Konflikte im Nahen Osten:Zittern im Dauerregen der Raketen

In Nordisrael wächst die Angst: Der Beschuss Haifas, Israels drittgrößte Stadt, bringt eine neue Dimension in den Konflikt. Im ganzen Land herrscht Ausnahmezustand.

Thorsten Schmitz

Viele Menschen im Norden Israels, die seit drei Tagen einem Dauerregen aus Katjuscha-Raketen der Hisbollah-Terroristen ausgesetzt sind, haben Angst. Und selbst jene, die im israelischen Fernsehen interviewt werden und behaupten, sie ließen sich nicht von den Raketen vertreiben, untermalen ihre zur Schau gestellte Standfestigkeit mit einem unsicheren Lächeln.

Nahariya, dpa

Die Stadt Nahariya wird beschossen. Sie liegt nur wenige Kilometer von der libanesischen Grenze entfernt.

(Foto: Foto: dpa)

Die israelische Armee sagt, etwa zwei Millionen Bewohner im Norden Israels seien in unmittelbarer Reichweite der zielungenauen Raketen, die bereits eine 40-jährige Israelin in der von deutschen Juden gegründeten Küstenstadt Naharija und einen 37 Jahre alten Israeli im weiter südlich gelegenen Dorf Safed getötet haben. Weit mehr als hundert Israelis sind bislang durch über 130 Raketen verletzt worden.

Der Beschuss Haifas, mit 250.000 Einwohnern Israels drittgrößte Stadt, bringt eine neue Dimension in den Konflikt. Die Hafenstadt liegt eine Dreiviertelstunde Autofahrt von der libanesischen Grenze entfernt und ist nie von Katjuscha-Raketen getroffen worden.

Der Bürgermeister Jona Jahav war so perplex, dass er in einem ersten Radio-Interview erklärte: "Ich habe keine Worte." Später dann gab Jahav zu, dass man damit gerechnet habe, dass Haifa Ziel werden könnte.

Tief ins Landesinnere

Während die Bewohner Naharijas, das nur wenige Kilometer von der libanesischen Grenze entfernt liegt, Katjuscha-Raketen aus der Vergangenheit gewohnt sind, waren die Anschläge in Safed für die dortigen Bewohner ein Schock.

Noch nie waren Raketen der Hisbollah so tief ins Landesinnere eingedrungen. Den Angriff der Hisbollah musste auch Verteidigungsminister Amir Peretz am eigenen Leibe erfahren. Am Donnerstag war Peretz in der auf einem Berg gelegenen Armee-Basis nahe Safed eingetroffen, als laute Explosionen zu hören waren.

Zunächst beschwichtigte er seine Leibwächter: Er sei Raketenbeschuss aus einer Heimatstadt Sderot nahe dem Gaza-Streifen gewohnt. Als aber eine Rakete in der Armee-Basis einschlug, eilte Peretz im Laufschritt samt Entourage und Fernsehjournalisten in einen Bunker. Dort blickte er zur Decke und fragte, ob die einem Beschuss standhalten würde.

Im ganzen Land herrscht Ausnahmezustand. Im Fernsehen wird seit drei Tagen auf fast allen Kanälen ununterbrochen und live über dem Krieg im Norden berichtet.

Am Freitag meldete die Tageszeitung Haaretz unter Berufung auf Quellen im Verteidigungsministerium, die Hisbollah verfüge inzwischen über Raketen, die sogar bis in die 100 Kilometer südlich von Tel Aviv gelegene Wüstenstadt Beer Schewa reichten.

Diskutiert wird in den Medien nun auch wieder die Entscheidung des früheren Premierministers Ehud Barak, der die " Sicherheitszone" in Süd-Libanon aufgeben ließ. In den vergangenen Jahren hat die Hisbollah ihr Waffenarsenal aufstocken und modernisieren können.

Geisterstadt

Ein Kommentator schrieb, Israel habe gehofft, die Raketen der Hisbollah hätten Rost angelegt, stattdessen "haben sie die Reichweiten verbessert".

Am Freitag ist Naharija zu einer Geisterstadt geworden. Viele Menschen haben eilig ein paar Sachen gepackt und sind zu Verwandten oder Freunden in den Süden des Landes gefahren. Andere haben sich in Bunkern eingerichtet und auf eine lange Zeit unter der Erde eingestellt.

Sogar das Krankenhaus in Naharija hat einen Großteil seiner Patienten in Bunker verlagert. Zur Hauptsaison sind jetzt sämtliche Hotels in Naharija geschlossen, auch viele Ladenbesitzer haben ihre Geschäfte am Freitag erst gar nicht geöffnet.

Dessen ungeachtet rief die Armee Ladenbesitzer auf, ihre Geschäfte offen zu halten, damit sich die Menschen im Norden für den Schabbat mit Lebensmitteln versorgen könnten. Sämtliche Sommerveranstaltungen im Norden für Kinder, die gerade ihre Sommerferien begonnen haben, wurden abgesagt.

Die Touristenattraktion Rosch Hanikra, wo man mit Gondeln in eine Grotte fahren kann und wo fürs Wochenende tausende Besucher erwartet wurden, ist geschlossen. Regionale Flughäfen und Züge nach Naharija stellten ihren Betrieb ein. Psychologen sind im Dauereinsatz. Vielen Kindern flößt der Lärm detonierender Raketen Angst ein.

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