Süddeutsche Zeitung

Konferenz der Innenminister:Überwachen für Fortgeschrittene

Lesezeit: 3 Min.

Von Ronen Steinke

Hier 16 mächtige Fürsten der Sicherheit, dort ein eher schmächtiger Bundesminister. In der alten Bundesrepublik war dies die Rollenverteilung in der Kriminalpolitik. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 aber sind viele Befugnisse zum Bund gewandert. Wenn Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nun zur Konferenz seiner 16 Länderkollegen kommt, dann zwar noch immer als "Gast" ohne eigenes Stimmrecht. Aber als selbstbewusster, manche Fürsten meinen sogar gieriger Gast, der ihnen etwa die Zuständigkeit für den Verfassungsschutz am liebsten ganz entreißen möchte. Bei dieser Innenministerkonferenz, die noch bis diesen Mittwoch in Dresden stattfindet, stehen ungewöhnlich viele politische Vorschläge auf der Agenda.

Mehr Schleierfahndung

Es gibt bislang nur drei Bundesländer, die auf diese umstrittene Form der Polizeikontrolle verzichten - Nordrhein-Westfalen, Bremen und Berlin. Die Unions-Innenminister wollen, dass sie diese "Lücke" schließen. Der SPD-Innensenator von Berlin, Andreas Geisel, entgegnet ihnen: In Berlin habe man die Schleierfahndung 2004 abgeschafft, "weil Aufwand und Nutzen in keinem Verhältnis standen". Von Schleierfahndung ist umgangssprachlich die Rede, wenn Polizisten Passanten oder Reisende ohne konkreten Verdacht anhalten, durchsuchen und Personalien kontrollieren. Das Problem ist, dass Polizeibeamte sich mangels konkreten Verdachts oft auf das Aussehen stützen. Dabei besteht die Gefahr rassistischer Diskriminierung, weshalb ein US-Gericht die dort "stop and frisk" genannte Praxis schon mal für verfassungswidrig erklärt hat. Auch der Europäische Gerichtshof hat dies unter Hinweis auf die Gefahr eines "Racial Profiling" zumindest für den Grenzverkehr verboten.

Kinder beobachten

Der Junge war zwölf, als er im vergangenen Advent einen Sprengkörper auf dem Weihnachtsmarkt von Ludwigshafen deponierte. Was die Geschichte besonders verstörend macht, hat kürzlich Thomas Beck beschrieben, Terrorismus-Abteilungsleiter beim Generalbundesanwalt. Keineswegs sei das Ludwigshafener Kind, das mit seinem Attentat glücklicherweise scheiterte, nur ein Opfer gewesen. "Sondern einer, der sehr aktiv war" in der online kommunizierenden islamistischen Szene - "auch auffordernd gegenüber anderen". Solche Fälle haben sich zuletzt gehäuft. Die Messerattacke auf einen Polizisten in Hannover verübte eine 15-Jährige, die angeblich schon mit elf in islamistischen Foren unterwegs war. Die Bombe vor einem Sikh-Tempel in Essen pflanzten zwei 16-Jährige.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) fordert mit Blick auf diese Taten, dass der Verfassungsschutz Kinder jeden Alters ausspionieren dürfen soll. Schon im vergangenen Jahr hat die große Koalition die Altersgrenze, von der an das Bundesamt für Verfassungsschutz Erkenntnisse speichern darf, von 16 auf 14 Jahre gesenkt. Einige Bundesländer zogen nach, etwa das damals rot-grün regierte Nordrhein-Westfalen. Wenn nun die SPD den bayerischen Vorstoß, die Altersgrenze ganz fallenzulassen, ablehnt, dann dürften einige Unions-Innenminister trotzdem diesen Weg beschreiten - jeder für sich.

Ob sie an verfassungsrechtliche Grenzen stoßen werden? Anders als im Strafrecht, wo die Mündigkeit mit 14 Jahren beginnt, gilt bei der Gefahrenabwehr keine absolute Grenze, sagt Nikolaos Gazeas, der an der Universität Köln das Recht der Nachrichtendienste lehrt. Auch bei kriminellen Banden komme es vor, dass sie strafunmündige Kinder einsetzten, etwa als Drogenkuriere oder zum Schmierestehen. Die Polizei sei nicht prinzipiell gehindert, sie zu beobachten. "Auch ein Kind kann eine Gefahr verursachen, und die nachrichtendienstliche Schiene ist auch nur eine Vorverlagerung des Gefahrenabwehrgedankens", sagt Gazeas. Allerdings müssten für die Beobachtung von Kindern sehr kurze Löschfristen und ein besonders strenger Datenschutz gelten. Und es sei kaum vorstellbar, wie die Spionage gegen kleinere Kinder, etwa einen Zehnjährigen, jemals als verhältnismäßig durchgehen würde.

Überwachung von Whatsapp

Strafverfolger haben heute mehr gesetzliche Möglichkeiten zur Überwachung denn je. Viele beklagen, sie erführen trotzdem viel weniger als noch vor zehn Jahren - aus technischen Gründen. Nur noch 15 Prozent der Kommunikation unter Kriminellen, so hat kürzlich der Generalbundesanwalt geschätzt, laufe über die herkömmlichen Kanäle Telefon und SMS. Der Rest laufe über verschlüsselte Messengerdienste wie Whatsapp, die Ermittler blieben dann außen vor. Ein erfahrener Ermittler aus einem Bundesland hält das sogar noch für optimistisch. "Die Zahl 15 Prozent bezieht sich auf Täter, die nicht so geschult sind. Je hochkarätiger die Täter, desto eher tendiert die Zahl gegen null."

Bei der Innenministerkonferenz waren sich die Vertreter von Union und SPD rasch einig, dass eine neue gesetzliche Grundlage für das Abhören auch von Whatsapp-Nachrichten geschaffen werden sollte. Die Forderung ist nicht neu. Nur: Das technische Problem der professionellen Verschlüsselung der Nachrichten löst auch ein Gesetz nicht. Die Firma Whatsapp zeigt keine Bereitschaft, den Behörden einen Sonderschlüssel zum heimlichen Mitlesen zur Verfügung zu stellen, genauso wie andere Anbieter von Messengerdiensten oder auch Unternehmen wie Apple. Beim Messengerdienst Telegram weiß man noch nicht einmal, in welchem Land der Betreiber sitzt. Die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ), die Union und SPD nun einführen wollen, würde darin bestehen, dass die Ermittler das Smartphone einer Zielperson mit einer Spionagesoftware infizieren, um Chat-Nachrichten lesen zu können, noch bevor sie abgesendet werden. Das Problem: Verfassungsrechtlich wären die Behörden hierbei verpflichtet, den Quellcode ihrer Spionagesoftware zu veröffentlichen. Der erfahrene Ermittler macht sich da wenig Hoffnungen: "Dann holt sich unsere Zielgruppe in wenigen Tagen ein Patch", also eine Anti-Virensoftware dagegen.

Fahndung mit DNA

Schon seit 2004 darf die Polizei am Tatort DNA-Spuren aus Speichel, Blut oder Haaren sammeln. Die Ermittler können dann zum Beispiel bei einem DNA-Massentest diese Spur mit anderen Personen abgleichen. Inhaltlich analysieren dürfen sie die gefundene DNA-Spur aber bislang nicht. Dies will der Bundesinnenminister ändern, damit die Polizei künftig etwa auch Aussagen über das Aussehen eines Täters treffen darf: über seine Haar- und Augenfarbe, sein ungefähres Alter und seine Herkunft. Die SPD hat signalisiert, dass sie dem politisch nicht im Weg stehen werde.

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SZ vom 14.06.2017
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