Süddeutsche Zeitung

Konflikt mit Russland:Ukraine wird zum Spielball der Kreml-Strategie

Ohne Unterstützung von außen kann die Ukraine den Kampf gegen russische Soldaten und russische Waffen kaum mehr gewinnen. Von einer militärischen Niederlage bis zum Partisanenkrieg sind zahlreiche Horror-Szenarien vorstellbar. All das käme Wladimir Putin gelegen.

Kommentar von Cathrin Kahlweit

In Kiew herrscht nackte Panik, das kann auch der bemühte Optimismus nicht überdecken, mit dem der ukrainische Präsident auf die russische Aggression reagiert. Petro Poroschenko setzt zwar noch auf Fortschritte bei den Friedensverhandlungen, aber auf die Frage nach dem Warum lautet das Argument, "weil die Ukraine kurz vor dem Punkt ist, an dem es kein Zurück mehr gibt". Wie dieser Punkt aussehen könnte, das hat am Sonntag Wladimir Putin in einem Fernsehinterview angedeutet. Er schlug vor, schon mal über eine Staatlichkeit der Ostukraine nachzudenken. Was Putin damit meint, lässt er im Unklaren. Die Panik in Kiew wird dadurch nur größer.

Tatsächlich liegt es auf der Hand, dass der Kampf gegen russische Soldaten und russische Waffen auf dem eigenen Territorium für die Ukraine kaum noch ohne Unterstützung von außen zu gewinnen ist. Und dass die Ukraine vor der Spaltung stünde, wenn es bei der militärischen Übermacht der Separatisten bliebe, die zuletzt von Moskau massiv aufgerüstet und verstärkt worden waren. Zahlreiche Horrorszenarien sind vorstellbar: Eine militärische Niederlage. Dann ein Partisanenkrieg. Das Ende der Regierung in Kiew, die die zerfallenden politischen Lager derzeit noch zusammenhält. Ein Aufstand im Westen des Landes. Alles das würde Wladimir Putin in die Hände spielen, nach dem Motto: Habe ich es nicht gesagt? Kriegstreiber und Faschisten!

Noch sind diese Szenarien nicht Realität, und doch wird die Ukraine als Nation immer mehr zum Spielball der Kreml-Strategie. Jüngstes Beispiel: Putin hat die "Volkswehr" gelobt - und seine eigenen Leute gemeint. Diese hätten "Erfolge bei der Unterbindung der Gewaltoperation Kiews erzielt, die eine tödliche Gefahr für die Bevölkerung darstellt". Das ist zynisch. Denn der jüngste Vorstoß dieser "Volkswehr" fand bei Nowoasowsk statt, nahe bei Mariupol, wo die ukrainische Armee gar nicht kämpfte, wo keine "Gewaltoperation Kiews" zu verhindern war, wo es auch keine Rufe nach Mütterchen Russland gab.

Die Verbindung zwischen dem ukrainischen Festland und der Krim

Es waren vielmehr die Separatisten und die russischen Soldaten, die den Krieg ans Asowsche Meer trugen. Und es sind ukrainische Zivilisten, die sich jetzt mit dem wenigen, was sie haben, mit Spaten und Schippen eingraben - aus Angst vor der russischen Armee. Diese hat in der vergangenen Tagen deutlich gezeigt, was sie will und wo sie hinwill: zur Landbrücke, die das ukrainische Festland mit der Krim verbindet. Mindestens bis dahin. Russland kann die Halbinsel nicht versorgen - nicht allein aus der Luft und über die Meerenge von Kertsch, wo schon jetzt die Wartezeiten für Lastwagen manchmal drei Tage betragen. Der Winter steht ins Haus, die Fähre von Russland auf die Krim wird dann noch seltener fahren. Es ist ganz banal: Russische Soldaten sollen einen Landweg durch den Donbass erobern. Denn nur mit dieser Infrastruktur ist die Krim überlebensfähig.

Das alles liegt klar auf der Hand. Daher richten Präsident und Regierung der Ukraine nun verzweifelte Appelle an Nato und EU, an die "Wertegemeinschaft", der sich die Ukraine zugehörig fühlt. Sie hoffen auf Hilfe und ahnen doch, dass Solidaritätsbekundungen und weitere Sanktionen nichts ausrichten - oder aber zu lange brauchen, bis sie wirken. Die "Osteuropa-Eingreiftruppe", welche die Nato nach jüngsten Medienberichten plant, ist nur ein politisches Signal an Russland und ein Trostpflaster für Polen und Balten. Und einen Nato-Beitritt der Ukraine wird es nicht geben.

Wie immer man sich im Westen entscheidet, und so sehr auch das Bemühen richtig bleibt, Putin in eine Lösung einzubeziehen, eine weitere mögliche Eskalation wird oft ausgeblendet: nicht nur die territoriale Integrität, sondern auch die Stabilität der Ukraine stehen auf dem Spiel.

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Quelle:
SZ vom 01.09.2014/cag
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