Konflikt in Afghanistan:Mit Facebook gegen den Exodus

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  • Sharam Gulzad hatte eine Zukunft in Deutschland. Doch statt zu bleiben, kehrte er 2006 nach Afghanistan zurück.
  • Heute versucht der Unternehmer andere junge Afghanen dazu zu bewegen, das Gleiche zu tun.
  • Mit fünf Freunden hat er die Facebook-Kampagne "Afghanistan Needs You" gegründet. Sie trifft einen Nerv.

Von Julia Ley

Im Grunde, sagt Sharam Gulzad, sei es ganz einfach. "Wenn deine Mutter krank ist, dann lässt du sie doch auch nicht einfach zurück." Genauso sei es mit Afghanistan. Wer möchte, dass es dem Land besser gehe, der müsse da bleiben und etwas ändern.

Gulzad und seine Freunde haben das getan: Zusammen haben sie die Facebook-Kampagne "Afghanistan Needs You" ins Leben gerufen. Darauf posten junge Afghanen Fotos von sich selbst mit einem Plakat in der Hand, auf dem eben das steht: Afghanistan braucht dich! Darunter erklären die Teilnehmenden, warum sie in Afghanistan bleiben werden. Und warum andere Afghanen das auch tun sollten.

Es ist viel davon die Rede, dass das Land sie braucht. Dass man dem Ausland die eigenen Ressourcen schenkt. Davon, dass die Jugend das Tor zur Zukunft eines Landes ist. Aber manchmal ist die Botschaft auch überraschend einfach: "Afghanistan heißt Afghanistan, weil hier Afghanen leben", schreibt einer. "Wenn ihr wollt, dass es dieses Land weiterhin gibt, bleibt hier."

Das Land versinkt im Chaos

Wenn Gulzad Leute zum Bleiben auffordert, dann verlangt er damit nicht wenig. In dieser Woche haben die Taliban Kundus eingenommen, eine Stadt im Norden des Landes. Die Nato-Truppen haben ihren Abzug noch nicht beendet und das Land scheint im Chaos zu versinken.

Auch in Kabul selber kommt es hin und wieder zu Anschlägen. Die Unsicherheit wirkt sich auch auf die Wirtschaft aus: Die Arbeitslosigkeit ist hoch, mit den Amerikanern verlassen auch die ausländischen Investoren das Land. Selbst die Hilfsgelder werden weniger, sagt Gulzad.

Viele Afghanen wollen deshalb einfach nur weg. Sie suchen Sicherheit, Bildung und Aufstiegschancen im Ausland, zunehmend auch in Europa. Gulzad hätte all das haben können. Als er drei war, floh seine Familie vor den Taliban nach Deutschland. Danach wuchs er in Hamburg bei einer Tante auf, machte Abitur, hatte die ersten Jobs. Er hätte nur bleiben müssen.

Sharam Gulzad (Foto: Baris Yener; oH)

Doch der Unternehmer, dessen Deutsch bis heute nach Hamburger klingt und der "Loide" statt "Leute" sagt, entschied sich 2006, nach Afghanistan zurückzukehren. Er folgte dem Vorbild seines Vaters. "Ein echter Patriot", sagt Gulzad. "Er wollte um sein Land kämpfen." Der Vater ging schon früh zurück und baute ein Import-Export-Unternehmen auf, das mit Bauutensilien handelt. Als der Sohn zurückkehrte, stieg auch er dort ein.

"Der Anfang war sehr schwierig", sagt Gulzad. Vielleicht noch schwieriger für ihn, weil für ihn alles fremd war: die grassierende Korruption, die andere Einstellung zur Arbeit, die Kultur. Immer wieder hätten Mitarbeiter geklaut. Einige von denen, die dann gefeuert wurden, hätten seine Familie hinterher bedroht. "Die Leute denken nicht über den Tag hinaus", sagt er. Das größte Problem aber sei die Korruption. Einmal hätten Freunde von ihm versucht, sich bei einer Anti-Korruptionsbehörde über korrupte Beamte zu beschweren. Die Reaktion: "Wir können Ihre Beschwerde aufnehmen. Was können Sie zahlen?"

Gerade junge Afghanen wollten heute einfach nur weg, sagt Gulzad. "Pro -Afghanistan zu sein ist nicht gerade cool." Die Menschen seien apathisch, hoffnungslos. Eben gegen dieses Gefühl richtet sich die Facebook-Kampagne. "Wir wollen, dass die Menschen wieder Verantwortung übernehmen. Dass sie nicht nur darauf warten, dass die Regierung es regelt." Sie sollen selber aktiv werden, Ideen entwickeln, Unternehmen gründen.

Ob 5000 Likes und ein paar Fotos dafür reichen? "Vielleicht ist es naiv", sagt Gulzad. "Aber Gandhi hat auch mit einer Idee angefangen." Der erste Schritt sei, das Denken der Menschen zu verändern.

Die sechs Aktivisten scheinen einen Nerv getroffen zu haben. Manchmal braucht es eben nur eine Plattform, die Gleichgesinnte zusammenbringt. Binnen einer Woche hatte die Seite über 5000 Likes. Mehrere Medien wollten ein Interview und das afghanische Flüchtlingsministerium bot eine Zusammenarbeit an. Schließlich meldete sich sogar eine große Bank und versprach, zwanzig jungen Afghanen einen Arbeitsplatz zu besorgen.

Auch Mansoor Faqiryar, der Torwart der afghanischen Fuißballmannschaft, unterstützt die Kampagne. (Foto: "Afghanistan Needs You")

Es sind die Gebildeten, die fliehen

Gulzad und seine Freunde gehören sicher nicht zu jenen Afghanen, denen es am schlechtesten geht. Gulzad selbst kommt aus einer alten Handelsfamilie, die gute Verbindungen zur Regierung unterhält. Die anderen sind alle gut ausgebildet, sagt er. Doch was ist mit denen, die keine guten Abschlüsse vorweisen können? Was soll aus ihnen werden in einem Land, das nicht mal den gut Gebildeten eine Chance bietet?

"Man braucht nicht viel Geld, um etwas zu verändern", sagt Gulzad. Er erzählt von Mikrokrediten, die an arme afghanische Frauen verteilt wurden. "Viele haben sehr viel daraus gemacht." Außerdem gingen ja nicht die Armen. Die könnten sich eine Flucht gar nicht leisten. "Es sind die gut Ausgebildeten wie wir, die gehen. Die, die das Land am meisten braucht."

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Man könnte einwenden, dass es ja auch noch all jene gibt, die um ihr Leben fürchten. Deren Mütter, Väter oder Brüder von Taliban hingerichtet wurden. Gulzad sagt, er habe keine Illusionen. Mehrmals sei er selbst nur haarscharf einem Anschlag entgangen. Einmal geriet sein Büro unter Beschuss. "Aber wenn alle gehen, dann kann es nicht besser werden." Wer es auf dem Land nicht aushalte, müsste eben in die Städte kommen. "Von hier aus bauen wir das Land wieder auf."

Ab und an fährt aber auch er noch nach Deutschland - meist um Freunde und Familie zu besuchen. Einmal ging er an den Hamburger Landungsbrücken spazieren. Ein Bettler wollte das Red Bull haben, das er in der Hand hielt. Im Gespräch merkte er, dass der Mann Afghane ist. Es war das erste Mal, dass er einen Afghanen im Ausland betteln sah. Der Anblick hat ihn getroffen. "Mit dem Geld für die Flucht hätte er hier mehr anfangen können", glaibt Gulzad.

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