Bosnien-HerzegowinaDer Konflikt wird langsam physisch

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Der Anführer der bosnischen Serben, Milorad Dodik, muss mit seiner Partei nun auf Zuschüsse verzichten, weil er gegen das Dayton-Abkommen verstößt.
Der Anführer der bosnischen Serben, Milorad Dodik, muss mit seiner Partei nun auf Zuschüsse verzichten, weil er gegen das Dayton-Abkommen verstößt. (Foto: STRINGER/AFP)

Der per Haftbefehl gesuchte Präsident des serbischen Landesteils heizt den Konflikt um seine separatistische Politik weiter an. Inzwischen lässt er sich von schwer bewaffneten Sicherheitskräften vor dem Zugriff der Justiz schützen.

Von Tobias Zick

Milorad Dodik müht sich weiterhin, in seinem politischen Alltag so viel Normalität wie möglich auszustrahlen. Am Montag etwa empfing er einen ehemaligen Kommandeur der israelischen Streitkräfte, Moshe Levy, und verlieh ihm, diesem „aufrichtigen Freund der Republika Srpska“, eine Ehrenmedaille. Dann pries er den gemeinsamen Einsatz für das „Recht auf Freiheit unserer beider Staaten“. Dodik bezeichnete also die Republika Srpska, deren Präsident er ist, fälschlich als Staat, dabei handelt es sich lediglich um eine von zwei sogenannten Entitäten, Landesteilen also, die gemeinsam den Gesamtstaat Bosnien-Herzegowina bilden.

So schreibt es das bis heute gültige Dayton-Abkommen fest, das 1995 den Krieg in dem Westbalkanland beendete. Dass Dodik sich selbst und seinen serbisch geprägten Landesteil größer macht, als beide sind; dass er auf Dayton pfeift; dass er mit dem Feuer des Separatismus spielt: alles nichts Neues. Alles Teil der politischen Routine. Doch hinter der Fassade ist immer weniger normal. Die Umstände, unter denen Dodik sich durch sein Land bewegt, sind zunehmend abenteuerlich.

Dodiks ständige Schmähungen

Hauptgrund dafür ist ein Haftbefehl, den die Staatsanwaltschaft des Gesamtstaats im März gegen Dodik erlassen hatte, weil er zu einer gerichtlichen Vorladung nicht erschienen war. Ihm sowie zwei anderen führenden Politikern der Republika Srpska werden „Angriffe auf die verfassungsmäßige Ordnung“ vorgeworfen. Dabei geht es um sezessionistische Gesetze, die das Parlament des Landesteils erlassen hat und die eindeutig gegen die Dayton-Verfassung verstoßen.

Zuvor hatte bereits ein Gericht Dodik zu einem Jahr Haft verurteilt, weil er sich den Entscheidungen des Hohen Repräsentanten widersetzt hatte. Der Deutsche Christian Schmidt, der zurzeit dieses Amt innehat, wacht im Namen der internationalen Gemeinschaft über die Einhaltung des Friedensabkommens. Von Dodik wird er regelmäßig mit Schmähungen überzogen.

Am vergangenen Donnerstag erreichte der Konflikt die nächste Eskalationsstufe. Eine kleine Gruppe ziviler Beamter der Staatsschutzbehörde Sipa näherte sich einem Amtsgebäude in Ost-Sarajevo. Dieser Teil der bosnisch-herzegowinischen Hauptstadt gehört zur Republika Srpska, Dodik traf sich dort gerade mit einigen Lokalpolitikern. Die Staatsschutzbeamten wollten ihm offiziell den Haftbefehl übergeben, wurden aber von bewaffneten Beamten der Polizei des serbischen Landesteils daran gehindert.

Kurz darauf wetterte Dodik gegen die vermeintliche „Besatzungsmacht“, bestehend unter anderem aus der Sipa und Christian Schmidt, der man sich niemals beugen werde: „Wir werden sehen, wer über die wahre Macht verfügt, das Recht durchzusetzen.“ Allein die Tatsache, dass Dodik sich an dem Tag mit Dutzenden teils schwer bewaffneten Polizisten bewegte, war in dem vordergründig friedlich anmutenden Alltag ein eher verstörendes Ereignis.

Der Hohe Repräsentant reagiert mit Strafmaßnahmen

Der Hohe Repräsentant Schmidt fror noch am selben Tag öffentliche Zuschüsse für die Finanzierung von Dodiks Partei, der Allianz der Unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD), sowie deren Koalitionspartner Vereinigte Srpska ein. Die Gelder würden auf ein Sonderkonto bei der Zentralbank umgeleitet, sagte Schmidt und erklärte, die Entscheidung diene dazu, die Institutionen Bosnien-Herzegowinas darin zu unterstützen, „Attacken der Regierungskoalition der Republika Srpska auf die Grundprinzipien und auf die verfassungsmäßige Ordnung des Landes abzuwehren.“ Sollten derartige Attacken aufhören, werde man die Entscheidung überdenken.

Wenige Minuten nach Schmidts Entscheidung wandte sich Dodik erneut an die Öffentlichkeit. „Was für ein Haufen kleinkarierter Deppen“, wetterte er in einer spontan anberaumten Pressekonferenz und bezeichnete das Einfrieren der öffentlichen Parteienfinanzierung als ungerecht: „Wie kommt es, dass die anderen Parteien weiter die Gelder bekommen und wir nicht? Ist das demokratisch?“ Sobald man erfahre, dass Schmidt einen Fuß auf das Gebiet der Republika Srpska setze, „wird er verhaftet“.

Wer den Haftbefehl gegen den schwer bewachten Milorad Dodik nun vollstrecken könnte, ist weiterhin fraglich. Dass sich Soldaten der im Land stationierten EU-Mission Eufor an einer Operation beteiligen, bei der es möglicherweise zu tödlichen Schusswechseln kommen könnte, gilt als eher unwahrscheinliches Szenario.

Stattdessen dürfte sich Dodik weiterhin in seinem zunehmend engen Radius bewegen, seine Provokationen fortsetzen und darauf hoffen, dass ihm, wenn es hart auf hart kommt, sein Nachbar Aleksandar Vučić aus der Klemme hilft, Präsident der Republik Serbien. Der steht allerdings selbst unter großem Druck: Seit Monaten demonstrieren Studentinnen und Studenten gegen sein mutmaßlich korruptes und autoritäres Regime. Und an der Universität von Banja Luka, De-Facto-Hauptstadt der Republika Srpska, kam es schon zu Solidaritätskundgebungen für die protestierenden Kolleginnen und Kollegen in Serbien.

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