Süddeutsche Zeitung

Konflikt in der Ostukraine:Poroschenko kündigt Waffenruhe auf

Die Feuerpause im Osten der Ukraine ist abgelaufen. Trotz internationalen Drucks entscheidet sich Präsident Poroschenko gegen eine Verlängerung. Die Armee soll nun "das Land befreien".

  • Armee bereitet sich auf "Anti-Terror-Operation" vor.
  • Bundesregierung fordert von Russland ein stärkeres Bemühen um ein Ende der Gewalt.
  • Ein russischer Journalist wird in Donezk getötet.

Poroschenko entscheidet sich gegen Fortsetzung der Feuerpause

Die ukrainische Regierung verlängert die Waffenruhe im Osten des Landes trotz internationalen Drucks nicht. Stattdessen werde die "Anti-Terror-Operation" der Armee gegen die prorussischen Separatisten fortgesetzt, sagte Poroschenko in der Nacht zum Dienstag in Kiew. "Wir werden in die Offensive gehen und unser Land befreien. Die Nichtfortsetzung der Feuerpause ist unsere Antwort an die Terroristen, Freischärler und Marodeure."

"Im Verlauf von zehn Tagen haben wir dem Donbass, der Ukraine, der ganzen Welt gezeigt, dass wir diesen von außen provozierten Konflikt friedlich regeln wollen", betonte Poroschenko. Die Aufständischen hätten aber mit "verbrecherischen Taten die einmalige Chance zur Umsetzung des Friedensplans" zunichtegemacht. "Nach der Diskussion der Situation habe ich, als Oberkommandierender, den Entschluss gefasst, das Regime der einseitigen Feuerpause nicht fortzusetzen."

Die Entscheidung kommt überraschend, da die Regierungen in Kiew und Moskau gemeinsam auf eine beiderseitige Waffenruhe zwischen der ukrainischen Regierung und den Separatisten hinarbeiten wollten. Darauf hatten sich Russlands Präsident Wladimir Putin und der ukrainische Präsident Petro Poroschenko am Montag in einem Telefonat geeinigt, teilte das französische Präsidialamt mit. An dem Telefonat nahmen auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande teil.

Die Beteiligten hätten sich darauf verständigt, einen Fünf-Punkte-Plan auszuarbeiten, so das Präsidialamt in Paris weiter. Neben einem Abkommen über einen bilateralen Waffenstillstand zwischen dem ukrainischen Militär und den Separatisten sieht dieser auch die Freilassung von Geiseln und Gefangenen auf beiden Seiten vor. Außerdem solle an der russisch-ukrainischen Grenze stärker kontrolliert werden.

Ende der einseitigen Feuerpause

Im Osten der Ukraine ist um 21 Uhr die Feuerpause ausgelaufen, die der ukrainische Präsident Petro Poroschenko vor zehn Tagen ausgerufen und am Freitag trotz starken innenpolitischen Widerstands bereits einmal verlängert hat.

Die Ostukraine wird von Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Separatisten erschüttert. Die Feuerpause war am Wochenende mehrfach gebrochen worden, wofür sich die Konfliktparteien gegenseitig verantwortlich machen. Die Separatisten der selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk verlangen als Vorbedingung für einen Friedensdialog mit Kiew den Abzug aller Regierungstruppen aus der Ostukraine.

Bundesregierung fordert mehr Anstrengungen von Russland

Die Bundesregierung fordert von Russland mehr Anstrengungen für eine friedliche Lösung des Konflikts im Osten der Ukraine. Regierungssprecher Steffen Seibert wirft den Separatisten vor: "Eine Waffenruhe darf nicht missbraucht werden, um einseitig neue Fakten zu schaffen. Genau das ist geschehen."

Seibert verweist darauf, dass nach der Freilassung der verschleppten OSZE-Beobachter im Osten des Landes weitere Bedingungen zu erfüllen seien. Dazu gehörten "substanzielle Verhandlungen" über den Friedensplan des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und die Freigabe von drei Grenzübergängen, die von Separatisten kontrolliert werden. Zudem müsse ein Mechanismus zur Überprüfung eines Waffenstillstands und der Grenzkontrollen durch die OSZE gefunden werden.

In Kiew Demonstrationen für Militäroffensive

In Kiew wächst der Druck auf Präsident Poroschenko, wieder gegen die Aufständischen vorzugehen. In der Ukraine herrscht die Sorge, dass die Separatisten mit jedem weiteren Tag ihre Strukturen im Osten des Landes festigen und die Abspaltung vorantreiben.

In der ukrainischen Hauptstadt demonstrierten Tausende dafür, die Militäroffensive wiederaufzunehmen, um die prorussischen Separatisten mit Waffengewalt in die Knie zu zwingen. Unter ihnen waren auch Angehörige freiwilliger Kampfverbände.

Russischer Journalist in Donezk getötet

Im ukrainischen Konfliktgebiet Donezk ist erneut ein russischer Journalist getötet worden. Behörden in Moskau werfen den ukrainischen Regierungstruppen vor, den Mitarbeiter des Staatsfernsehsenders Perwy Kanal (Erster Kanal) bei der Arbeit in der Ostukraine ermordet zu haben. Das Außenministerium in Moskau fordert Kiew auf, das Verbrechen aufzuklären und die Schuldigen zu bestrafen. In der Region waren bereits mehrere Journalisten getötet worden. Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge wurden seit Mitte April bis zum 20. Juni mindestens 423 Menschen im Ukraine-Konflikt getötet, darunter auch Zivilisten.

Hintergrund: EU und USA setzen Russland unter Druck

Die EU und auch die USA machen Druck auf Moskau. Die EU stellte bei ihrem Gipfel in Brüssel Russland ein Ultimatum von 72 Stunden. Bis Montag soll die Regierung in Moskau zeigen, dass sie es ernst meint mit der Entspannung in der Ostukraine. Russland müsse "substanzielle Verhandlungen" über den Friedensplan Poroschenkos aufnehmen, forderten Europas Staats- und Regierungschefs. Anderenfalls werde die EU neue Sanktionen gegen Moskau beschließen, heißt es in einer Erklärung.

Washington stellte sich hinter das EU-Ultimatum. Auch die USA erwarteten bis Montag "sofortige und positive Stabilisierungs-Aktionen" der russischen Regierung, sagte ein Sprecher des Weißen Hauses. Allerdings ließ der Weiße-Haus-Sprecher Josh Earnest offen, ob die USA sofort weitere Sanktionen beschließen sollten, falls Moskau sich nicht bewegt.

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