Süddeutsche Zeitung

Konflikt zwischen Nord- und Südkorea:Krieg der Lautsprecher

Lesezeit: 3 min

Von Christoph Neidhart, Tokio

Nordkoreas Staatschef Kim Jong Un hat die Grenztruppen seines Landes in Kampfbereitschaft versetzt und den "quasi-Kriegszustand" erklärt, berichteten die Staatsmedien am Freitag. Was "quasi" bedeutet, erklärten sie nicht. Falls Südkorea seine Propaganda-Lautsprecher bis 17 Uhr an diesem Samstag nicht abschalte, droht der Norden, werde er einen "Überraschungsangriff starten". In der Provinz Süd-Pyöngan, fern der Grenze, mussten Landwirtschaftsarbeiter die Ernte für Evakuierungsübungen unterbrechen. Der Jung-Diktator rasselt mit den Säbeln.

Zur Antwort besuchte Südkoreas Präsidentin Park Geun Hye im Kampfanzug ein Armee-Hauptquartier unweit Seoul. Mit steinerner Miene befahl sie "gründliche und strenge Vergeltung", falls Nordkorea wieder provoziert. 2000 Menschen ließ sie aus der Grenznähe in Sicherheit bringen.

Beide Koreas haben sich gegenseitig hochgeschaukelt, bis es am Donnerstag zum Feuerwechsel kam: Soldaten des Nordens schossen auf eine Lautsprecheranlage des Südens. Dessen Truppen antworteten mit 26 Artilleriesalven. Verletzt wurde niemand und auch nichts beschädigt. Yang Moo Jin, Professor für Nordkorea-Studien in Seoul, nannte das ein "klares Zeichen, dass es nur Warnschüsse waren. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Krieg kommt, ist sehr, sehr gering", sagte er im Arirang-Fernsehen. Es wäre ein Krieg, den keine Seite will.

Warnschüsse, Landminen und Artillieriesalven. Aber keiner sagt Genaues

Bis vor elf Jahren plärrte auf beiden Seiten der innerkoreanischen Grenze Propaganda aus Lautsprecherbatterien. Dann einigten sich Seoul und Pjöngjang, den Lärm einzustellen, den ohnehin nur Soldaten und wenige Anwohner hörten. Diese entmilitarisierte Zone (DMZ) ist ein vier Kilometer breiter Streifen Wildnis quer durch die koreanische Halbinsel. In der Mitte verläuft die Demarkationslinie, auf die sich 1953 Nordkorea und China mit den USA einigten. Südkorea war keine Waffenstillstandspartei. Die DMZ untersteht den UN, vertreten von einer neutralen Überwachungskommission. Soldaten auf Patrouille dürfen ihr Sturmgewehr mittragen, andere Waffen sind in der DMZ verboten.

In Südkorea kursieren allerhand Geschichten, was in der DMZ so alles passiere. Ein früherer Soldat, der dort Dienst tat, sagte der SZ einmal, Südkoreaner würden nordkoreanischen Soldaten schon mal Zigaretten schenken. Der Schweizer Delegationschef der Überwachungskommission bezweifelte das aber, denn das sei genau, was man nicht wolle: Das Risiko, dass etwas schieflaufe, sei viel zu groß, selbst ein kleiner Zwischenfall könnte eskalieren.

Am 4. August verletzte die Explosion dreier Landminen in der DMZ zwei südkoreanische Soldaten. Einem mussten beide Beine amputiert werden, der andere verlor eine Hand. Landminen in der DMZ verstoßen gegen den Waffenstillstand. Seoul warf Pjöngjang vor, die Minen bewusst gelegt zu haben. Pjöngjang wies jede Verantwortung zurück. Was wirklich passiert ist, weiß man nicht. Ausdrücklich zur Vergeltung schaltete Südkoreas Armee am 10. August erstmals seit 2004, an elf Grenzstationen ihre Propaganda-Lautsprecher wieder ein. Und Pjöngjang reagiert auf nichts so empfindlich wie auf Regimekritik.

Kim und Park könnten mit einer Öffnung Geschichte schreiben

Der junge Kim hat zaghaft begonnen, vorerst die Landwirtschaft zu dezentralisieren. Er möchte sein Land wirtschaftlich etwas öffnen. Deshalb hat er zugleich die Repression verstärkt, - die Lockerung der Wirtschaft solle keine politischen Folgen haben. So wird hart bestraft, wer südkoreanische Filme auf USB-Sticks sieht, die kursieren. Aktivisten aus Südkorea jedoch lassen Ballone mit Flugblättern, USB-Sticks, Schokolade und 100-Dollar-Scheine über die Grenze fliegen. Park lässt sie gewähren, ihr Vorgänger stoppte sie. Der Norden hat Seoul mehrmals aufgefordert, die Lautsprecher wieder abzuschalten. Dann sei er zum Dialog bereit. Der Süden sagt, Pjöngjang sollte sich für die Minen entschuldigen, dann könne man reden. Doch inzwischen hat der Norden seine Lautsprecher auch wieder aufgedreht. Beide Seiten werfen einander fehlende Ernsthaftigkeit vor.

Kim braucht Stabilität, Wirtschaftshilfe, Investitionen. Park einen Erfolg. Ihre Amtszeitprägen Skandale und Ineffizienz, kein Wahlversprechen ist realisiert, die Wirtschaft schlingert. Beide könnten mit einer Öffnung Geschichte schreiben. Doch beide befürchten, Schwäche zu zeigen. Kims Vater Kim Jong Il pokerte hart, spielte seine schlechten Karten geschickt, war berechenbar. Wie sein Sohn tickt, weiß man nicht. Auch Parks Vater war Diktator, regierte Südkorea in den Sechzigerjahren. Seine Tochter wird "Sphinx" genannt, weil sie nie zeigt, was sie denkt und wem sie sich verpflichtet fühlt.

Kims Vater stoppte eskalierende Provokationen rechtzeitig. Im Nachhinein wirken einige wie Vorboten für Gespräche mit dem Süden. Kim Jong Il wollte Stärke zeigen, vor allem nach innen, ehe er verhandeln ließ. Ob Kim und Park fähig sind, rechtzeitig von ihren Bluffs abzulassen, muss sich zeigen. Seoul rechnet mit einer Provokation des Nordens, wenn an diesem Samstag das Ultimatum abläuft.

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Quelle:
SZ vom 22.08.2015
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