dass der von Kibala unterstützte Martin Fayulu die Wahl mit 60 Prozent gewann. Präsident wurde aber Félix Tshisekedi, weil er dem scheidenden Machthaber Kabila als genehmer erschien, keine wirkliche Gefahr darstellte für sein System der Korruption.
"Ein Ziel haben wir erreicht. Es gab zumindest eine symbolische Machtübergabe, auch wenn Kabila fast alle andere Institutionen immer noch kontrolliert", sagt Jean-Claude Kibala Anfang März am Telefon. Auch den neuen Präsidenten Tshisekedi hat der Vorgänger Kabila praktisch in der Hand, die beiden haben gerade eine Koalition vereinbart. Das Ziel der Opposition müsse es nun sein, den jungen und etwas naiven Präsidenten wieder auf ihre Seite zu ziehen, sagt Kibala. Er klingt zuversichtlich, trotz allem.