Konflikt in Nordirland:Kehrt die Gewalt zurück?

Loyalist protesters block Cregagh Road in East Belfast after a decision was made to remove the British flag from Belfast's City Hall

Demonstranten blockieren eine Straße in Belfast. Im Streit um eine britische Flagge auf dem Rathaus der Stadt, ist es zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen.

(Foto: Reuters)

Brandbomben und Protestmärsche: Mit dem Streit über eine Flagge am Belfaster Rathaus kehren Krawalle und Ausschreitungen nach Nordirland zurück. Dabei hat sich die Hauptstadt mit dem Friedensprozess zwischen Katholiken und Protestanten entwickelt - Touristen trauten sich wieder zurück. 2013 könnte nun ein Jahr neuer Gewalt werden.

Von Christian Zaschke

In der Nacht zu Freitag sah es auf den Straßen von Ost-Belfast so aus wie zu Zeiten des Nordirland-Konflikts. Die Polizei rückte in gepanzerten Fahrzeugen vor, wütende Demonstranten warfen Brandbomben und Steine auf die Beamten. Rund 100 Menschen hatten sich auf einen Protestmarsch begeben. Als die Auseinandersetzung mit der Polizei vorbei war, gab es zunächst lediglich zwei Festnahmen, aber zehn verletzte Polizisten. Belfast kommt nicht zur Ruhe.

Seit dem 3. Dezember 2012 kommt es in der Stadt immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. An diesem Tag hatte der Stadtrat beschlossen, dass der Union Jack, die Flagge des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, nicht mehr an 365 Tagen im Jahr über dem Rathaus wehen soll, sondern nur noch zu besonderen Anlässen.

Dieser Beschluss soll ein Zugeständnis an den republikanisch-katholischen Teil der nordirischen Bevölkerung sein, der lieber Teil der Republik Irland wäre. Er löst jedoch Zorn unter dem loyalistisch-protestantischen Teil der Bevölkerung aus, der weiterhin Teil des Vereinigten Königreichs sein möchte. Es mag eine auf den ersten Blick unerhebliche Frage sein, an wie vielen Tagen welche Flagge über dem Rathaus weht, doch in Nordirland entfalten kleinste Zeichen große symbolische Kraft.

Seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 leben beide Gruppen weitgehend friedlich neben- oder gar miteinander. Der vermeintlich harmlose Beschluss von Anfang Dezember hat die Stimmung in Nordirlands Hauptstadt jedoch verändert. Wieder und wieder entladen sich die Spannungen in Gewalt, wieder und wieder werden Polizisten verletzt. Der stellvertretende Polizeichef Nordirlands, George Hamilton, nannte die Ausschreitungen am Freitag "verabscheuungswürdig".

Zwischen Ende der Sechzigerjahre und 1998 waren im Lauf des Nordirlandkonflikts, verharmlosend "troubles" genannt, etwa 3500 Menschen ums Leben gekommen, annähernd 50 000 wurden verletzt. Das Karfreitagsabkommen markierte einen Neubeginn nicht nur im Verhältnis der beiden Gruppen, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Investoren kamen ins Land, auch Touristen trauten sich wieder nach Belfast. Wer heute in der berühmten Crown Bar einkehrt, gegenüber dem Hotel Europa, das sich einst als "meistbebombtes Hotel der Welt" rühmte, der hört dort viele amerikanische Akzente - das wäre vor 15 Jahren undenkbar gewesen.

2013 - das Jahr, in dem die Gewalt zurückkehrt?

Belfast hat sich entwickelt: Auf dem ehemaligen Gelände der Werft Harland & Wolff soll ein komplett neuer Stadtteil entstehen, das "Titanic Quarter", benannt nach dem versunkenen Luxusdampfer, der in Belfast gebaut wurde. Im vergangenen Jahr hat in einem eigens errichteten, spektakulären Gebäude "Titanic Belfast" eröffnet, eine Mischung aus Event und Dauerausstellung rund um das berühmte Schiff. Hunderttausende Besucher pro Jahr, so der Plan der Macher, sollen auf den Spuren der Titanic nach Belfast reisen.

Die immer neuen Bilder der Gewalt und die immer neuen schlechten Nachrichten passen nicht zu diesem Plan. Vor wenigen Tagen hat ein Polizist in Belfast unter seinem Privatwagen eine Bombe entdeckt: Er hatte, wie immer vor dem Einsteigen, den Unterboden geprüft. Vize-Polizeichef Hamilton sagte: "Wenn der Beamte nicht unter sein Auto geschaut hätte, würden wir jetzt wegen Mordes oder mehrfachen Mordes ermitteln." Drei Männer wurden festgenommen, sie gehören laut Polizei zu einer republikanischen Splittergruppe.

Erst vor zwei Monaten war ein Strafvollzugsbeamter auf dem Weg zur Arbeit erschossen worden, die Verantwortung übernahm eine Gruppe, die sich "new IRA" nennt, neue Irisch-Republikanische Armee. Zudem hat die Polizei in den vergangenen Wochen sowohl in Belfast als auch in Derry (die Protestanten nennen die Stadt Londonderry) mehrere Bomben gefunden, deren Sprengkraft gereicht hätte, gepanzerte Fahrzeuge zu zerstören.

Derry ist seit dem 1. Januar Kulturhauptstadt des Königreichs, geplant sind allerlei Konzerte und Theateraufführungen. Der Turner Prize, wichtigster Kunstpreis des Landes, wird in diesem Jahr erstmals außerhalb Englands verliehen: in Derry. Im Juni findet zudem der G8-Gipfel der wichtigsten Industrienationen im malerischen Enniskillen statt. 2013 soll das Jahr werden, in dem Nordirland endgültig wieder als Touristenziel auf der Landkarte verankert wird. So, wie es jetzt aussieht, ist allerdings nicht auszuschließen, dass 2013 das Jahr wird, in dem die Gewalt nach Nordirland zurückkehrt.

In einer früheren Version enthielt dieser Text ein Foto, das irrtümlich in direkten Zusammenhang mit dem Flaggenstreit gesetzt wurde. Wir haben dies korrigiert.

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