Konflikte:US-Militär forciert Evakuierung aus Kabul

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Zwei Zivilisten werden während einer Evakuierung am Hamid Karzai International Airport durch einen Kontrollpunkt geführt. Foto: Staff Sgt. Victor Mancilla/U.S. Marine Corps/AP/dpa (Foto: dpa)

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Washington/Kabul (dpa) - Die USA verstärken ihre Bemühungen zur Evakuierung von US-Amerikanern, Afghanen und Menschen anderer Nationalitäten aus Kabul.

Aus Washington hieß es, das US-Außenministerium schicke zusätzliche Konsularbeamte nach Katar und Kuwait, um dort die Weiterreise der Menschen zu organisieren. Außerdem seien weitere Beamte in Kabul gelandet, wo rund um den Flughafen weiter Chaos herrscht. Das Ziel sei es, so schnell wie möglich so viele Menschen wie möglich aus dem Land zu bringen.

Mitarbeiter des US-Verteidigungsministeriums seien in engem Kontakt mit den militant-islamistischen Taliban außerhalb des Flughafens, sagte Pentagon-Sprecher John Kirby. "Wir wollen nicht, dass jemand belästigt oder verletzt wird." Kirby betonte, dass man keinen kompletten Überblick darüber habe, was außerhalb des Flughafens passiere und ob auch Menschen mit US-Pässen oder Visa von den Taliban schikaniert würden. Man habe am Flughafen zusätzliche Gates geöffnet, um die Evakuierung zu beschleunigen.

Die Journalistin Ayesha Tanzeem vom US-Auslandssender Voice of America berichtete via CNN von "grausamen Szenen" rund um den Flughafen. Die Situation sei genauso schlimm, wie es auf zahlreichen Videos zu sehen sei - und werde immer schlimmer. Sie selbst sei erst beim dritten Anlauf in den Flughafen gekommen und habe stundenlang im Gedränge gestanden.

Biden will sich zu Evakuierung äußern

Unterdessen wurden neue Vorwürfe laut, die US-Regierung habe nicht rechtzeitig auf Warnungen gehört. CNN berichtete, im Juli hätten US-Diplomaten ein geheimes Schreiben an US-Außenminister Blinken geschickt und darin schnelles Handeln gefordert. "Soweit ich weiß, wurde in dem Telegramm der mögliche Sturz der afghanischen Regierung nach dem Abzug der US-Truppen am 31. August vorausgesagt", sagte der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater Jonathan Finer dazu. "Ich denke, das Telegramm spiegelt wider, was wir schon die ganze Zeit gesagt haben." Niemand habe erwartet, dass die afghanische Regierung und Armee binnen weniger Tage kollabieren würden.

Finer bekräftigte den Plan, die Evakuierungsaktion bis Ende August abzuschließen - bis dahin wollten die USA eigentlich auch ihre Truppen aus Afghanistan abgezogen haben. "Wir glauben, dass wir die Amerikaner, die ausreisen wollen, bis zum 31. August rausholen können", sagte er. Ähnlich hatte sich am Vortag auch US-Präsident Joe Biden geäußert - ohne einen längeren Verbleib im Notfall auszuschließen, sollten noch US-Amerikaner in Afghanistan sein. Ob dies auch für afghanische Helfer gelte, ließ er offen.

Während das US-Militär mit Stand Donnerstagmorgen 2000 Menschen innerhalb von 24 Stunden evakuiert hatte, hat die Bundeswehr seit Montag mehr als 1600 Menschen aus Afghanistan in Sicherheit gebracht.

US-Präsident Biden wollte sich am Freitag (19.00 Uhr MESZ) zum Stand der Evakuierungen äußern. Er hatte zuletzt immer wieder den Abzug der US-Truppen trotz der raschen Machtübernahme durch die Taliban vehement verteidigt. Er tauschte sich am Donnerstag außerdem mit Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron über die Lage in Afghanistan aus, wie das Weiße Haus am Abend (Ortszeit) mitteilte. Beide betonten demnach, wie wichtig es sei, dass sich die Verbündeten und demokratischen Partner weiter eng abstimmten.

Amnesty wirft Taliban Massaker vor

Derweil steigt die Sorge vor gewaltsamen Racheakten der Taliban nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan. Die G7-Staaten reagierten alarmiert auf entsprechende Berichte und forderten die Islamisten auf, die von ihnen zugesagte Sicherheit von Zivilisten auch wirklich zu gewährleisten. Diese Botschaft ging von einer Telefonkonferenz der Außen- und Entwicklungshilfeminister der G7-Staaten aus, zu denen neben Deutschland und den USA auch Großbritannien, Frankreich, Italien, Kanada und Japan sowie Vertreter der EU gehören.

Man sei sich einig, "dass die Beziehungen der internationalen Gemeinschaft zu den Taliban von ihren Taten und nicht von ihren Worten abhängen werden", hieß es aus dem US-Außenministerium nach der Schalte. In der kommenden Woche ist eine Telefonkonferenz auf Ebene der Staats- und Regierungschefs geplant.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International macht die Taliban für ein Massaker an der Hazara-Minderheit in Afghanistan Anfang Juni verantwortlich. Nach der Machtübernahme in der Provinz Ghazni hätten die militanten Islamisten neun Männer auf grausame Weise getötet, hieß es in einem am Freitag veröffentlichten Bericht.

"Diese gezielten Tötungen sind ein Beweis dafür, dass ethnische und religiöse Minderheiten auch unter der neuen Herrschaft der Taliban in Afghanistan besonders gefährdet sind", sagte Amnesty-Generalsekretärin Agnès Callamard.

© dpa-infocom, dpa:210820-99-903590/4

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