Konflikt im Kaukasus:Der Sieg als Niederlage

Russlands außenpolitische Strategie besteht bis heute nur aus einer einzigen Idee: dem Panzer.

Sonja Zekri, Tiflis

Auf den ersten Blick ist es ein Sieg auf ganzer Linie. Russland hat Georgiens Staatschef Michail Saakaschwili zu Boden geworfen. Saakaschwili ist ein Intimfeind Wladimir Putins, über Jahre hat ihn die russische Propaganda als Amerikas blutrünstigen Büttel dargestellt.

Konflikt im Kaukasus: Nach der militärischen Niederlage gegen Russland schwer angeschlagen: Putins Intimfeind, Georgiens Präsident Saakaschwili.

Nach der militärischen Niederlage gegen Russland schwer angeschlagen: Putins Intimfeind, Georgiens Präsident Saakaschwili.

(Foto: Foto: dpa)

Für staatstreue russische Medien erfüllt sich nun sein Schicksal. Zwar genießt Saakaschwili dank der russischen Besatzung innenpolitisch einen seltenen Moment der Harmonie. Amerika gibt sich täglich entschlossener, sagt gemeinsame Flottenmanöver mit Russland ab, schickt Soldaten mit Hilfslieferungen nach Georgien, warnt Moskau vor einer Dauerbelastung der Beziehungen. Condoleezza Rice fuhr am Freitag nach Tiflis und mied Moskau.

Aber Russland hat Europa gespalten. Die Osteuropäer schließen die Reihen gegen Russland. Frankreich und Deutschland aber, das wurde trotz der klaren Kritik von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Treffen mit Medwedjew in Sotschi klar, wollen ihre guten Beziehungen mit Moskau nicht aufs Spiel setzen - nicht für Saakaschwilis Georgien.

Georgiens Staatschef hat sein Land in maßloser Selbstüberschätzung in einen Krieg gejagt, der nicht zu gewinnen war. Er hat nachts offenbar zivile Wohngebiete beschießen lassen. Er hat Georgiens Hoffnungen auf eine Rückkehr der abtrünnigen Gebiete verspielt und es als Nachbarn in der Region diskreditiert.

Wer David und wer Goliath ist, lässt sich in dieser Weltgegend oft schwer sagen. Im Westen gelten Abchasen und Südosseten als fünfte Kolonne Moskaus, aber für die meisten Menschen in Suchumi oder Zchinwali ist Russland kein Traumpartner, sondern nur das kleinere Übel. Und viele der oft winzigen Völker betrachten den Nationalismus der Regionalmacht Georgien ohnehin mit Argwohn. Die Knechtschaft fremder Völker sei im Kaukasus keine Frage der Moral, sondern der Möglichkeiten, hat der abchasische Schriftsteller Fasil Iskander sinngemäß geschrieben.

Atemberaubende Wendung

Russlands Möglichkeiten aber sind enorm. Um die Erniedrigung der Georgier auszukosten, zögert Moskau den Abzug hinaus und sprengt georgische Waffenlager. Nach 14 Jahren gnadenloser Tschetschenien-Politik wirft sich Medwedjew in einer atemberaubenden Kehrtwendung zum Anwalt für das Selbstbestimmungsrecht fremder Völker auf.

Territoriale Integrität, in Grosny um den Preis von Zehntausenden Toten verteidigt, ist plötzlich verhandelbar. Dabei schert sich Moskau so wenig wie Tiflis um das Schicksal der Osseten. Russland hat Georgiens Staatlichkeit ausgehöhlt, in einem fremden Staat Pässe verteilt. Moskaus Bürgermeister Jurij Luschkow investiert in Abchasien so selbstverständlich wie am Gartenring. Am Schwarzen Meer mischen sich wirtschaftliche und politische Interessen Russlands, wieder mal.

Aber das würde Moskau nie zugeben. Die russische Führung ringt um Legitimität für einen Krieg, der in eine Okkupation übergegangen ist und betont die Parallelen. Moskau hat in diesem Krieg den Westen bis in die Redewendungen, bis in die militärische Strategie kopiert. Die Bombardierung Belgrads oder die Anerkennung des Kosovo dienen als Rechtfertigung für Kampfflieger über Zchinwali und Panzer in Gori.

Und wenn der russische UN-Botschafter Vitali Tschurkin im Sicherheitsrat höhnt, Russlands Friedenstruppen hätten Südossetien zumindest nicht so schändlich im Stich gelassen wie die Blauhelme die Bosnier in Srebrenica, dann ist dies ein besonders abstoßendes Beispiel in einem Krieg aus Propaganda und Gegen-Propaganda. Auch Amerika, argumentieren die Russen, setze seine Sicherheitsinteressen rücksichtslos durch, zeige keinen Willen zur Abrüstung und wolle Raketen in Polen stationieren. Warum solle Russland das nicht mit gleicher Münze vergelten?

Stärke als Selbstzweck

Die Antwort liegt auf der Hand: Weil Amerika das beste Beispiel für das Scheitern dieser neo-imperialen Politik ist. Russland hat - wie Washington im Irak-Krieg - in diesem August eine Grenze überschritten. Zum ersten Mal seit dem Zerfall der Sowjetunion hat es Truppen in ein fremdes Land geschickt, und mit jedem Tag wird es schwerer zu begründen, was russische Soldaten in Sugdidi verloren haben.

Wenn Georgien Abchasien und Südossetien verliert, wenn die Karte des postsowjetischen Raumes neu vermessen werden muss, weil Moskau dazu diplomatisch den Weg geebnet hat, büßt es alle Glaubwürdigkeit ein, die es in den vergangenen 17 Jahren beansprucht hat. Amerika hat sich die Welt durch seinen aggressiven Messianismus entfremdet. Aber Russlands Außenpolitik will - anders als zu Sowjet-Zeiten - gar keine Ideologie verbreiten. Sie hat Stärke zum Selbstzweck erhoben.

Die vielleicht größte Enttäuschung für die Europäer ist dabei Dmitrij Medwedjew. In den 100 Tagen als Präsident ist er keinen Millimeter von der Putin-Doktrin abgewichen. Seine Umgangsformen sind geschmeidiger, sein Ton gefälliger, aber seine Attacken gegen den georgischen "Völkermord" verraten nicht den kleinsten Dissens. Das ist nicht erstaunlich.

Medwedjew hat die Destabilisierung Georgiens bereits als Regierungsmitglied unter Putin mitgetragen. Und dass dieser ihm nun als Kriegsherr rücksichtslos die Schau gestohlen hat, dass Medwedjew zwar Anfang und Ende dieses Waffenganges verkünden durfte, aber der Ministerpräsident Flüchtlinge besuchte und im Hintergrund die Fäden zog, lässt nur ahnen, dass die Ära des Putinismus noch lange nicht vorbei ist.

Russen wissen das längst. Vor wenigen Wochen erst hatte Putin die russische Wirtschaft mit drei bösen Sätzen in einen Abgrund gestürzt. Putin hatte dem Rohstoff-Konzern Mechel Steuerhinterziehung vorgeworfen, die Firma verlor 40 Prozent seines Werts. Die Börse büßte Milliarden ein. Putin hat Russland in acht Jahren mit Einkreisungsparolen an den Rand der Paranoia gebracht. Nun, unter Medwedjew, haben diese Ängste ein Ventil gefunden. Bei der letzten großen Eiszeit zwischen Tiflis und Moskau vor zwei Jahren ließ Putin Hunderte Georgier aus Russland deportieren. Das blieb diesmal aus. Russlands außenpolitische Strategie aber besteht nach wie vor aus einer einzigen Idee: dem Panzer.

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