Berlin/Minsk (dpa) - Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich hinter die verzweifelt für ihre Freiheit kämpfenden Menschen in Belarus gestellt. „Mutig und beharrlich fordern die Menschen seit Monaten freie und faire Wahlen und ein Ende staatlicher Gewalt und Repression“, sagte Steinmeier in Berlin.
„Sie brauchen und sie verdienen unsere Aufmerksamkeit, Hilfe und Unterstützung.“ Zuvor hatte der Bundespräsident in seinem Amtssitz Schloss Bellevue Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja zu einem einstündigen Gespräch empfangen. Auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) traf sich mit ihr.
Tichanowskaja forderte nach massiver Polizeigewalt gegen Demonstranten in Belarus (Weißrussland) von Deutschland eine Aufhebung der Visumspflicht. Verfolgte hätten so die Möglichkeit, in Sicherheit zu gelangen, sagte die Bürgerrechtlerin bei ihrem Besuch in Berlin dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“ am Montag. „Wenn Menschen eingesperrt und zusammengeschlagen werden, dann ist das der Moment, in dem Deutschland und andere Länder nachdenken sollten: Sind sie vorsichtig oder folgen sie den Prinzipien der Demokratie?“
Die 38-Jährige forderte zudem eine Ausweitung der EU-Sanktionen gegen den Machtapparat von Staatschef Alexander Lukaschenko. „Die Strafmaßnahmen wirken lächerlich, wenn wir sehen, wie viele Menschen bis jetzt festgenommen wurden. Mehr als 30.000 sind es seit August.“ Es gebe viele Worte der Unterstützung. Wir brauchen aber Taten.
Bei Protesten gegen Lukaschenko am vergangenen Sonntag kamen dem Innenministerium in Minsk zufolge 271 Menschen in Gefängnisse, weil sie an nicht genehmigten Kundgebungen teilgenommen hätten.
Tausende Menschen hatten sich daran beteiligt, weniger als noch im Herbst. „Auch wenn die Proteste auf der Straße jetzt im Winter abnehmen werden, wir werden das überstehen und im Frühjahr noch stärker zurückkehren, wenn das Wetter besser wird“, sagte Tichanowskaja. „Wir können gewinnen, daran glaube ich.“
Belarus steckt seit der umstrittenen Präsidentenwahl am 9. August in einer schweren innenpolitischen Krise. Lukaschenko hatte sich nach 26 Jahren an der Macht mit 80,1 Prozent der Stimmen für eine sechste Amtszeit bestätigen lassen. Die EU erkennt ihn nicht mehr als Präsidenten an. Für die Opposition ist Tichanowskaja die wahre Siegerin. Sie war nach der Abstimmung ins EU-Land Litauen geflohen.
Am Mittwoch nimmt Tichanowskaja den renommierten Sacharow-Menschenrechtspreis des Europaparlaments entgegen. Die Auszeichnung geht in diesem Jahr an die Opposition in Belarus.
Die frühere Fremdsprachenlehrerin Tichanowskaja gilt als Anführerin der Demokratiebewegung. Die Bürgerrechtlerin hatte überraschend eine Zulassung zur Präsidentenwahl erhalten, nachdem Machthaber Alexander Lukaschenko ihren Ehemann im Gefängnis hatte einsperren lassen.
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