Süddeutsche Zeitung

Kompromiss in Kiew:Oberstes Gericht soll entscheiden

Nach zehn Tagen Streit um die ukrainische Präsidentenwahl haben sich die Konfliktparteien unter internationaler Vermittlung über das weitere Vorgehen geeinigt. Oppositionsführer Juschtschenko zeigte sich zufrieden mit dem Ergebnis.

Beide Lager legten ihr Schicksal in die Hand des Obersten Gerichts. Vor weiteren Verhandlungen solle das Gericht sein Urteil über die Rechtsverstöße bei der Wahl fällen, sagte der amtierende Staatschef Leonid Kutschma nach dem mittlerweile zweiten "Runden Tisch" am in Kiew.

Der EU-Beauftragte für Außenpolitik, Javier Solana, drängte auf eine möglichst rasche Wahlwiederholung. Er erwarte sie nicht mehr für dieses Jahr, aber vielleicht für Januar 2005, sagte er in Kiew. Die EU rechne mit einer Neuauflage der Stichwahl, nicht mit einer komplett neuen Präsidentenwahl, sagten westliche Diplomaten.

Nach dem Urteil des Obersten Gerichts sollten im Paket Änderungen am Gesetz zur Präsidentenwahl, eine Reform des politischen Systems und die Neubildung der Regierung beschlossen werden, sagte Kutschma.

Die Kontrahenten in der umstrittenen Stichwahl, Ministerpräsident Viktor Janukowitsch und Oppositionsführer Viktor Juschtschenko, gaben sich vor laufender Kamera die Hand.

Das Oberste Gericht unter Vorsitz von Anatoli Jarema ließ sich den dritten Tag in Folge ausführlich von Oppositionsvertretern die Wahlrechtsverstöße in der Ostukraine zu Gunsten von Janukowitsch vortragen. Das Verfahren wurde landesweit im Fernsehen übertragen.

Janukowitsch klagte am Mittwoch paradoxerweise selbst beim Obersten Gericht gegen den Beschluss der Zentralen Wahlkommission, ihn zum Sieger zu erklären. Er begründete die Klage mit Wahlfälschungen für die Opposition in der Westukraine.

Als Vermittler nahmen neben Solana Polens Präsident Aleksander Kwasniewski, sein litauischer Kollege Valdas Adamkus, der russische Parlamentschef Boris Gryslow und der OSZE-Generalsekretär Jan Kubis an dem zweiten "Runden Tisch" binnen fünf Tagen teil. Für Russland bot Außenminister Sergej Lawrow erstmals Hilfe an, die Krise "im Rahmen der ukrainischen Gesetze" zu lösen.

Solana sagte, er rechne nicht damit, dass das Gericht die Wahl für gültig erkläre. In der Ukraine sollten alle Seiten zusammenarbeiten, "um die sozialen und wirtschaftlichen Aufgaben zu erfüllen". Die politische Krise versetzte zunehmend den Geldmarkt in der Ukraine in Unruhe. Vor den Banken warteten Menschen in langen Schlangen, um ihr Geld abzuheben.

Nach zehn Tagen von Massenprotesten seiner Anhänger zeigte sich Juschtschenko in den meisten Punkten zufrieden mit dem Kompromiss. "Die Staatsmacht hat die Verhandlungen heute ehrlich und offen geführt", sagte er.

Das Papier sah auch ein Ende der Blockaden um die wichtigsten Regierungsgebäude in Kiew vor. Juschtschenko rief seine Anhänger auf, ihre Kundgebungen bis zu dem Richterspruch fortzuführen.

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dpa
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