Konflikt im Gazastreifen:Reden und schießen

  • Nach Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen fliegt die israelische Luftwaffe auch am Donnerstagabend Angriffe.
  • Das Sicherheitskabinett hat die Armee instruiert, "weiter mit Härte im Gazastreifen vorzugehen", wie es in einer knappen Mitteilung hieß.
  • Damit will Israel Schlagkraft demonstrieren, aber keine Kriegserklärung abgeben.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Die Nacht auf Donnerstag hat Itsik Askapa im Bunker verbracht. "Ich habe trotzdem gut geschlafen", sagt der Anti-Terror-Experte. Der Israeli fügt hinzu: "Ich bin das gewohnt. Warum soll ich mich fürchten?" Jedes Apartment in Sderot muss über einen Schutzraum verfügen, entlang der Straßen gibt es alle paar Hundert Meter Unterschlupfmöglichkeiten. Die Stadt mit 25 000 Einwohnern liegt nur fünf Kilometer Luftlinie vom Gazastreifen entfernt und gilt als der Ort mit den weltweit meisten Bunkern.

Die ersten von neun Raketen auf Sderot landeten Mittwochabend. Spielplätze und Restaurants wurden sofort geräumt. Elf Menschen wurden verletzt, eine Frau schwer. 13 erlitten einen traumatischen Schock. Alle Bewohner in den Orten entlang des Gazastreifens wurden am Donnerstag aufgerufen, in der Nähe von Bunkern zu bleiben. Immer wieder wurde Raketenalarm ausgelöst. Mehr als 180 Geschosse wurden aus dem Gazastreifen abgefeuert, etwa 30 davon vom israelischen Raketenabwehrsystem "Eisenkuppel" abgefangen. Die meisten landeten auf freiem Feld.

Israels Armee flog in mehreren Wellen Vergeltungsangriffe und bombardierte nach eigenen Angaben 150 Ziele im Gazastreifen. Im Visier waren vor allem Raketenabschusssysteme und Tunnel. Nach Angaben palästinensischer Behörden wurden drei Menschen getötet, darunter der 30-jährige Sohn eines Kassam-Kämpfers. Außerdem sollen eine schwangere 23-jährige Frau und ihre 18 Monate alte Tochter bei einem Angriff umgekommen sein.

Abed Schokry, seine Frau und die vier Kinder hatten am Donnerstagmorgen erst gegen halb sechs Uhr etwas Schlaf gefunden. Der Palästinenser, der in Deutschland studiert hat, versammelte seine Familie in Gaza-Stadt in einem Raum in der Nähe des Treppenhauses, das zur Straße hin liegende Schlafzimmer erschien ihm zu unsicher. Aus der Nachbarwohnung seien immer wieder Schreie zu hören gewesen. "Besonders für unsere fünfeinhalb Jahre alte Tochter ist die Situation sehr schwer zu ertragen. Aber wir sind wenigstens unversehrt", sagt der Palästinenser am Telefon.

Wie ist es zu dieser Eskalation gekommen? Schokry sagt, da habe offenbar noch jemand Stärke zeigen wollen - und verweist auf die Verhandlungen über eine dauerhafte Waffenruhe, die seit Tagen auf gutem Wege zu sein schienen. Am Mittwoch hatte sich die Hamas-Führung versammelt und darüber beraten. Unter der Vermittlung von Ägypten und des UN-Nahostbeauftragten Nikolay Mladenov wurde über einen auf fünf Jahre angelegten Plan verhandelt. Der Vorschlag sieht vor, dass Israel und Ägypten nach einer Waffenruhe die Blockade des abgeriegelten Küstenstreifens aufheben, dann wird in den Wiederaufbau der Infrastruktur investiert. In die Verhandlungen eingebunden sind Israel, die palästinensische Autonomiebehörde von Präsident Mahmud Abbas und die Hamas. Die Fatah von Präsident Abbas und die im Gazastreifen regierende radikalislamische Hamas sind verfeindet.

Am Donnerstagmittag verkündete die "Vereinigung für den bewaffneten Widerstand", hinter der die Hamas und die zweitgrößte Fraktion Islamischer Dschihad stehen, einen Waffenstillstand. "Diese Eskalation ist aufgrund von internationaler und regionaler Vermittlung vorbei", hieß es. Drei Stunden später aber schlug in der Nähe der südisraelischen Beersheba eine Rakete ein - seit 2014 war man hier, 40 Kilometer vom Gazastreifen entfernt, nicht mehr mit Geschossen konfrontiert gewesen. Dann folgten weitere Raketenangriffe auf Orte entlang der Grenze.

Daraufhin flog das israelische Militär am Donnerstagabend Luftangriffe im Gazastreifen. Ein fünfstöckiges Gebäude mitten in Gaza-Stadt wurde zerstört. Nach israelischen Angaben war es ein Quartier der Hamas für ihre Sicherheitskräfte, die Hamas behauptet, es sei ein Kulturzentrum gewesen. 18 Palästinenser wurden verletzt. Dieser Angriff sollte der Hamas als Warnung dienen, dass man auch ihre Führer angreifen könne, hieß es aus Militärkreisen. Als Erklärung für den überraschenden Raketenhagel wird im Gazastreifen die Tötung zweier Kämpfer der Kassam-Brigaden, des bewaffneten Arms der Hamas, am Dienstag durch israelische Angriffe vermutet. Nach Einschätzung des ehemaligen israelischen Brigadegenerals Jossi Kuperwasser wollte die Hamas damit zeigen, dass man nicht aus einer Position der Schwäche heraus bereit sei, eine Vereinbarung mit Israel und auch der palästinensischen Autonomiebehörde einzugehen.

Das israelische Sicherheitskabinett trat am späten Nachmittag zu seiner zweiten Sitzung binnen 24 Stunden zusammen. Nach stundenlangen Beratungen wurde ein dürre Erklärung herausgegeben, wonach die Streitkräfte "instruiert wurden, weiterhin mit Stärke" im Gazastreifen vorzugehen. Damit will Israel Schlagkraft demonstrieren, aber keine Kriegserklärung abgeben. Zuvor hatten Oppositionspolitiker Premierminister Benjamin Netanjahu aufgefordert, endlich zu handeln. Verteidigungsminister Avigdor Lieberman ist seit Längerem für eine Militäroperation.

160 Tote seit 30. März

Denn es ist das dritte Mal binnen kurzer Zeit, dass die Hamas Dutzende Raketen nach Israel abfeuert und dann nach wenigen Stunden einen Waffenstillstand verkündet. Am späten Donnerstagabend gab es erneut Berichte über einen Waffenstillstand, die israelische Quellen aber dementierten. Nicht nur in Militärkreisen wird diskutiert, warum sich Israel von der Hamas das Vorgehen diktieren lasse. Zum ersten Mal seit dem Beginn der Auseinandersetzungen am 30. März mit inzwischen etwa 160 Toten erklärte ein Armeesprecher, man bereite sich auf die Evakuierung israelischer Orte entlang des Gazastreifens vor. Auch die Hamas gerät stärker unter Druck, weil sich die humanitäre Lage weiter verschlechtert. Weil die USA Geld für das Palästinenserhilfswerk UNRWA ge- strichen haben, mussten bereits einige Leistungen im Gazastreifen eingestellt werden.

Der US-Nahostverhandler Jared Kushner will schon seit Längerem allen Palästinensern den Flüchtlingsstatus aberkennen und UNRWA schließen, das 1,2 der zwei Millionen Menschen im Gazastreifen mit Essen unterstützt. "Die Leidtragenden sind die normalen Menschen - auf beiden Seiten", sagt der Palästinenser Schokry.

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