Konflikt zwischen Peking und Tokio:"Eröffnet das Feuer auf Japan"

Patriotisch und geregelt - so demonstriert China, wenn es demonstrieren darf. Die Regierung versucht, die Proteste im Streit mit Japan um eine Inselgruppe unter strenger Aufsicht zu halten. Der wachsende Hass zeigt vor allem, wie mächtig radikale Nationalisten in China mittlerweile sind.

Kai Strittmatter, Peking

Nennen wir es Fürsorge. Am Beginn der Straße, die zur japanischen Botschaft führt, dort wo das große Banner "Wir stehen unverbrüchlich hinter der Kommunistischen Partei" die eintreffenden Demonstranten begrüßt, dort, wo sie in kleine Gruppen eingeteilt werden, verteilen ein paar Schwarzgekleidete Wasser.

Anti-Japan protests in China

Chinesen protestieren vor der japanischen Botschaft in Peking gegen den Kauf einer Inselgruppe durch die Japaner. Sie wird auch von China beansprucht.

(Foto: dpa)

Andere schärfen den Neuankömmlingen ein, auf keinen Fall zum unpassenden Zeitpunkt zu lachen - es ist ausländische Presse da -, und bitte auch nicht das Absingen der Nationalhymne vergessen. Dann sagt ein Polizist: "Los, jetzt", und der nächste Trupp setzt sich in Bewegung, der Weg zwischen kilometerlangen Absperrgittern ist vorgegeben, links und rechts sind mehrere Reihen Polizisten und Miliz, vorneweg vor jeder Gruppe Beamte in Uniform.

So marschieren sie Richtung japanischer Botschaft. So demonstriert China, wenn es demonstrieren darf. Das geschieht alle paar Jahre einmal. 1999 zum Beispiel, als Nato-Flieger die chinesische Botschaft in Belgrad bombardierten. 2005, als die Japaner ihre Geschichtsbücher mal wieder von japanischen Sünden reinigten. Jetzt geht es wieder gegen Japan.

"Lasst uns unseren Patriotismus legal, rational und ordentlich ausdrücken"

"Die Diaoyu-Inseln gehören China", skandieren sie. Und "Vergesst die nationale Schande nicht. China steht wieder auf." Das sind die harmlosen Slogans. Kaum ein Banner vergisst, an den 18. September vor 81 Jahren zu erinnern. Es ist der Jahrestag des Mukden-Zwischenfalls. Damals sprengten die Japaner im Nordosten Chinas einen Zug in die Luft, schoben die Schuld Chinesen in die Schuhe und nahmen das Ganze zum Anlass, in China einzumarschieren - der Beginn einer langen und grausamen Besetzung großer Teile Chinas durch japanische Truppen.

Ausgerechnet kurz vor diesem Jahrestag entschloss sich die japanische Regierung, drei der zwischen beiden Ländern umstrittenen Diaoyu-Inseln einem japanischen Geschäftsmann abzukaufen und so zu verstaatlichen - für die Chinesen eine Provokation sondergleichen. Am Wochenende wütete in vielen Städten Chinas ein antijapanischer Mob, zum Jahrestag selbst am Dienstag bemühte sich Chinas Regierung, die Proteste unter strenger Aufsicht zu halten.

Von Polizeiwagen herunter schallt immer wieder die gleiche Botschaft: "Wir teilen eure Gefühle. Die Regierung hat klar gemacht, dass sie nicht untätig dasitzen wird, wenn unsere Souveränität verletzt wird. Lasst uns hinter der Regierung stehen. Lasst uns unseren Patriotismus legal, rational und ordentlich ausdrücken."

Radikale Nationalisten gibt es in China einige

Der Eifer, mit der die Regierung die Empörten in enger Umarmung stillzuhalten sucht, ist auch ein Ausdruck ihrer Nervosität: An radikalen Nationalisten ist in China mittlerweile kein Mangel mehr, und viele halten ihre Regierung längst für zu weich und nachgiebig Japan gegenüber.

Auf dem Gehsteig steht ein alter Mann umringt von Passanten und singt ein "Diaoyu-Insel-Lied". Die Worte "Frieden! Frieden!" kommen oft vor. Dann sagt er: "Ich wenigstens bin friedlich. Wenn's die da drüben nicht sind, dann sollen sie verrecken." Klatschen.

Später wird an genau dieser Stelle der Mauer ein Plakat hängen mit den Fotos japanischer Pornosternchen, darauf der Spruch: "Die Diaoyu-Inseln gehören China, die japanische Pornografie gehört der ganzen Welt". Japanische Pornos sind populär in China. Auf den großen roten Bannern stehen die offiziell für gut befundenen Sprüche. Daneben marschieren viele mit Selbstgepinseltem: "Boykottiert japanische Waren, eröffnet das Feuer!" "Blutschuld wird mit Blut vergolten". "1,3 Milliarden Chinesen treten Japan platt". "Massakriert Tokio". "Die Auslöschung der japanischen Hunde hat mit diesem 18. September begonnen". Kein Polizist geht gegen diese Slogans vor.

Viele marschieren mit Bildern von Mao Zedong

Ein Patriot ist mit seinem Elektrowägelchen in eine Seitenstraße gefahren. Der Wagen wird fotografiert und beklatscht. "Erklärt Japan den Krieg", steht da, "und ich spende sofort 10.000 Yuan". In der Straße stehen drei japanische Restaurants - bloß sind sie nicht mehr als solche erkennbar: Die Namen mit schwarzem Plastik verklebt, die Fensterscheiben mit chinesischen Fahnen verhängt und unterm Dach die größten aller Banner: "Holt die Diaoyu-Inseln zurück". "Zerschlagt den japanischen Imperialismus". Etwas kleiner: "Dieses Lokal gehört Chinesen".

Viele marschieren mit Bildern von Mao Zedong. "Vorsitzender Mao, Japan schikaniert uns schon wieder", steht unter einem. "Papa Mao, komm zurück!" unter einem anderen. "Mao hat die Japaner besiegt", sagt einer der Bilderträger. "So einen brauchen wir wieder." Ein Zeichen der Unzufriedenheit mit den jetzigen Führern?

Medien haben wochenlang Hetze betrieben

Peking wandelt auf einem schmalen Grat. Die KP schürt den Nationalismus, ihre Medien haben wochenlang scharfe antijapanische Propaganda, manchmal Hetze betrieben (die Pekinger Abendzeitung empfahl in ihrem Mikroblogging-Account vor einer Woche: "Warum Energie verschwenden? Atombombe abwerfen. So einfach." Die Nachricht wurde bald gelöscht).

Der US-Verteidigungsminister Leon Panetta sah sich bei einem Besuch in Peking veranlasst, zur Mäßigung zu mahnen, doch die gewalttätigen Ausschreitungen am Wochenende haben auch die KP selbst beunruhigt. Mit einem Mal fordern die Scharfmacher von eben nun "Mäßigung" (Volkszeitung), "Gesetzestreue" (Pekinger Jugendzeitung) und mal "rationalen", mal "weisen Patriotismus" (Xinhua). China mag Japan mit Sanktionen drohen, aber auch für Peking steht viel auf dem Spiel.

Die Mob-Szenen haben auch Kritik ausgelöst

Das gemeinsame Handelsvolumen beläuft sich auf 340 Milliarden Dollar, die Investitionen aus Japan stiegen in den ersten sieben Monaten 2012 um 19,1 Prozent, während die aus Europa fielen. Eine ganze Reihe japanischer Firmen - Honda, Nissan Yamaha und Canon zum Beispiel - haben nun vorübergehend ihre Fabriken stillgelegt.

Die Mob-Szenen vom Wochenende haben zudem in Chinas Internet auch heftige Kritik ausgelöst. Der bekannte Blogger Han Han griff all jene an, die japanische Autos zerstörten und dies als patriotischen Akt ausgaben, außerdem fragte er nach möglichen "Hintermännern" der Ausschreitungen. Andere sprachen von einer "nationalen Schande" und "nationalistischen Zombies", die nicht repräsentativ für China seien.

Tausende applaudierten einem jungen Mann in Xi'an, dessen Foto auf Sina Weibo kursierte, Chinas größtem Mikroblogging-Dienst. Er war da zu sehen am Straßenrand mit einer handgeschriebenen Warnung: "Da vorne werden Autos zertrümmert. Fahrer von japanische Marken, bitte umdrehen!"

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