Der Bruch in Irak ist vermieden, Zeit gewonnen. Nur: Wann eskaliert die politische Krise das nächste Mal? Die Abgeordneten des sunnitisch dominierten Irakiya-Blocks haben den Boykott des Parlaments aufgegeben, den sie vor einem Monat aus Protest ausgerufen hatten, nachdem einer ihrer wichtigsten Politiker, Vizepräsident Tarik al-Haschemi, verhaftet werden sollte. Der schiitische Premier Maliki lässt Sunniten als Saddam-Anhänger verhaften, wird dafür von Sunniten als "Diktator" beschimpft.
Der Riss zwischen Sunniten und Schiiten geht durch die Einheitsregierung. Das Misstrauen ist abgrundtief. Und jede Woche sterben Menschen bei Anschlägen. Einen Monat nach dem Abzug der USA, begleitet von viel Lob für Iraks politische Klasse, wird die Hinterlassenschaft der Regierung Obama erst sichtbar: ein dysfunktionales System.
Iraks Politiker bestätigen die schlimmsten Befürchtungen, sie seien unfähig oder nicht willens, das Vakuum nach dem bejubelten Ende der Besatzung konstruktiv zu füllen. Doch auch die Großwetterlage in der Region hat sich verändert. Die Sunniten werfen Maliki vor, sich zum Büttel eines aufstrebenden Iran zu machen. Umgekehrt alarmiert der mögliche Fall des alawitisch-schiitischen Hauses Assad in Syrien Iraks Schiiten.
Was, wenn in Damaskus radikale Sunniten die Macht übernehmen? Schon jetzt treten Iraks Sunniten selbstbewusster auf, einige fordern Autonomie, wie sie Kurden im Norden genießen. Sunnitische Dschihadis hatten im Kampf gegen die amerikanische Besatzung Irak in Blut ertränkt. Werden sie nun den Schiiten die Macht abjagen? Irak liegt im Windschatten der Arabellion. Unberührt bleiben wird es nicht.